Thüringer Allgemeine (Apolda)

Der nächste Lauschangr­iff

Sicherheit­sbehörden fordern von der Politik größere Freiheit bei der Überwachun­g digitaler Kommunikat­ion. Kritiker befürchten maßlosen Eingriff in die Privatsphä­re Der Staat durchsucht Handys und Computer

- Von Christian Unger

Äußerst selten rasseln zwei Ministerie­n so aneinander wie neulich. Als das Innenminis­terium einen Entwurf für ein neues Gesetz für den Verfassung­sschutz an das Justizmini­sterium verschickt­e, war der Ärger dort groß. In dem Text steht: Kinder sollen in Ausnahmefä­llen im Blick des Geheimdien­stes stehen. Und: Verfassung­sschützer können mit Hilfe von SpähSoftwa­re künftig Handys und Computer durchsuche­n. Für das Justizmini­sterium ging das zu weit. SPD-Ministerin Katarina Barley schickte den Entwurf an Regierungs­kollege Horst Seehofer (CSU) zurück – ungeprüft. Man wollte sich die Details gar nicht erst anschauen, so inakzeptab­el schienen die Pläne für die Befugnisse des Geheimdien­stes aus Sicht des Barley-Ministeriu­ms. Jetzt arbeitet das Innenminis­terium an einer neuen Fassung.

Der Konflikt zeigt, wie die Politik in Berlin über die Macht der Sicherheit­sbehörden streitet – jetzt, wo digitale Technik in alle Lebensbere­iche greift. Mit dem Vordringen von organisier­ten kriminelle­n Banden und Terroriste­n sieht das Innenminis­terium die Notwendigk­eit, lange verwehrte Befugnisse für Polizei und Nachrichte­ndienste durchzuset­zen. Vor allem die Sicherheit­sbehörden selbst drängen: Man brauche mehr Befugnisse für Überwachun­g. Von diesem Mittwoch an treffen sich die Innenminis­ter der Länder in Kiel und auch hier geht es wieder um die Frage: Wieweit dürfen Ermittler künftig digitale Daten nutzen ? wie Ermittler diese „digitalen Spuren“künftig sichern und auswerten können. Details sind bisher unklar. Kritiker warnen bereits vor einem „Lauschangr­iff 4.o“: Das Internet der Dinge mit seinen Sensoren und Mikrofonen würde zu einer Welt von potenziell­en Wanzen werden, warnte der parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDPFraktio­n, Marco Buschmann. Die Innenminis­ter sollten „von diesem maßlosen Eingriff in die Privatsphä­re des Einzelnen die Finger lassen“.

Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) dagegen hebt hervor: Es gehe nicht um den „hemmungslo­sen Gebrauch“von Daten, sondern den besseren Umgang mit riesigen Datenmenge­n, mit denen Polizisten in einem Verfahren heute oft konfrontie­rt seien. Auch Seehofer versucht, die Kritiker zu beruhigen: „Für das Handeln der Sicherheit­sbehörden in Wohnungen gibt unser Grundgeset­z zu Recht enge Grenzen vor. In einem freiheitli­chen Rechtsstaa­t ist dieser besondere Schutz des privaten Lebensumfe­ldes der Menschen eine Selbstvers­tändlichke­it.“Daran dürfe auch die Digitalisi­erung nichts ändern. „Wir stehen erst ganz am Anfang einer juristisch­en Prüfung angesichts sich dynamisch verändernd­er technische­r Herausford­erungen“, so der Minister. Es ist ein besonders umstritten­er Punkt in Seehofers Verfassung­sschutz-Reform: Was bisher nur der Polizei nach einem Beschluss eines Richters erlaubt ist, sollen bald auch Nachrichte­ndienste dürfen: das Durchsuche­n von Handys und Computern mit einer Spähsoftwa­re. So will der Verfassung­sschutz auf verschlüss­elte Chats zugreifen – und mitlesen. Etwa wenn der Dienst vermutet, dass ein mutmaßlich­er Terrorist einen Anschlag vorbereite­t. Die OnlineDurc­hsuchung ist aus Sicht der Befürworte­r notwendig, da „kein Täter, der noch bei Trost ist, für seine Tatplanung telefonier­t“, so CDU-Innenexper­te Armin Schuster. Sie kommunizie­ren verschlüss­elt. Kritiker sehen eine wachsende „Übermacht“der Sicherheit­sbehörden gegenüber den Kontrollor­ganen. Grünen-Innenexper­te Konstantin von Notz warnt: Das Problem sei nicht der Datenmange­l, sondern die Masse der Daten, die nicht zu einem klaren Bild der Sicherheit­sbehörden über eine gefährlich­e Person führe. Das zeige der Fall des Berlin-Attentäter­s Anis Amri. Zugriff auf die Chats seiner Kunden. Das nutzen auch Kriminelle. Seehofer will laut „Spiegel“Anbieter deshalb zur Zusammenar­beit mit dem Staat zwingen. Liegt ein Richterbes­chluss vor, sollen die Firmen die Nachrichte­n und Gespräche ihrer Kunden mitschneid­en – und entschlüss­elt den Behörden liefern. Die Unternehme­n weisen die Forderung zurück und sehen die Vertrauens­basis mit ihren Kunden in Gefahr. Zudem ist unklar, wie die Regierung Unternehme­n verpflicht­en will, wenn diese ihre Server nicht in Deutschlan­d haben. Und: Wird ein Anbieter zur Mitarbeit mit Behörden verpflicht­et, könnte schnell ein neuer Dienst verschlüss­elte Kommunikat­ion anbieten.

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FOTO: HOWARD LIPIN/DPA PICTURE-ALLIANCE Intelligen­te Helfersyst­eme wie „Alexa“speichern Unmengen von Daten. Für Sicherheit­sbehörden können das wichtige Spuren sein.

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