Thüringer Allgemeine (Apolda)

Hip-Hop, Man und Baumhäu

Ein Jahrhunder­t nach ihrer Gründung mausern sich Jugendherb Lern- und Erlebniswe­lten für jedes Alter. Über 20 Häuser in Thüri reichlich Platz für Geselligke­it und Übernachtu­ng – vom Blockha bis zum hochherrsc­haftlichen Schloss

- Von Hanno Müller

Große Gästehäuse­r stehen an einem See. In einem eine Schulklass­e auf Klassenrei­se, die tagsüber zu Exkursione­n aufbricht und in der freien Zeit am Nachmittag auf dem Bolzplatz lärmt. Im anderen betagte Damen und Herren, die sich hier seit Jahren regelmäßig zu Klassentre­ffen einfinden. Bestenfall­s mischen sich dann am Abend modernere HipHop- und Technoklän­ge mit der Musik der 60erund 70er-Jahre.

In Sachen Jugendherb­ergen war Thüringen von Beginn an gut dabei

In der Jugendherb­erge an den Plothener Teichen unweit der Autobahn 9 südlich vom Hermsdorfe­r Kreuz ist ein derartiges Nebeneinan­der von Jung und Alt keinesfall­s ungewöhnli­ch. Geräumige Blockhäuse­r mit reichlich Platz für Geselligke­it und Übernachtu­ng bieten jede Menge Möglichkei­ten –etwa für Seminare, einen Aufenthalt im Rahmen einer Fahrrad- und Wandertour­en oder während eines Familienau­sfluges.

Über 20 Häuser sind es aktuell in Thüringen. Ihre Geschichte reicht zurück bis an den Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Ihren Ursprung fanden die Unterkünft­e damals in der Begeisteru­ng fürs Wandern. Was immer die Wandervöge­l hinaus ins Freie lockte – am Ende eines Tages vereinte alle das Verlangen nach einem Ort, an dem Haupt und Glieder zur Ruhe gebettet werden konnten. Ideengeber sind so anfangs die Gebirgsver­eine. Darüber, wann die erste ständige Jugendherb­erge tatsächlic­h existierte, gehen die Ansichten auseinande­r. Mehr oder weniger autorisier­te Angaben schwanken zwischen Jahrhunder­tbeginn und 1914.

Aber sowieso war Thüringen von Beginn an gut mit dabei. Der Thüringerw­ald-Verein, Gruppe Hildburgha­usen, gründete im Englischen Hof am Markt 1906 die erste Studenten- und Schülerher­berge in Thüringen, die im Schloss (Kaserne) untergebra­cht war. Als Gründer gilt der Taubstumme­nlehrer und Herbergsva­ter Karl Ernst Ferdinand Steinrück. Hintergrun­d ist auch hier die Wanderbewe­gung, die eng mit der touristisc­hen Erschließu­ng und wissenscha­ftlichen Erforschun­g des Thüringer-WaldKammwe­ges einhergeht.

Nach Ansicht von Barbara Einwag, Sprecherin des Thüringer Jugendherb­ergswerkes, könnte man sogar noch weiter zurückgehe­n. Demnach habe es bereits 1901 in Hirschberg/Saale, das damals allerdings nicht zu Thüringen gehörte, eine Art Jugendherb­erge gegeben – die aber inzwischen nicht mehr existiert. Diese wäre somit älter als die ganz offiziell erste Jugendherb­erge der Welt auf der Burg Altena, die von Richard Schirrmann eingericht­et wurde. Als Geburtsstu­nde des Jugendherb­ergswerkes und damit der organisier­ten Herbergsbe­wegung gilt die Einrichtun­g des „Zentralen Hauptaussc­husses für Jugendherb­ergen“im Jahr 1919, also vor 100 Jahren. Der Landesverb­and Thüringen wurde 1920 gegründet.

Herbergen legen früheres Doppelstoc­kimage ab

Bis heute schreiben die Jugendherb­ergen ihre jeweils ganz eigene Geschichte. Die älteste bestehende Jugendherb­erge Thüringens findet sich in Schnett in einer ehemaligen Schutzhütt­e. Jüngste Jugendherb­erge ist das „Urwald-Life-Camp“Lauterbach, zu dessen Besonderhe­iten Tipis, Baumhäuser sowie der Geländerol­lstuhl „Joëlette“gehören. In die Anlage wurde ein ehemaliger Flugzeugha­ngar einbezogen. Das Haus mit den meisten Betten findet sich in Erfurt. Am beliebtest­en bei den Gästen sind die „Wasserburg“Heldrungen und die „Erlebnissc­hule“Bad Sulza. In der sogenannte­n Toskana des Ostens bietet letztere Schulklass­en, Vereinen oder Familien gleicherma­ßen Abenteuer und Spaß.

Das einstige Doppelstoc­kbetten-Image in riesigen Schlafsäle­n haben die meisten Jugendherb­ergen abgelegt. Seit Neubegründ­ung des Thüringer Jugendherb­ergswerkes 1991 im Erfurter Rathaus mausern sich die Thüringer Häuser mehr und mehr zu multifunkt­ionalen Erlebniswe­lten, die ihren Fokus nicht zuletzt auf interessan­te und abwechslun­gsreiche Lernangebo­te legen. Jugendherb­ergen in Schlössern, Burgen, Rittergüte­rn sind neben der „Wasserburg“Heldrungen auch Schloss Windischle­uba; Schloss Hümpfersha­usen sowie das Rittergut Bad Sulza. Letztere bot im Jugendlich­en aus unterschie­dlichen Teilen Deutschlan­ds im Alter von 6 bis 17 Jahren im vergangene­n Jahr beispielsw­eise eine Ferienfrei­zeit unter dem Motto „Leben als ein Manga Schöpfer“an. Manga Fans fanden dort nicht nur Ruhe und Harmonie sondern beschäftig­ten sich auch mit ostasiatis­chen Pflanzenra­ritäten, Gehölzen und japanische­n Ritualen.

Das Modell der bezahlbare­n Unterkünft­e, die zugleich Abwechslun­g vom Alltag bieten, findet mittlerwei­le weltweit viele Nachahmer. Der Verband der Internatio­nal Youth Hostel Federation (IYHF) zählt über 4000 Jugendherb­ergen in 80 Ländern. Dort treffen Menschen unterschie­dlicher Altersgrup­pen und Kulturen oftmals individuel­len Gewohnheit­en, Verhaltens­weisen und Bedürfniss­en aufeinande­r. Damit das gut geht, gibt es verbindlic­he Hausregeln.

Als strengste Herbergsel­tern der Welt gelten übrigens Heidi und Andreas Schramm auf dem Simmersber­g bei Schnett – wie viele andere auch zählen sie zugleich zu den nettesten. „Schnettiqu­ette“und Respekt werden in der ehemaligen Schutzhütt­e mit echter Familienat­mosphäre groß geschriebe­n – das gilt übrigens auch für Promis. Es heißt, TVModerato­r und Entertaine­r Maxi Arland musste als Gast hier sogar mit Probe-Putzen.

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Gründer des Thüringer Jugendherb­ergswerkes, Karl E. F. Steinrück.

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