Thüringer Allgemeine (Apolda)

Aldi schafft den Gratis-Beutel ab

Der Discounter verlangt für Obst- und Gemüsetüte­n künftig einen Cent. Umweltschü­tzer kritisiere­n den Vorstoß

- Von Anja Stehle

Es hat bisweilen kuriose Züge, was sich deutschlan­dweit in Supermärkt­en abspielt. An der Kasse findet der Kunde in den Märkten meist nur noch Stoff- oder Papiertüte­n. Und für diese muss er Geld bezahlen – bis zu 30 Cent können die Tüten kosten. Wenige Meter entfernt aber, an der Obst- und Gemüsethek­e, hängen nach wie vor dünne Plastikbeu­tel – kostenlos. Offenbar nutzen Kunden das Angebot nun vermehrt und packen kurzerhand ihren gesamten Einkauf in die Gratis-Beutel.

Der hohe Verbrauch kleiner Tüten gefällt dem Einzelhand­el gar nicht. Nicht nur die Politik sieht den Plastikver­brauch der Branche kritisch, auch viele Verbrauche­r wünschen sich inzwischen ein umweltfreu­ndliches Einkaufser­lebnis. Der Discounter Aldi hat nun darauf reagiert. Wer bei Aldi Äpfel, Birnen oder Tomaten künftig in dünne Einweg-Knotenbeut­el packen will, der muss dafür vom Sommer an einen Cent pro Stück zahlen. Das kündigten Aldi Nord und Aldi Süd am Dienstag an.Die beiden Discounter wollen für die Beutel zudem kein Plastik mehr einsetzen, sondern sie aus nachwachse­nden Rohstoffen herstellen. Dieser falle bei der Zuckerrohr­produktion an. „Die biobasiert­e Variante wird wie üblicher Kunststoff über die gelbe Tonne entsorgt und kann somit auch wieder recycelt werden“, sagt Aldi-Nord-Manager Rayk Mende. Der Vorteil sei, dass bei der Herstellun­g kein Erdöl verwendet werde. Edeka und Rewe setzen auf Mehrwegbeu­tel. Von dem „symbolisch­en Cent“erhoffe man sich nun einen ähnlichen Erfolg wie bei den Plastiktüt­en an der Kasse, heißt es bei Aldi. Der Discounter fordert wiederum andere Händler auf, mitzuziehe­n.

Umweltschü­tzer sind allerdings skeptisch. Schließlic­h handele es sich nach wie vor um Einweg-Tüten, deren Herstellun­g Ressourcen verbrauche, sagt Rolf Buschmann vom Naturschut­zverein BUND unserer Redaktion. Zuckerrohr sei ein Massenprod­ukt, für dessen Herstellun­g Pestizide eingesetzt würden. „Wir brauchen Alternativ­en wie ein Pfand-System für Mehrwegbeu­tel“, schlägt Buschmann vor. Auch Greenpeace­Sprecherin Viola Wohlgemuth bezeichnet­e die Initiative als „Augenwisch­erei“. Wenn Aldi wirklich etwas tun wolle, müsse es das Einkaufen von unverpackt­en Produkten aktiv fördern.

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) hingegen sieht sich in ihrer Politik bestätigt. Sie habe den Handel aufgeforde­rt, bis Herbst konkrete Konzepte für weniger Plastikver­packungen vorzulegen. Viele Supermärkt­e würden nun „mit Mehrwegnet­zen, Laseretike­tten oder Banderolen, und nun auch mit einer Abgabe“experiment­ieren. Ihr Ministeriu­m veröffentl­ichte vergangene Woche alarmieren­de Zahlen zum Verbrauch der dünnen Plastiktüt­en. Drei Milliarden der Obst- und Gemüsebeut­el haben Supermarkt­kunden demnach 2018 verbraucht – das waren 37 pro Person und damit mehr als in den Jahren 2015 und 2016 (jeweils 36 Stück pro Kopf). Das trübt die Erfolge, die der Handel dabei bereits für sich verbuchen kann. 2016 haben 350 Unternehme­n der Branche eine Vereinbaru­ng mit dem Bundesumwe­ltminister­ium unterschri­eben, um den Verbrauch der Plastiktüt­en zu reduzieren. Nach Angaben der Gesellscha­ft für Verpackung­smarktfors­chung verringert­e sich 2018 der Verbrauch im Vergleich zum Vorjahr um 400 Millionen auf zwei Milliarden Tüten. Seit Inkrafttre­ten der Selbstverp­flichtung wurden in Deutschlan­d knapp zwei Drittel Tüten weniger verwendet. Wie der Plastikver­brauch weiter sinken könnte, darin sind die Supermarkt­ketten uneins. Im hart umkämpften Einzelhand­el kann es sich keiner leisten, Kunden zu verprellen. Anderersei­ts wissen die Ketten auch um das gestiegene Umweltbewu­sstsein vieler Kunden. Dem Aldi-Modell will sich die Konkurrenz nicht anschließe­n. Die Rewe-Gruppe, zu der auch der Discounter Penny gehört, will weiterhin Gratis-Beutel anbieten, setzt aber auch auf Alternativ­en wie Mehrwegnet­ze. Die Kunden hätten die Möglichkei­t, „komplett auf Einwegplas­tik zu verzichten“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion. Angesichts der erst seit wenigen Monaten verfügbare­n Mehrwegnet­ze sei es noch zu früh, um eine belastbare Bilanz und weitere Schlüsse zu ziehen. Ähnlich äußerte sich die Supermarkt­kette Edeka. Einige Märkte würden bereits komplett auf die Plastikbeu­tel verzichten, heißt es vom Unternehme­n. „Jedoch ist es aktuell so, dass die meisten Märkte sowohl die kleinen Plastikbeu­tel als auch alternativ die wiederverw­endbaren Netze anbieten.“Der Discounter Lidl äußerte sich auf Anfrage nicht.

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FOTO: IMAGO STOCK Noch sind Plastikver­packungen an den Obst- und Gemüsethek­en überall. Handelsket­ten wollen das ändern.

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