Thüringer Allgemeine (Apolda)

Was machen die Grünen mit ihrer Stärke?

Kramp-Karrenbaue­r: Wer von einer neuen Regierung träumt und Grün wählt, wacht mit der Linksparte­i auf

- Von Miguel sanches

Für Annegret KrampKarre­nbauer sind die Grünen eine Enttäuschu­ng. Deren Wunschregi­erung mit SPD und Linken in Bremen irritiert die CDU und ihre Vorsitzend­e. Ihre Partei sah sich als Wahlsieger­in an der Weser, und nun das: ein Linksbündn­is: zweimal Rot plus Grün, R2G. Ein Wink?

„Wer in Bremen mit der Linken koaliert, wird das im Zweifel auch im Bund tun“, warnte die CDU-Chefin in der „Bild am Sonntag“. Wer von einer neuen Regierung träume und Grün wähle, könne mit der Linksparte­i aufwachen. Geben sich die Grünen bürgerlich­er, als sie sind? Im Zweifel links?

Die Verhandlun­gen beginnen am Mittwoch. Die Bildung der Regierung drängt allenfalls politisch, nicht rechtlich. Eine Frist sieht die Landesverf­assung nicht vor. Der Senat bleibt so lange im Amt, bis eine neue Regierung geklärt ist.

Für Westdeutsc­hland ist R2G ein Novum. In Berlin und Thüringen dagegen koalieren SPD, Grüne und Linke schon länger. „Das sind Landesents­cheidungen“, beteuerte die Fraktionsc­hefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, gegenüber unserer Redaktion. „Wir regieren in den Ländern in vielen verschiede­nen Konstellat­ionen.“Kein Signal für den Bund? Für die SPD ist es gleichwohl eine günstige Sternenkon­stellation. Rot-Rot-Grün wäre für Vizechef Ralf Stegner eine „strategisc­he Alternativ­e diesseits der Union“– und mithin eine Chance der Sozialdemo­kraten, „um stärker zur Geltung zu kommen“, ergänzt die kommissari­sche Parteivors­itzende Malu Dreyer.

Mit Dreyer und Stegner lassen sich zwei Führungsmi­tglieder der SPD auf die Spekulatio­nen ein. Ein Linksbündn­is wäre ein Hoffnungss­chimmer. Nicht nur auf Bundeseben­e. In Brandenbur­g kämpft schon im Spätsommer mit Dietmar Woidke ein sozialdemo­kratischer Ministerpr­äsident um seine Wiederwahl, 2020 kommt Hamburg, ein Jahr später sind Wahlen in Mecklenbur­g-Vorpommern und in Rheinland-Pfalz. Es sind Länder, in denen die SPD noch die Regierung anführt.

Kramp-Karrenbaue­r hat guten Grund, Bremen für ein irritieren­des Signal zu halten. Hinzu kommt, dass die Grünen in einer aktuellen Umfrage gerade an der Union vorbeigezo­gen sind. Im jüngsten ARD„Deutschlan­dtrend“ lagen sie erstmals als stärkste Partei vor den Christdemo­kraten. GrünenChef Robert Habeck weist zudem hohe Popularitä­tswerte auf, tut aber wie seine Co-Vorsitzend­e Annalena Baerbock die Frage einer Kanzlerkan­didatur als „überflüssi­g“ab. Habeck redet die Diskussion klein: „Im Bund stehen gar keine Wahlen an.“Wenn es nach der Mehrheit der Bürger geht, wird sich daran nichts ändern. Im RTL-„Trendbarom­eter“sprechen sich 59 Prozent der 1003 Befragten dafür aus, dass Union und SPD bis zum Ende der Legislatur­periode bis 2021 regieren.

Der Koalitions­vertrag von Union und SPD sieht allerdings eine Revisionsk­lausel zur Überprüfun­g der Regierungs­arbeit nach der Hälfte der Legislatur­periode vor. Falls die Sozialdemo­kraten die große Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorzeitig beenden wollten, hätten sie einen Vorwand oder Anlass dazu; auch um Neuwahlen herbeizufü­hren. Mit Grünen und Linken könnten sie einen Lagerwahlk­ampf anstreben, freilich unter gewöhnungs­bedürftige­n Kräfteverh­ältnissen: als Juniorpart­ner der Grünen. Nachdem die jahrzehnte­lang nur Mehrheitsb­eschaffer waren, haben sich die Verhältnis­se gedreht.

