„Ich möchte vorangehen“
Nationalspieler Julian Brandt über den Neuaufbau im DFB-Team, die Gründe für seinen Wechsel nach Dortmund und familiäre Stärke
Im ersten Interview nach seinem Wechsel von Bayer Leverkusen zu Borussia Dortmund spricht Julian Brandt (23) über seine Gründe, den Neuaufbau im DFB-Team – und wie er sich eine Führungsrolle vorstellt.
Wie erwachsen fühlen Sie sich?
Ich merke so langsam schon die Jahre in den Füßen und in den Beinen. Ich bin ja bereits auf viele Spiele gekommen, natürlich nutzt sich da der Körper mit der Zeit etwas ab. Das ist jetzt Meckern auf hohem Niveau, aber ich werde nicht jünger
Es wird viel über den Zustand der verjüngten Nationalelf diskutiert. Wie reif ist das Team?
Man sollte uns noch Zeit geben bis zur Europameisterschaft 2020. Wir müssen weiter zusammenwachsen, uns weiter kennenlernen. Aber die Entwicklung ist positiv. Das Besondere ist, dass jetzt viele Verantwortung übernehmen müssen.
Was hat das für Folgen?
Man muss jetzt selbst ein Spieler sein, an dem sich andere orientieren. Das ist nicht so einfach, das muss wachsen und reifen. Es ist ein Schritt, für den wir noch etwas Zeit brauchen.
Auch Sie persönlich? Sie gehören ja mittlerweile mit 25 Länderspielen zu den Erfahreneren.
Das stimmt, obwohl es mir selbst manchmal noch so vorkommt, als wäre ich dabei, mich richtig einzufinden. Aber daran merkt man, wie die Zeit rennt. Ich bin kein lautstarker Typ wie Joshua Kimmich, auch nicht wie Thomas Müller, der nur am Quatschen ist Aber auch ich merke, wie ich jetzt im Training vorangehen möchte. Ich sehe mich in der Pflicht, meinen Beitrag zu leisten, der Mannschaft fußballerisch Halt zu geben.
Also wollen Sie sich auf dem Spielfeld eher wie Mesut Özil einbringen, dem viele Mitspieler genau diese besondere Fähigkeit bescheinigen?
Mesut war jemand, den man zwar auf dem Platz nicht so oft gehört hat, aber er konnte ein Spiel leiten, ihm eine Richtung vorgeben. In manchen Momenten konnte er nur durch einen grandiosen Pass Euphorie auslösen. Das ist auch mein Ansatz. Ich zähle sicher nicht zur Kategorie „Viel rumschreien“.
Sprechen wir über den 2:0Sieg gegen Weißrussland. Ein klassischer Arbeitssieg?
Jeder verlangte von uns, dass wir das Spiel gewinnen, und das haben wir gemacht. Wie erwartet hat sich Weißrussland tief hinten reingestellt. Natürlich hat bei uns noch nicht alles funktioniert, da viele aus einem kurzen Urlaub gekommen sind. Aber dafür, dass wir nur ein paar Tage zusammen trainiert haben, war es schon ganz okay.
Sie saßen auf der Bank; kamen in der 76. Minute. Enttäuscht?
Ich gehe nicht mit irgendwelchen Forderungen in einen Lehrgang, deswegen war ich glücklich über die Zeit, die ich spielen durfte.
Aber gegen Estland darf es schon mehr sein?
Es ist ja kein Geheimnis, dass jeder Spieler von Anfang an spielen möchte – und auch so lange, wie es geht.
Sie wechseln nach Dortmund, wo der Konkurrenzkampf auch groß ist. Sie hätten es sich in Leverkusen bequem machen können. Warum das Risiko?
Mir fiel es nicht leicht, Leverkusen zu verlassen. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt Bock auf was Neues habe. Ich möchte mich neu beweisen. Es kann mir guttun, neue Herausforderungen zu bewältigen.
Was ist beim BVB anders?
Die Qualität ist höher. Die Größenordnung ist noch mal eine andere.Daserkenntmanander Fanszene, aber auch an der internationalen Reichweite. Und der Druck ist beim BVB größer – auch medial. Als Dortmund vergangene Saison erst viele Punkte Vorsprung und dann eine Schwächephase hatte, wurde darüber breit diskutiert. Als wir mit Leverkusen Zehnter waren, hatte man nicht den Eindruck, dass es Empörung darüber gäbe.
Und jetzt gewinnen Sie in der kommenden Saison die Meisterschaft und den EM-Titel?
Es wäre natürlich schön, wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass es ähnlich spannend wird wie in der vergangenen Saison. Aber ich bin immer relativ vorsichtig bei der Zielformulierung. Ich muss erstmal ankommen, den Verein und die Mannschaft kennenlernen. Dann werde ich ein Gefühl dafür bekommen, was möglich ist. Das weiß Marco vermutlich besser. Das ist ja ein offenes Geheimnis, dass er die Meisterschaft holen will.
Sie meinen Marco Reus. Wie verstehen Sie sich mit ihm?
Wir verstehen uns gut. Wir sitzen hier in der Kabine nebeneinander. Ich habe vor meinem Wechsel viel mit ihm gesprochen. Er ist ein fantastischer Spieler. Und Marco ist auch ein Grund, warum ich mich für Dortmund entschieden habe.
Wie fühlt es sich an, bei einer Ablöse von 25 Millionen Euro als Schnäppchen zu gelten?
Man darf sicher nicht vergessen, dass das viel Geld ist. Aber in diesem Geschäft werden nun mal hohe Summen gezahlt und ich bin nur ein Teil des Ganzen.
Sie haben es nach ganz oben geschafft. Liegt das an richtiger Planung, an harter Arbeit oder gehört vor allem Glück dazu?
Natürlich spielt auch Glück eine Rolle. Aber bislang habe ich immer aus dem Bauch heraus entschieden. Ich mache das, worauf ich Bock habe. Das hilft mir. Außerdem habe ich meiner Mutter zu verdanken, dass ich mich nie wirklich schwer verletzt habe.
Seitdem ich ein Kind bin, werde ich vor allem osteopathisch und homöopathisch behandelt. Es gibt viele, die das belächeln. Aber ich wurde so aufgezogen, sogar unser Hund bekommt etwas. Und ich habe mir nie was Schweres zugezogen. Das ist die Basis für eine gelungene Karriere. Meine Mutter ist die Basis, warum alles so gut lief.
Sie scheinen sehr familiär.
Ja, ich habe eine absolut intakte Familie, sie gibt mir Rückhalt. Mein Vater berät mich. Mit dem älteren meiner beiden Brüder habe ich lange in Köln zusammengewohnt. Der andere spielt bei Werder Bremen, vielleicht steht er irgendwann mal gegen mich auf dem Platz.
Was bedeutet Ihnen da Heimat?
Es gibt die einen, die auf Weltreise gehen. Ich bin im Urlaub möglichst lange zu Hause. Da habe ich Ruhe. Das ist auch ein Privileg.