Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wiedergebu­rt nach 120 Jahren

Liszts Weimarer Beethoven-Kantate erklingt in Sondershau­sen erstmals neu. Dafür sorgt Pfingstmon­tag der Landesjuge­ndchor

- Von Michael Helbing

Der Text klingt in unseren Ohren abstrus, gar gruselig, sagt Christoph Caesar. Er beschreibt, vom Sachsen Adolf Stern zusammenge­dichtet, Beethovens Geburt – weshalb Musikwisse­nschaftler Günther Massenkeil einst von der „säkularisi­erten Weihnachts­kantate“spottete. „Heil! Heil! Beethoven Heil!“, so lässt sich Geniekult vernehmen.

„Aber was da musikalisc­h losgeht, ist sehr, sehr interessan­t“, findet Caesar. Franz Liszt, der Beethovens Werk ohnehin in- und auswendig kannte und verehrte („Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst“), verwob das Hauptthema aus dessen „Erzherzog-Trio“mit dem ersten der großen „Eroica“, der 3. Sinfonie.

Die Rede ist von Liszts zweiter, der Weimarer Beethoven-Kantate. Eine erste brachte er 1845 „zur Inaugurati­on des Beethoven-Monuments zu Bonn“zur Aufführung. Ein Vierteljah­rhundert später folgte jene zur „Beethoven-Säkular-Feier des Allgemeine­n deutschen Musikverei­ns.“Wie der ersten, so stellte er der zweiten Kantate das Andante cantabile aus dem „Erzherzog-Trio“voran.

Auf allen großen Beethoven-Festen erklang sie danach. Für ein Konzert 1899 in München ist sie zuletzt verzeichne­t. 120 Jahre später wird aus „Beethovens Geburt“eine Wiedergebu­rt: Dafür sorgen am Pfingstmon­tag in Sondershau­sen Landesjuge­ndchor und -orchester: im Abschlussk­onzert der Liszt-Biennale Thüringen, die seit dem Mittwoch schon 13 Veranstalt­ungen im Land umfasste und an diesem langen Wochenende weitere 20 anbietet. zu Liszts Beethoven-Rezeption forschte, später in Weimar arbeitete und heute in Bremen lehrt. Plötzlich stieß man im Sächsische­n Staatsarch­iv Leipzig auf handschrif­tliches Orchesterm­aterial der Uraufführu­ng: Hier tauchten die Stimmen auf, mit vielen Korrekture­n der Musiker von einst versehen. Der Weimarer Musikwisse­nschaftler­in und Handschrif­tenexperti­n Evelyn Liepsch (Goethe- und SchillerAr­chiv) zufolge stammen einige der Eintragung­en von Liszt selbst.

Im „Work-in-progress“arbeiten aktuell Musikwisse­nschaftler an der wissenscha­ftlich-praktische­n Ausgabe; sie erscheint im Herbst im Musikverla­g Ries & Erler. Zudem hat man die Partitur, getragen von der LisztGesel­lschaft und von Thüringens Regierung zur Hälfte mitfinanzi­ert, neu digitalisi­ert. Vergleiche mit der Druckfassu­ng der Partitur von 1870 hatten gezeigt: einige Korrekture­n wurden übernommen, einige nicht.

In Sondershau­sen beginnt derweil eine neue Aufführung­skarriere. Die Kantate erklingt in einem Konzert, in dem unter anderem auch drei Klavierlie­der Clara Schumanns für sechsstimm­igen Chor A-Capella uraufgefüh­rt werden, transkribi­ert vom Komponiste­n Clytus Gottwald.

In einem Jahr, im Juni 2020, ist der Landesjuge­ndchor bei der Staatskape­lle Weimar zu Gast: Kirill Karabits, der sich jetzt als Weimars GMD verabschie­det, vollendet dann sein Projekt der Liszt-Raritäten, das er unter der Maßgabe angepackt hatte: „Franz Liszt, der hier viele Jahre die Hofkapelle leitete, ist in Weimar unterreprä­sentiert.“Karabits will die „Faust-Symphonie“aufführen und suchte nach einem Komplement­ärwerk. Als Caesar ihn der Kantate wegen ansprach, „nahm er das mit Kusshand sofort auf“, heißt es.

Damit nicht genug, hat Nike Wagner (Ururenkeli­n Liszts) den Chor zur Eröffnungs­matinée des Bonner Beethovenf­estes eingeladen, das sie leitet: Zusammen mit dem Beethoven-Orchester Bonn sollen im September 2020, im Beethoven-Jahr, unter Leitung von Dirk Kaftan die beiden Kantaten Liszts erklingen.

Bei der Uraufführu­ng der zweiten, am 29. Mai 1870, verstärkte­n übrigens Uraufführu­ng 14 Musiker der Hofkapelle Sondershau­sen die Kollegen in Weimar. Das war damals übliche Praxis. Liszt selbst nannte die Sondershäu­ser „ein großes Wunder“. Eine Ausstellun­g, die darauf Bezug nimmt, wird heute im Schlossmus­eum Sondershau­sen eröffnet.

2020 mit Karabits in Weimar und bei Nike Wagner in Bonn

 ?? FOTO: DIRK BERNKOPF ?? Nikolaus Müller dirigiert den Landesjuge­ndchor Thüringen der Landesmusi­kakademie – hier bei einem Konzert anlässlich der Tage der Chorund Orchester-Musik, die im vergangene­n März in Gotha stattgefun­den haben.
FOTO: DIRK BERNKOPF Nikolaus Müller dirigiert den Landesjuge­ndchor Thüringen der Landesmusi­kakademie – hier bei einem Konzert anlässlich der Tage der Chorund Orchester-Musik, die im vergangene­n März in Gotha stattgefun­den haben.

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