Wiedergeburt nach 120 Jahren
Liszts Weimarer Beethoven-Kantate erklingt in Sondershausen erstmals neu. Dafür sorgt Pfingstmontag der Landesjugendchor
Der Text klingt in unseren Ohren abstrus, gar gruselig, sagt Christoph Caesar. Er beschreibt, vom Sachsen Adolf Stern zusammengedichtet, Beethovens Geburt – weshalb Musikwissenschaftler Günther Massenkeil einst von der „säkularisierten Weihnachtskantate“spottete. „Heil! Heil! Beethoven Heil!“, so lässt sich Geniekult vernehmen.
„Aber was da musikalisch losgeht, ist sehr, sehr interessant“, findet Caesar. Franz Liszt, der Beethovens Werk ohnehin in- und auswendig kannte und verehrte („Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst“), verwob das Hauptthema aus dessen „Erzherzog-Trio“mit dem ersten der großen „Eroica“, der 3. Sinfonie.
Die Rede ist von Liszts zweiter, der Weimarer Beethoven-Kantate. Eine erste brachte er 1845 „zur Inauguration des Beethoven-Monuments zu Bonn“zur Aufführung. Ein Vierteljahrhundert später folgte jene zur „Beethoven-Säkular-Feier des Allgemeinen deutschen Musikvereins.“Wie der ersten, so stellte er der zweiten Kantate das Andante cantabile aus dem „Erzherzog-Trio“voran.
Auf allen großen Beethoven-Festen erklang sie danach. Für ein Konzert 1899 in München ist sie zuletzt verzeichnet. 120 Jahre später wird aus „Beethovens Geburt“eine Wiedergeburt: Dafür sorgen am Pfingstmontag in Sondershausen Landesjugendchor und -orchester: im Abschlusskonzert der Liszt-Biennale Thüringen, die seit dem Mittwoch schon 13 Veranstaltungen im Land umfasste und an diesem langen Wochenende weitere 20 anbietet. zu Liszts Beethoven-Rezeption forschte, später in Weimar arbeitete und heute in Bremen lehrt. Plötzlich stieß man im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig auf handschriftliches Orchestermaterial der Uraufführung: Hier tauchten die Stimmen auf, mit vielen Korrekturen der Musiker von einst versehen. Der Weimarer Musikwissenschaftlerin und Handschriftenexpertin Evelyn Liepsch (Goethe- und SchillerArchiv) zufolge stammen einige der Eintragungen von Liszt selbst.
Im „Work-in-progress“arbeiten aktuell Musikwissenschaftler an der wissenschaftlich-praktischen Ausgabe; sie erscheint im Herbst im Musikverlag Ries & Erler. Zudem hat man die Partitur, getragen von der LisztGesellschaft und von Thüringens Regierung zur Hälfte mitfinanziert, neu digitalisiert. Vergleiche mit der Druckfassung der Partitur von 1870 hatten gezeigt: einige Korrekturen wurden übernommen, einige nicht.
In Sondershausen beginnt derweil eine neue Aufführungskarriere. Die Kantate erklingt in einem Konzert, in dem unter anderem auch drei Klavierlieder Clara Schumanns für sechsstimmigen Chor A-Capella uraufgeführt werden, transkribiert vom Komponisten Clytus Gottwald.
In einem Jahr, im Juni 2020, ist der Landesjugendchor bei der Staatskapelle Weimar zu Gast: Kirill Karabits, der sich jetzt als Weimars GMD verabschiedet, vollendet dann sein Projekt der Liszt-Raritäten, das er unter der Maßgabe angepackt hatte: „Franz Liszt, der hier viele Jahre die Hofkapelle leitete, ist in Weimar unterrepräsentiert.“Karabits will die „Faust-Symphonie“aufführen und suchte nach einem Komplementärwerk. Als Caesar ihn der Kantate wegen ansprach, „nahm er das mit Kusshand sofort auf“, heißt es.
Damit nicht genug, hat Nike Wagner (Ururenkelin Liszts) den Chor zur Eröffnungsmatinée des Bonner Beethovenfestes eingeladen, das sie leitet: Zusammen mit dem Beethoven-Orchester Bonn sollen im September 2020, im Beethoven-Jahr, unter Leitung von Dirk Kaftan die beiden Kantaten Liszts erklingen.
Bei der Uraufführung der zweiten, am 29. Mai 1870, verstärkten übrigens Uraufführung 14 Musiker der Hofkapelle Sondershausen die Kollegen in Weimar. Das war damals übliche Praxis. Liszt selbst nannte die Sondershäuser „ein großes Wunder“. Eine Ausstellung, die darauf Bezug nimmt, wird heute im Schlossmuseum Sondershausen eröffnet.
2020 mit Karabits in Weimar und bei Nike Wagner in Bonn