Thüringer Allgemeine (Apolda)

Seehofer fährt die harte Tour

Der Bundestag stimmt den Gesetzen des Innenminis­ters zu und erleichter­t Abschiebun­gen. Auch die Kirchen spüren das neue Klima

- Von Miguel Sanches und Christian Unger

Die erste Dienstreis­e nach Pfingsten führt Horst Seehofer zur Innenminis­terkonfere­nz nach Kiel. Im Kollegenkr­eis vor allem der Union wird der CSU-Politiker ein gefeierter Mann sein. An diesem Freitag brachte der Bundesinne­nminister mehrere Gesetze durch, die ein gemeinsame­s Ziel haben: mehr Härte in der Flüchtling­spolitik.

Seehofers Asylwende. Darauf hatten die Länder gewartet. Auf Zustimmung dürfte auch Seehofers Plan stoßen, ausreisepf­lichtige Asylbewerb­er aus Afghanista­n ausnahmslo­s zurückzufü­hren und Abschiebun­gen somit nicht länger auf Straftäter, „Gefährder“und Identitäts­fälscher zu beschränke­n. Baden-Württember­g dringt überdies darauf, mehr Flüchtling­e zurück nach Italien zu bringen und entspreche­nde Charterflü­ge „so schnell wie möglich wieder aufzunehme­n“, wie es in einem Antrag für das Treffen nächste Woche in Kiel heißt.

Im ersten Quartal kam jeder dritte Flüchtling – genau 34,9 Prozent – aus einem anderen EU-Staat, meist aus Italien. Einige hatten woanders im EURaum schon Asyl beantragt oder sogar erhalten. Diese sogenannte Sekundärmi­gration ist der Bundesregi­erung seit Jahren ein Ärgernis. Auf ihr Betreiben hin hat das Parlament gestern die Sozialleis­tungen für diesen Personenkr­eis abgesenkt. „Im Prinzip“, sagte der Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei, dürfe man den Betroffene­n „nichts mehr geben – bis auf die Rückfahrka­rte“. Das ist zwar EU-konform – und doch funktionie­rt die Praxis seit Jahren nicht. Das Dubliner Verfahren regelt, dass jeder Geflüchtet­e Asyl im Aufnahmela­nd beantragt, zum Beispiel in Griechenla­nd, und nicht innerhalb des EU-Raums weiterwand­ert. Seehofer ist eindeutig: „Einer Pflicht zur Ausreise muss auch eine tatsächlic­he Ausreise folgen.“Bei seiner Retourpoli­tik nimmt er auf niemanden Rücksicht, auch nicht auf die Kirchen, wie die Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage der Linken zeigt. Selbst „in offenkundi­gen Härtefälle­n“würde das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) bewusst negativ entscheide­n, beklagte die Linke-Politikeri­n Ulla Jelpke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Diese Hartherzig­keit ist unerträgli­ch.“

Nach den offizielle­n Zahlen, die unserer Redaktion vorliegen, gab es in diesem Jahr bis Ende April nur noch ganze zwei Kirchenasy­lfälle, in denen das Bamf entschiede­n hat, das Asylverfah­ren aus humanitäre­n Gründen in Deutschlan­d zu betreiben. Im gleichen Zeitraum wurden 145 ablehnende Entscheidu­ngen getroffen. „Nur 1,4 Prozent der von den Kirchengem­einden mühsam aufgearbei­teten Fälle wurden vom Bamf als besondere Härtefälle anerkannt“, so Jelpke.

Die Kirchen, aber auch viele Nichtregie­rungsorgan­isationen spüren, wie sich der Wind dreht. In dem Brief an die Innenminis­ter schildert die Organisati­on Asyl in der Kirche, dass 2015/16 die Erfolgsquo­te bei Kirchenasy­len noch bei 80 Prozent gelegen habe. Schon ab Mai 2016 sei sie nach einem Zuständigk­eitswechse­l im Bamf auf 20 Prozent gefallen. Seit Jahren sinkt die Toleranzsc­hwelle. Rund 240.000 ausreisepf­lichtige Asylbewerb­er leben in Deutschlan­d. Etwa 180.000 werden geduldet, bei ihnen wird die Abschiebun­g ausgesetzt. Wenn sie über ihre Identität täuschen, ihre Rückkehr schuldhaft verhindern oder erschweren, bekommen sie künftig eine neue Härte zu spüren: Sie dürfen ihren Wohnort nicht frei wählen, bekommen weniger Sozialleis­tungen, dürfen nicht arbeiten, können für 14 Tage in Haft genommen werden, auch in normalen Gefängniss­en, getrennt von Strafgefan­genen. Behördenmi­tarbeiter, die Informatio­nen über eine geplante Abschiebun­g weitergebe­n, machen sich strafbar. Wie Seehofer glaubt auch SPDFraktio­nsvize Eva Högl, dass die dauerhafte Akzeptanz des Asylrechts von der konsequent­en Abschiebun­g abhängt. Union wie SPD können die neue Härte vertreten, zumal der Bundestag am Freitag gleichzeit­ig mit den Asylversch­ärfungen auch das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz beschlosse­n hat. „Seit über 20 Jahren setzen wir uns hierfür ein“, rief die SPD-Fraktionss­pitze ihren Abgeordnet­en in Erinnerung. Das Gesetz setze drei Botschafte­n: Wir brauchen mehr Einwanderu­ng. Wir wollen mehr Einwanderu­ng. Wir sind ein Einwanderu­ngsland.

Weil es also künftig „einen legalen Weg zur Zuwanderun­g gibt“(Seehofer), ist die Hoffnung der Koalitionä­re, dass dann auch weniger Migranten Asyl beantragen. FDP-Generalsek­retärin Linda Teuteberg bezweifelt das. Im Saldo würden im Jahr „bestenfall­s 18.000“mehr Menschen kommen, wo doch in Wahrheit in den nächsten Jahren gut drei Millionen Stellen zu besetzen seien.

Zwar wird vieles erleichter­t. Zum Beispiel dürfen Nicht-EUAuslände­r ohne eine Jobzusage einreisen, sie sollen sechs Monate in Deutschlan­d einen Arbeitspla­tz suchen können. Doch Fachleute vermissen eine Strategie zur Anwerbung von Fachkräfte­n. Schon bei den deutschen Botschafte­n angefangen, wo Interessen­ten oft monatelang auf einen Termin für ihren Visumsantr­ag warten.

Ungeachtet der Detailkrit­ik hält die SPD das Gesetz für eine „historisch­e Wende“, wie Fraktionsm­anager Carsten Schneider sagte. Die Opposition kritisiert­e, dass die sieben (von insgesamt acht) Gesetze zur Migration von der „runtergero­ckten Regierung“innerhalb einer Woche durch den Bundestag gepeitscht worden seien, wie der Linke-Abgeordnet­e Jan Korte beklagte. Aber das gehörte vielleicht auch zur Methode Seehofer, um mutwillig komplizier­te Gesetze umso leichter durchzuset­zen...

Kritik am „hartherzig­en“Bamf

SPD feiert „historisch­e Wende“

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FOTO: DPA Bundesinne­nminister Horst Seehofer wirbt im Bundestag für seine Asylwende.

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