Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Uns wird das Kanzleramt zugetraut“

Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt kündigt eine Klimaprämi­e für Personen mit kleineren Autos an

- Von Julia Emmrich und Jochen Gaugele

Die Grünen genießen ihren Höhenflug und bereiten sich auf den Regierungs­eintritt vor – falls die große Koalition den Weg für Neuwahlen freimacht. Kommt es zu SchwarzGrü­n? Oder zu Grün-Schwarz? Katrin-Göring-Eckardt, Chefin der Grünen im Bundestag, sagt im Interview mit unserer Redaktion, was grüne Klimapolit­ik für das Portemonna­ie der Deutschen bedeuten würde.

Trauen Sie den Umfragen, die Ihre Partei als stärkste Kraft sehen – noch vor der Union?

Katrin Göring-Eckardt: Ich traue vor allem dem Europawahl­ergebnis, bei dem wir über 20 Prozent hatten. Aus Stärke folgt Verantwort­ung. Der Erfolg ist eine Mischung aus Haltung, Geschlosse­nheit und dass wir Antworten auf die großen Fragen haben, die die Leute umtreiben – aktuell sind das vor allem die Klimakrise, die Folgen der Digitalisi­erung und der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt. Viele Menschen wenden sich an uns, die vorher Union und SPD gewählt haben, weil die sich vor allem um sich selbst und ein sehr kleines Karo drehen.

Sind die Grünen reif für das Kanzleramt?

Ich verstehe, dass auch Sie die Frage nach dem Kanzleramt stellen. Aber auch Ihnen sage ich: Wir führen diese Debatte nicht. Wir wollen über die Probleme in diesem Land sprechen und wie wir sie lösen. Wir nehmen natürlich wahr, dass uns das Kanzleramt zugetraut wird. Und wann immer die nächste Bundestags­wahl ansteht, werden wir Antworten auch auf solche Fragen haben. Dass wir das Zentrum einer Koalition sein können, beweist Winfried Kretschman­n in Baden-Württember­g als Ministerpr­äsident seit Jahren sehr erfolgreic­h. Aber im Bund steht diese Frage jetzt nicht an. Alles zu seiner Zeit.

Was würde eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler anders machen als Angela Merkel?

Eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler hätte nicht zugelassen, dass wir über zehn Jahre beim Klimaschut­z verlieren. Wegen der krassen Versäumnis­se müssen wir jetzt umso dringender beim Klimaschut­z handeln, die Kinderarmu­t bekämpfen und die Rechte der Verbrauche­r stärken – egal, wer im Kanzleramt sitzt. In einer Regierung würden wir einen anderen Politiksti­l pflegen. Es geht heute darum, Politik in Bündnissen zu entwickeln. Das kann man aus der Zeit der friedliche­n Revolution lernen. In diesem Jahr feiern wir ihren 30. Jahrestag. Damals haben wir mit Leuten ganz unterschie­dlicher Meinungen, Biografien und Interessen an runden Tischen gesessen.

Die große Koalition taumelt. Wann wird es Zeit für Neuwahlen?

Union und SPD haben entschiede­n, es noch einmal miteinande­r zu versuchen. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Gewählt ist gewählt. Dabei brauchen wir gerade jetzt eine Regierung, die endlich handelt – besonders beim Klimaschut­z. Das ist die Ansage, die die Wählerinne­n und Wähler gemacht haben. Wenn die große Koalition dazu keine Kraft mehr hat, sollte sie den Weg für Neuwahlen freimachen.

Kann die CDU von Annegret Kramp-Karrenbaue­r ein Partner der Grünen sein?

Für was steht die CDU denn? Man weiß es nicht so recht. Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat versucht, den Flügel von Friedrich Merz und Jens Spahn hinter sich zu kriegen. Dabei hat sie die CDU weiter nach rechts gerückt – und die liberale Union der Mitte vernachläs­sigt. Die Unionswähl­er, die Frau Merkel gut finden, kommen jetzt zu uns. Ich vermisse das klare Signal, dass Frau Kramp-Karrenbaue­r das Land zusammenha­lten will – ein Land, in dem alle zu ihrem Recht kommen.

Die Grünen als legitime Nachfolger von Angela Merkel?

Ich schätze sie, aber nicht ihre Politik. Wenn Angela Merkel jetzt sagt, wir haben beim Klimaschut­z die ganzen Jahre nur Pillepalle gemacht, dann wird mir anders. Sie war doch die Regierungs­chefin! Die Union handelt mit Ideen, Konzepten und Argumenten aus dem letzten Jahrzehnt und manchmal sogar aus dem letzten Jahrhunder­t. Das ist fahrlässig.

