„Uns wird das Kanzleramt zugetraut“
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kündigt eine Klimaprämie für Personen mit kleineren Autos an
Die Grünen genießen ihren Höhenflug und bereiten sich auf den Regierungseintritt vor – falls die große Koalition den Weg für Neuwahlen freimacht. Kommt es zu SchwarzGrün? Oder zu Grün-Schwarz? Katrin-Göring-Eckardt, Chefin der Grünen im Bundestag, sagt im Interview mit unserer Redaktion, was grüne Klimapolitik für das Portemonnaie der Deutschen bedeuten würde.
Trauen Sie den Umfragen, die Ihre Partei als stärkste Kraft sehen – noch vor der Union?
Katrin Göring-Eckardt: Ich traue vor allem dem Europawahlergebnis, bei dem wir über 20 Prozent hatten. Aus Stärke folgt Verantwortung. Der Erfolg ist eine Mischung aus Haltung, Geschlossenheit und dass wir Antworten auf die großen Fragen haben, die die Leute umtreiben – aktuell sind das vor allem die Klimakrise, die Folgen der Digitalisierung und der gesellschaftliche Zusammenhalt. Viele Menschen wenden sich an uns, die vorher Union und SPD gewählt haben, weil die sich vor allem um sich selbst und ein sehr kleines Karo drehen.
Sind die Grünen reif für das Kanzleramt?
Ich verstehe, dass auch Sie die Frage nach dem Kanzleramt stellen. Aber auch Ihnen sage ich: Wir führen diese Debatte nicht. Wir wollen über die Probleme in diesem Land sprechen und wie wir sie lösen. Wir nehmen natürlich wahr, dass uns das Kanzleramt zugetraut wird. Und wann immer die nächste Bundestagswahl ansteht, werden wir Antworten auch auf solche Fragen haben. Dass wir das Zentrum einer Koalition sein können, beweist Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg als Ministerpräsident seit Jahren sehr erfolgreich. Aber im Bund steht diese Frage jetzt nicht an. Alles zu seiner Zeit.
Was würde eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler anders machen als Angela Merkel?
Eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler hätte nicht zugelassen, dass wir über zehn Jahre beim Klimaschutz verlieren. Wegen der krassen Versäumnisse müssen wir jetzt umso dringender beim Klimaschutz handeln, die Kinderarmut bekämpfen und die Rechte der Verbraucher stärken – egal, wer im Kanzleramt sitzt. In einer Regierung würden wir einen anderen Politikstil pflegen. Es geht heute darum, Politik in Bündnissen zu entwickeln. Das kann man aus der Zeit der friedlichen Revolution lernen. In diesem Jahr feiern wir ihren 30. Jahrestag. Damals haben wir mit Leuten ganz unterschiedlicher Meinungen, Biografien und Interessen an runden Tischen gesessen.
Die große Koalition taumelt. Wann wird es Zeit für Neuwahlen?
Union und SPD haben entschieden, es noch einmal miteinander zu versuchen. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Gewählt ist gewählt. Dabei brauchen wir gerade jetzt eine Regierung, die endlich handelt – besonders beim Klimaschutz. Das ist die Ansage, die die Wählerinnen und Wähler gemacht haben. Wenn die große Koalition dazu keine Kraft mehr hat, sollte sie den Weg für Neuwahlen freimachen.
Kann die CDU von Annegret Kramp-Karrenbauer ein Partner der Grünen sein?
Für was steht die CDU denn? Man weiß es nicht so recht. Annegret Kramp-Karrenbauer hat versucht, den Flügel von Friedrich Merz und Jens Spahn hinter sich zu kriegen. Dabei hat sie die CDU weiter nach rechts gerückt – und die liberale Union der Mitte vernachlässigt. Die Unionswähler, die Frau Merkel gut finden, kommen jetzt zu uns. Ich vermisse das klare Signal, dass Frau Kramp-Karrenbauer das Land zusammenhalten will – ein Land, in dem alle zu ihrem Recht kommen.
Die Grünen als legitime Nachfolger von Angela Merkel?
Ich schätze sie, aber nicht ihre Politik. Wenn Angela Merkel jetzt sagt, wir haben beim Klimaschutz die ganzen Jahre nur Pillepalle gemacht, dann wird mir anders. Sie war doch die Regierungschefin! Die Union handelt mit Ideen, Konzepten und Argumenten aus dem letzten Jahrzehnt und manchmal sogar aus dem letzten Jahrhundert. Das ist fahrlässig.
