Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Gefahr für den sozialen Frieden“

Studie: Armutsball­ung in den benachteil­igten Vierteln der deutschen Städte nimmt auch durch Zuzug von Ausländern zu

- Von Sibylle Göbel

In vielen Städten nimmt die soziale Spaltung weiter zu – und verschärft wird diese Entwicklun­g durch den Zuzug von zumeist einkommens­schwachen Zuwanderer­n. Das ist die zentrale Aussage einer jetzt vom Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung (WZB) vorgelegte­n Studie.

Der Erfurter Professor Marcel Helbig und seine Kollegin Stefanie Jähnen haben dafür die sozialräum­liche Verteilung in 86 Städten – darunter in Gera, Jena, Weimar und Erfurt – in den Jahren 2014 bis 2017 untersucht. Die soziale Lage von insgesamt 3770 Stadtteile­n bewerteten sie anhand des Anteils von HartzIV-Empfängern.

Zu den wichtigste­n Ergebnisse­n der Studie gehört, dass Menschen ohne deutschen Pass, also Asylsuchen­de, Zuwanderer aus EU-Ländern sowie weitere Zuwanderer, vor allem in die ärmsten Professor Marcel Helbig

Stadtviert­el gezogen sind. Über alle Städte hinweg sei damit der Ausländera­nteil dort am stärksten gestiegen, wo die meisten armen Menschen wohnen, heißt es.

Dieser Zusammenha­ng sei in den 20 untersucht­en ostdeutsch­en Städten zudem „deutlich stärker“als in den westdeutsc­hen, sagen die Wissenscha­ftler. In Ostdeutsch­land sei der

Ausländera­nteil in den Vierteln der Besserverd­ienenden in den vier Jahren lediglich um 0,7 Prozentpun­kte gestiegen, während er in den sozial am meisten benachteil­igten Vierteln um das Zehnfache (7,4 Prozentpun­kte) gewachsen sei. Demzufolge seien gerade die Problemvie­rtel mit Integratio­nsaufgaben belastet.

Dabei sei es im Osten schon vor der Flüchtling­swelle zu einer Verschärfu­ng der räumlich ungleichen Verteilung von armen Menschen gekommen: 2017 lagen der Studie zufolge 9 der 10 Städte, in denen sich einkommens­schwache Menschen besonders ungleich über die Stadt verteilten, im Osten Deutschlan­ds. Auch 10 von 12 Städten, in denen die räumliche Trennung sozialer Gruppen am stärksten zugenommen hat, seien in den neuen Bundesländ­ern zu finden. In vielen westdeutsc­hen Städten habe sich die sozialräum­liche Spaltung dagegen leicht abgeschwäc­ht.

Für die großen Unterschie­de zwischen den Städten sind aus Sicht der Forscher zwei Merkmale ausschlagg­ebend: das Steueraufk­ommen und der Wohnungsle­erstand. Demnach verteilten sich in wirtschaft­lich prosperier­enden Städten Zugewander­te gleichmäßi­ger über die Stadt – in Städten mit hohem Wohnungsle­erstand sei der Ausländera­nteil in den sozial eher ungünstige­n Lagen besonders stark gestiegen.

Dass viele Zugewander­te in Problemvie­rteln leben, habe damit zu tun, dass dort die Mieten mit den sogenannte­n Kosten der Unterkunft, die der Staat für Empfänger von Sozialleis­tungen übernimmt, im Einklang stehen. „Die ökonomisch­en Regeln des Wohnungsma­rktes haben gerade dazu geführt, dass sich Zuwanderun­g nicht homogener über die Städte verteilte“, sagt Professor Helbig

In den ostdeutsch­en Städten komme hinzu, dass viele Asylbewerb­er nicht in den Kleinstädt­en oder Landkreise­n bleiben, in denen sie ursprüngli­ch untergebra­cht wurden.

Die Autoren der Studie halten es zwar im Sinne einer gelingende­n Integratio­n für besser, Zuwanderer in den Vierteln der besser Verdienend­en unterzubri­ngen. Ihnen ist aber auch bewusst, dass man alteingese­ssenen einkommens­schwachen Menschen nicht erklären könnte, dass für Zuwanderer „nicht die gleichen Regeln beim Wohnraum gelten wie für sie“.

In vielen von Armut geprägten Quartieren habe sich die Situation so weit verschärft, dass es zunehmend schwierige­r werde, den Abwärtstre­nd mit wohnungsun­d sozialplan­erischen Maßnahmen zu stoppen.

Für die Politik bestehen aus Sicht der Forscher zwei zentrale Handlungsf­elder, um dem entgegenzu­steuern: Zum einen müssten die negativen Folgen der Entmischun­g abgemilder­t werden – etwa durch die bedarfsori­entierte Mittelzuwe­isung für Bildungsei­nrichtunge­n für Kinder und Jugendlich­e. Zum anderen aber müsse das Ausmaß der Entmischun­g begrenzt werden. Das könne über stärkere Eingriff des Staates beziehungs­weise der Kommunen in den Wohnungsma­rkt erfolgen.

„Die ökonomisch­en Regeln des Wohnungsma­rktes haben dazu geführt, dass sich Zuwanderun­g nicht homogener verteilte.“

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