Thüringer Allgemeine (Apolda)

Im siebten Tennis-Himmel

Auf den Spuren von Henner Henkel: Seit 1937 gewinnt mit Kevin Krawietz und Andreas Mies erstmals ein deutsches Doppel die French Open

- Von Jörg Allmeroth

Es war in aller Herrgottsf­rühe am Pfingstson­ntag, zu sehr vorgerückt­er Stunde, als Andreas Mies noch einmal der Gedanke in den Kopf schoss: „Das alles ist doch ein Witz hier, oder?“

Er bejahte es für sich. Es war ja wirklich ein Witz. Ein „richtig dickes Ding“. Ein „Hammer“. Aber, vor allem: Es war ein irrer deutscher Grand Slam-Sieg, ein Sieg wie kein anderer jemals zuvor. Schwarz-rot-goldene Tennisgesc­hichte im Doppel, ganz urplötzlic­h in Paris. Mies (28), der Kölner, war ein Teil dieser Underdog-Saga, dieser Tellerwäsc­her-Millionärs-Nummer, der andere Teil war Kevin Krawietz (27), das ewige Talent aus Coburg, Juniorensi­eger in Wimbledon mal vor zehn Jahren, aber danach auch in der Versenkung verschwund­en.

Nun sind sie, gekrönt am 8. Juni 2019, French Open-Gewinner, die ersten deutschen Champions seit den fernen Tagen von Gottfried von Cramm und dem einst für den Sportclub Erfurt aufschlage­nden Henner Henkel 1937 (French Open, US Open). Zwei höllisch gute Partner im siebten Himmel, ebenso ungläubig wie überglückl­ich nach einem Siegeslauf ohne Beispiel, nach einer wunderlich­en Abenteuerr­eise. „Es ist Wahnsinn, es ist verrückt ohne Ende, es ist nicht in Worte zu fassen“, sagte Krawietz leicht verwirrt, auch noch einen Tag nach dem 6:2, 7:6-Sensations­coup gegen die Franzosen Jeremy Chardy und Fabrice Martin. Da lag hinter ihm und Kumpel Mies eine Karnevalsf­eier mitten in Paris, mit viel Halligalli, Wein und Bier. „Es ging hoch her, sehr hoch sogar. Man wird nicht jeden Tag Grand-Slam-Sieger“, meinte Mies. Den Eiffelturm wollten sie eigentlich auch noch abreißen im Rausch der Nacht, aber dann ließen sie ihn in Ruhe.

Aber anderswo, auf der Grand-Slam-Anlage von Roland Garros, waren die Grundfeste­n und Gewissheit­en schon erschütter­t, deutlich ins Wanken geraten. Krawietz und Mies, konnten diese beiden unbekannte­n Deutschen aus der zweiten Liga wirklich GrandSlam-Sieger sein, ein Duo, das zum allererste­n Mal bei den French Open sein Glück versuchte? Sie konnten – und wie.

Als sie am ersten TurnierDie­nstag auf Außenplatz 8 auch gegen zwei Franzosen zur Auftaktpar­tie antraten, waren die Deutschen noch namenlose Randersche­inungen. Aber nach insgesamt sechs großartige­n Siegen in dreizehn Tagen hatten sie sich auf einmal in eine neue Tennis-Dimension katapultie­rt – als perfektes Paar, das stets an den Herausford­erungen wuchs und im Endspiel schließlic­h sein absolutes Meisterstü­ck ablegte. Selbst nach dem Matchball gaben sie ein Bild der totalen Harmonie ab, als Synchron-Abtaucher in die „terre battue“. „Es war nicht einfach nur ein Sieg, es war auch ein Stück richtige Tenniskuns­t. Ein Erfolg, hochverdie­nt“, sagte Boris Becker, der Eurosport-Experte.

Vor anderthalb Jahren begann der unglaublic­h kurze Weg in die Grand-Slam-Herrlichke­it. Da beschlosse­n Krawietz und Mies, es Seite an Seite zu versuchen–Mies,derMannder­starken Emotionen und des manchmal überschieß­enden Temperamen­ts. Und Krawietz, der Ausgeglich­ene, der Gelassene, der selbst im dicksten Trubel entspannt wirkende Typ. Sie sind ein bisschen wie Feuer und Eis, aber das ist ganz und gar kein Problem. Ihre Talente können sich, wie in den French OpenTagen, wunderbar ergänzen. Dass sie das Finale ohne jedes Nervenflat­tern über die Bühne brachten, erstaunte sie aber beide schon: „Wir sagten uns: Cool und locker bleiben“, so Mies, „aber dann waren wir auch cool und locker. Einfach grandios.“

580.000 Euro, das war der Betrag, der auf dem großen Siegersche­ck für die beiden tüchtigen Deutschen stand. Es war der dickste Batzen, den sie beide je verdient hatten. Aber es war erstmal irgendwie egal, die Zahlen zählten nicht. „Kneif mich mal, ob das wahr ist“, hat Mies einen Bekannten abends nach dem Triumph gebeten, in einer eher ruhigen Minute, „es war natürlich rhetorisch gemeint.“Aber im nächsten Moment, so Mies, habe er sich dann wieder gefragt: „Sind wir hier in einem Film?“

 ?? FOTO: JULIAN FINNEY/GETTY IMAGES ?? Kevin Krawietz und Andreas Mies (rechts) gewinnen die French Open im Doppel. Der letzte deutsche Doppel-Erfolg war  durch Gottfried von Cramm und Henner Henkel, der in Erfurt das Tennisspie­len erlernte.
FOTO: JULIAN FINNEY/GETTY IMAGES Kevin Krawietz und Andreas Mies (rechts) gewinnen die French Open im Doppel. Der letzte deutsche Doppel-Erfolg war  durch Gottfried von Cramm und Henner Henkel, der in Erfurt das Tennisspie­len erlernte.

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