Stange sieht Stagnation
Der Jenaer, der einst als Trainer mit Weißrussland ein 2:2 gegen Deutschland schaffte, glaubt heute an keine neue Sensation
Bernd Stange erinnert sich noch gut an ein Telefonat, das er geführt hat, kurz bevor ihn sein ungewöhnlicher Weg 2007 nach Weißrussland führte. Da meldete sich ein gewisser Horst Hrubesch, damals Jugendtrainer beim Deutschen FußballBund (DFB), und berichtete, wie schön es doch sei in diesem Land im Osten Europas. Vor allem Minsk, die Hauptstadt, sei besonders. „Ich habe ihm erstmal nicht geglaubt“, sagt Stange jetzt, viele Jahre später. „Aber er hatte recht.“
Das konnte am Freitag auch die deutsche Nationalelf bestaunen, als sie am Abend in Weißrussland landete und an den vielen Parks der Stadt vorbei in ihr Hotel in Minsk fuhr. Die breiten Straßen und die Architektur erinnern an die Sowjetunion. FastFood-Filialen aus den USA verraten, dass auch hier längst der Kapitalismus die Wirtschaft prägt. Heute müssen es sich die Profis dann noch einmal im Bus bequem machen, weil ihr zweites Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 2020 im gut eine Stunde entfernten Borissow stattfindet. Eine Partie, in die Deutschland als klarer Favorit geht.
Auf ein Abschlusstraining verzichtet Aushilfs-Bundestrainer Marcus Sorg, der den nach einem Sportunfall fehlenden Joachim Löw vertritt. Die DFBAuswahl strebt nach dem Auftaktsieg in den Niederlanden den zweiten Erfolg in der EMQualifikation an. Am kommenden Dienstag folgt zum Saisonabschluss noch ein weiteres Punktspiel in Mainz gegen Estland. „Wir wollen mit neun Punkten in die Sommerpause gehen“, erklärte Sorg.
Zwischen dem DFB und dem weißrussischen Fußballverband existieren nur wenige Berührungspunkte. Vor fast sieben Jahren hat sich der FC Bayern in der Champions League gegen Bate Borissow (1:3) blamiert. 2008 erreichte Weißrussland in einem Testspiel gegen Deutschland ein 2:2. Genauer in jener Zeit also, in der Stange einer von den rund neun Millionen Einwohnern des Landes war. „Ich glaube aber nicht, dass so eine Überraschung noch mal möglich ist“, meint er. Der Fußball in Weißrussland stagniere. Die Nationalmannschaft steht nur auf dem Platz 81 der Fifa-Weltrangliste. Alexander Hleb, zuletzt der beste Fußballer des Landes, ist mit seinen 38 Jahren in die Jahre gekommen und steht noch nicht mal im weißrussischen Kader. Überhaupt merke man, so Stange, „dass Eishockey dem Präsidenten Alexander Lukaschenko wichtiger ist“.
Nicht nur dem Präsidenten. Auch die Weißrussen lieben es. An Spieltagen füllen sie die Eishallen. Zur ersten Fußballliga pilgern hingegen im Schnitt nur wenige Tausend Anhänger. Derzeit prangen an den Hauswänden in Minsk zudem Werbeplakate für die European Games vom 21. Juni bis zum 1. Juli. Für das heutige Fußball-Länderspiel wird nicht geworben.
Trotzdem hat Stange seine vier Jahre in Weißrussland genossen. „Ich kam gut mit der Mentalität der Menschen klar“, erzählt er. Das Kollektiv bedeute alles, Individualität nichts. Auch deswegen werde der Trainer mit großem Respekt behandelt. „Vielleicht konnte ich mich aufgrund meiner Vergangenheit besser darauf einlassen“, sagt Stange, der in der DDR aufgewachsen ist und dort als Trainer in Klub- und Auswahlteams tätig war. Derzeit lebt er in Jena.
Wie frei sich die Menschen in Weißrussland aber wirklich fühlen dürfen, ist umstritten. Viele Menschenrechtsorganisationen kritisieren Präsident Lukaschenko. Dieser regiert das Land bereits seit 1994 und versucht, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit massiv einzuschränken. Auch Großdemonstrationen gegen die Regierung ließ er brutal niederschlagen.
Stange selbst hat schon in vielen kritischen Regionen der Welt gearbeitet. Nach seinen desaströsen Erfahrungen in Syrien Anfang des Jahres gönnt er sich derzeit eine Auszeit. Das Spiel heute werde er aber gucken, sagt er, und vielleicht gebe es ja doch eine Sensation. „Die einzige Chance für Weißrussland ist, dass alles gegen sie spricht.“