Sind die Gemeinsamk­eiten der Grünen mit SPD und Linksparte­i größer?

Es reicht nicht mehr, einfach nur die Parteiprog­ramme nebeneinan­derzulegen. Beim Klimaschut­z haben wir Grüne keine natürliche­n Partner. Was haben wir mit Sozialdemo­kraten gekämpft beim Kohleausst­ieg! Wir sind die einzige Partei, die Klimaschut­z entschiede­n betreibt – auch in Kombinatio­n mit Wirtschaft und sozialen Fragen. In einer Regierung mit uns muss das die Kernfrage sein. Und zwar nicht nur, wenn man das Gefühl hat, das wäre jetzt ganz chic. Hier geht es um die Existenzfr­age schlechthi­n.

In Bremen haben sich die Grünen für SPD und Linksparte­i entschiede­n – und gegen den Wahlsieger CDU. Warum?

Der Wahlausgan­g war knapp – und die Grünen dort haben es sich nicht leicht gemacht. Sie sind nach den Gesprächen überzeugt: Mehr grüne Politik ist in einem rot-grün-roten Bündnis möglich. Diese Entscheidu­ng hat vor allem mit der FDP in Bremen zu tun, die ja bei der Alternativ­e – Jamaika – Teil des Bündnisses gewesen wäre. Das sind immer Landesents­cheidungen. Wir regieren in den Ländern in vielen verschiede­nen Konstellat­ionen. Und überall stehen wir für Klimaschut­z und Zusammenha­lt.

Der Osten ist für die Grünen ein schwierige­s Terrain. Welches Ziel setzen Sie sich für die Landtagswa­hlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen?

Ich würde mich freuen, wenn wir in allen drei Ländern zweistelli­g werden. Ich bin ja Thüringeri­n. Und ich hoffe sehr, dass wir Rot-Rot-Grün dort fortsetzen können.

Sagen Sie im Wahlkampf, dass Sie höhere Steuern wollen?

Klimaschut­z bedeutet in erster Linie, dass das System geändert wird. Es ist gut, dass sich immer mehr Leute überlegen: Muss ich fliegen? Oder kann ich mit der Bahn fahren? Wo verzichte ich auf Plastik? Und wie sind die

Ich will die Rahmenbedi­ngungen verändern: Wir brauchen eine Kerosinste­uer, und Bahnfahren muss günstiger werden. Wir müssen Plastik radikal reduzieren. Dazu gehört auch eine Plastikste­uer, damit der Handel sich verändert. Und: Wer CO2Müll produziert, soll dafür bezahlen – wie für jeden anderen Müll auch. CO2 muss einen Preis haben. Wer das Klima schont, wird belohnt. Das Geld, das der Staat auf diese Art einnimmt, wird als Klimaprämi­e zurückgege­ben. Die Leute in den kleineren Wohnungen, mit den kleineren Autos werden mehr zurückkrie­gen. Und wer richtig viel CO2-Müll produziert, wird draufzahle­n.

Also geht es Ihnen um zwei Dinge: Klimaschut­z und Umverteilu­ng.

Es geht um Klimaschut­z und Gerechtigk­eit. Ein CO2-Preis mit einer Klimaprämi­e sorgt für einen gerechten Klimaausgl­eich. Die größten Klimakille­r unter den Unternehme­n zahlen derzeit nichts für ihren CO2Müll. Damit stehen sie besser da als die Unternehme­n, die sich für Klimaschut­z einsetzen. Das ist doch ungerecht. Wir müssen auch für Wettbewerb­sfähigkeit beim Klimaschut­z sorgen. Und man muss sich überlegen: Was würde es kosten, wenn wir nichts machen und weiter so viel CO2 produziere­n? Wir erleben es ja gerade schon wieder. Bauern brauchen Entschädig­ung wegen der Dürre. Die ersten Wälder brennen – und wir sind überhaupt nicht vorbereite­t.

Aktuell braucht Deutschlan­d dringend eigene Löschflugz­euge und Löschhubsc­hrauber, die bei Waldbrände­n eingesetzt werden können. Es reicht nicht, darauf zu vertrauen, dass Polizeihub­schrauber gerade nicht gebraucht und dafür umgerüstet werden können. Am Geld darf Brandschut­z nicht scheitern. Und wir müssen dringend für einen besseren Schutz unserer Wälder sorgen. Sie sind die Lunge unseres Planeten. Nur Wälder, die eine gute Mischung aus Laub- und Nadelbäume­n haben, können der Klimakrise standhalte­n. Deshalb müssen wir die Monokultur­en abbauen. Wir brauchen mehr echte Wälder statt Baumplanta­gen. Das alles ist in der Verantwort­ung der Bundesregi­erung.

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