Sind die Gemeinsamkeiten der Grünen mit SPD und Linkspartei größer?
Es reicht nicht mehr, einfach nur die Parteiprogramme nebeneinanderzulegen. Beim Klimaschutz haben wir Grüne keine natürlichen Partner. Was haben wir mit Sozialdemokraten gekämpft beim Kohleausstieg! Wir sind die einzige Partei, die Klimaschutz entschieden betreibt – auch in Kombination mit Wirtschaft und sozialen Fragen. In einer Regierung mit uns muss das die Kernfrage sein. Und zwar nicht nur, wenn man das Gefühl hat, das wäre jetzt ganz chic. Hier geht es um die Existenzfrage schlechthin.
In Bremen haben sich die Grünen für SPD und Linkspartei entschieden – und gegen den Wahlsieger CDU. Warum?
Der Wahlausgang war knapp – und die Grünen dort haben es sich nicht leicht gemacht. Sie sind nach den Gesprächen überzeugt: Mehr grüne Politik ist in einem rot-grün-roten Bündnis möglich. Diese Entscheidung hat vor allem mit der FDP in Bremen zu tun, die ja bei der Alternative – Jamaika – Teil des Bündnisses gewesen wäre. Das sind immer Landesentscheidungen. Wir regieren in den Ländern in vielen verschiedenen Konstellationen. Und überall stehen wir für Klimaschutz und Zusammenhalt.
Der Osten ist für die Grünen ein schwieriges Terrain. Welches Ziel setzen Sie sich für die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen?
Ich würde mich freuen, wenn wir in allen drei Ländern zweistellig werden. Ich bin ja Thüringerin. Und ich hoffe sehr, dass wir Rot-Rot-Grün dort fortsetzen können.
Sagen Sie im Wahlkampf, dass Sie höhere Steuern wollen?
Klimaschutz bedeutet in erster Linie, dass das System geändert wird. Es ist gut, dass sich immer mehr Leute überlegen: Muss ich fliegen? Oder kann ich mit der Bahn fahren? Wo verzichte ich auf Plastik? Und wie sind die
Ich will die Rahmenbedingungen verändern: Wir brauchen eine Kerosinsteuer, und Bahnfahren muss günstiger werden. Wir müssen Plastik radikal reduzieren. Dazu gehört auch eine Plastiksteuer, damit der Handel sich verändert. Und: Wer CO2Müll produziert, soll dafür bezahlen – wie für jeden anderen Müll auch. CO2 muss einen Preis haben. Wer das Klima schont, wird belohnt. Das Geld, das der Staat auf diese Art einnimmt, wird als Klimaprämie zurückgegeben. Die Leute in den kleineren Wohnungen, mit den kleineren Autos werden mehr zurückkriegen. Und wer richtig viel CO2-Müll produziert, wird draufzahlen.
Also geht es Ihnen um zwei Dinge: Klimaschutz und Umverteilung.
Es geht um Klimaschutz und Gerechtigkeit. Ein CO2-Preis mit einer Klimaprämie sorgt für einen gerechten Klimaausgleich. Die größten Klimakiller unter den Unternehmen zahlen derzeit nichts für ihren CO2Müll. Damit stehen sie besser da als die Unternehmen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Das ist doch ungerecht. Wir müssen auch für Wettbewerbsfähigkeit beim Klimaschutz sorgen. Und man muss sich überlegen: Was würde es kosten, wenn wir nichts machen und weiter so viel CO2 produzieren? Wir erleben es ja gerade schon wieder. Bauern brauchen Entschädigung wegen der Dürre. Die ersten Wälder brennen – und wir sind überhaupt nicht vorbereitet.
Aktuell braucht Deutschland dringend eigene Löschflugzeuge und Löschhubschrauber, die bei Waldbränden eingesetzt werden können. Es reicht nicht, darauf zu vertrauen, dass Polizeihubschrauber gerade nicht gebraucht und dafür umgerüstet werden können. Am Geld darf Brandschutz nicht scheitern. Und wir müssen dringend für einen besseren Schutz unserer Wälder sorgen. Sie sind die Lunge unseres Planeten. Nur Wälder, die eine gute Mischung aus Laub- und Nadelbäumen haben, können der Klimakrise standhalten. Deshalb müssen wir die Monokulturen abbauen. Wir brauchen mehr echte Wälder statt Baumplantagen. Das alles ist in der Verantwortung der Bundesregierung.