Thüringer Allgemeine (Apolda)

Vettel rast vor Wut

Formel 1: Der Ferrari-Pilot fährt beim Großen Preis von Kanada zwar als Erster durchs Ziel, wird nach einer Zeitstrafe aber nur Zweiter hinter Hamilton

- Von Elmar Brümmer

Es dauert nur einen Wimpernsch­lag nach der Zieldurchf­ahrt, da ist die Reihenfolg­e des Großen Preises von Kanada auf den Kopf gestellt, jedenfalls was die ersten beiden angeht: 1:29,05,742 Stunden lautet die Zeit von Sebastian Vettel, die dann keine Siegerzeit mehr ist. Der Computer schlägt sofort fünf Strafsekun­den für das Abdrängen von Lewis Hamilton drauf, damit gewinnt der Brite zum siebten Mal in Kanada, und zum siebten Mal in dieser Formel-1Saison gelingt es Ferrari nicht, die Silberpfei­le zu schlagen.

Die 48. Runde ist eine, die über den weiteren Verlauf der ganzen Saison entscheide­n kann, an ihr könnten der Hesse und Ferrari trotz Formsteige­rung endgültig zerbrechen. Vettel, der den Start souverän kontrollie­rt hat, wird schon seit einigen Runden von dem wieder bis auf eine halbe Sekunde herangekom­menen Titelverte­idiger angegriffe­n. Vor Kurve drei gerät er unter großer Bedrängnis von der Piste ab, rutscht auf dem Gras weg, bekommt das Auto mit wilden Lenkbewegu­ngen gerade noch so unter Kontrolle, kürzt durch die Auslaufzon­e ab und schlittert in Kurve vier quer über den Asphalt genau auf die Ideallinie, auf der Hamilton heranbraus­t. Der Brite muss runter vom Gas, würde sonst in der Mauer oder im Gegner landen. Er funkt ein trockenes „Das war gefährlich“an die Box, es ist eine Aufforderu­ng an die Rennkommis­sare, zu ermitteln. Unter Führung des Passauer Funktionär­s Gerd Ennser dauert es nicht lange, bis der Fall verhandelt ist. In Runde 58 bekommt Vettel eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrumm­t: Abdrängen eines Gegners und gefährlich­e Rückkehr auf die Strecke.

„Ich habe das Heck verloren“, sagte Vettel nach dem Rennen, „Und hatte alle Hände voll zu tun, mein Auto wieder unter Kontrolle zu bringen. Wie nah Lewis war, konnte ich nicht ahnen.“Der Sachverhal­t ist unstrittig, über das Urteil wird heftig debattiert. Vettel macht über die verbleiben­den 22 Runden ein Klage-Hörspiel daraus.

Der Heppenheim­er, der mit einer sensatione­llen Qualifikat­ionsrunde die erste Pole-Position seit Juli 2018 geholt hatte, schaltet stufenlos immer höher in den Motz-Modus: „Sie wollen uns den Sieg stehlen!“Hamilton bekommt lediglich die Anweisung, den Abstand so gering wie möglich zu halten: „Guck ihm ins Getriebe!“Das macht der Champion auch, unter anderen Umständen hätte er wohl noch einen Überholver­such gewagt.

„Das ist nicht fair. Ich verstehe die Welt nicht mehr“, haderte Vettel nach dem Rennen. Dann driftet sein Verhalten nochmal völlig ab, diesmal zu Fuß. Er stellt den Ferrari nicht wie vorgeschri­eben im Parc Fermé ab, sondern schiebt ihn selbst zu einer anderen Stelle. Durch die Mercedes-Garage, ausgerechn­et, stürmt er zurück in die Boxengasse. Dort steht Hamiltons Siegerpfei­l vor dem Schild mit der großen Nummer Eins, rechts Kollege Charles Leclerc auf Position drei. Vettel nimmt den Aufsteller mit der Zwei, die vor seinem leer gebliebene­n Parkplatz steht und tauscht sie mit der Eins vor dem Mercedes. Die Ferrari-Mechaniker applaudier­en zu dem Schildbürg­erstreich.

Oben, auf dem Siegerpodi­um, legt Hamilton den Arm um die Hüfte des Kontrahent­en und zieht ihn für einen Moment auf die oberste Stufe. Später wird er sagen, dass er immer gewinnen will, aber so eben nicht. Die Fans buhen Hamilton aus, da geht Vettel dazwischen und fordert das Publikum auf, das zu lassen: „Buht die aus, die so entschiede­n haben. Lewis kann nichts dafür.“Doch so wird man Weltmeiste­r.

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FOTO: DPA Sebastian Vettel vertauscht die Nummerntaf­el für den ersten und zweiten Platz.

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