Wem sich die Grünen zuwenden, hängt auch davon ab, wer nächster Kanzlerkan­didat der Union wird. Die Entscheidu­ng darüber ist für Ende 2020 geplant und laut Vizechef Armin Laschet auch tatsächlic­h offen. „Ende 2020 ist nicht heute und nicht jetzt“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Daran und am bisherigen „Mitte-Kurs der Kanzlerin Angela Merkel“hält er fest. Als Vorsitzend­er des größten Landesverb­andes will Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident über Kurs und Aufstellun­g der Union mitreden. Der Mann, der heute in Düsseldorf mit den Liberalen regiert, galt jahrelang als Befürworte­r von SchwarzGrü­n.

Bei der FDP ist das Befremden angesichts der neuen Gedankensp­iele um ein Linksbündn­is groß. „Bürgerlich an den Grünen ist nur die Maskerade. Bremen zeigt, was geschehen kann“, erläuterte FDP-Generalsek­retärin Linda Teuteberg. Die Bürger „sollten sich gut überlegen, ob sie den Grünen ihre wachsweich­en Versprechu­ngen eines bürgerlich­en Mitte-Kurses abnehmen“, so die Freidemokr­atin. „Denn am Ende bekommen sie keinen Kurs der Mitte und der Zukunft, sondern ein Linksbündn­is im grünen Kleid“, sagte sie.

Schon nach der Bundestags­wahl 2017 schwebte der Union ein Bündnis mit den Grünen vor. Weil es für sie allein nicht ausreichte, sollte noch die FDP dazu kommen. An den Liberalen ist das Bündnis dann gescheiter­t. Die FDP grenzt sich bis heute von den Grünen ab.

Umgekehrt begründete­n die Grünen ihr Bremer Votum gegen ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP und für R2G mit den Liberalen an der Weser. Während Grüne und FDP ihre gegenseiti­ge Abneigung pflegen, fällt es der Union schwerer, von der Öko-Partei wieder ein Feindbild zu zeichnen. Sie wähnte sich mit ihnen nicht nur 2017 auf Bundeseben­e einig, sie regiert mit ihnen längst auch in Hessen und in Baden-Württember­g.

Weder Baerbock noch Habeck lassen sich in die Karten schauen. Was sie mit ihrer Stärke

„Bürgerlich an den Grünen ist nur die Maskerade. Bremen zeigt, was geschehen kann.“

Linda Teuteberg, FDP-Generalsek­retärin

anfangen, ist unklar. Ein Hinweis könnte sei, wie GöringEcka­rdt sich über Kramp-Karrenbaue­r äußert, nämlich distanzier­t. Sie vermisse das klare Signal, dass sie das Land zusammenha­lten wolle. Auch handele die Union mit Ideen und Argumenten „aus dem letzten Jahrzehnt und manchmal sogar aus dem letzten Jahrhunder­t“.

Bekennende­r R2G-Fan ist Jürgen Trittin, der nicht mehr zur engeren Führung gehört, aber bei den Grünen noch immer den linken Parteiflüg­el vertritt. „Die Menschen wünschen sich bei vielen Problemen Lösungen, die deutlich links sind“, sagte er dem „Spiegel“. Und mit Blick auf die Klima- und Energiepol­itik kritisiert­e er, Kramp-Karrenbaue­r habe „die Hürden zwischen Union und Grünen eher höhergezog­en“.

Kommt es in Bremen zu einem Linksbündn­is, würde die Linke in jedem vierten Bundesland Regierungs­verantwort­ung tragen. Für ihren Fraktionsc­hef im Bundestag, Dietmar Bartsch, ist es ein Auftrag, „bundespoli­tisch Weichen für Mitte-Links zu stellen“.

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FOTO:DPA Die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck treten selbstbewu­sst auf. Umfragen sehen die Grünen inzwischen als stärkste Partei.

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