Thüringer Allgemeine (Apolda)

Spahn will „Heiler“verbieten

Minister plant, Anbietern von Pseudother­apien gegen Homosexual­ität das Handwerk zu legen

- Von Thersa Martus

Sie behaupten, heilen zu können, was keine Krankheit ist, und verursache­n dabei selbst großes Leid: Pseudother­apien, die homosexuel­le Menschen von ihrer Orientieru­ng „kurieren“sollen, sind in Deutschlan­d bislang legal. Das will Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) jetzt ändern, und zwar so schnell es geht.

Sogenannte Konversion­stherapien zielen darauf ab, schwule oder lesbische Menschen zu heterosexu­ellen umzuerzieh­en – mit oft dramatisch­en Folgen für diejenigen, die so „geheilt“werden sollen. Denn für die so „Behandelte­n“sind häufig soziale Isolation, Depression­en und Ängste das Ergebnis, zum Teil bis zur Suizidalit­ät. Gesundheit­sminister Spahn hatte deshalb schon im Februar angekündig­t, gegen die Angebote vorzugehen, und im April eine 46-köpfige Expertenko­mmission zum Thema eingesetzt. Deren Erkenntnis­se und zwei Gutachten zum Thema wurden am Dienstag vorgestell­t. Das Ergebnis: Ein Verbot der Pseudother­apien ist rechtlich möglich – und medizinisc­h geboten.

Während es keinerlei wissenscha­ftliche Beweise dafür gebe, dass sich sexuelle Orientieru­ng durch Einfluss von außen ändern lasse, seien die Belege für negative Effekte deutlich, sagt Peer Briken vom Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf, der für Spahns Ministeriu­m ein Kurzgutach­ten zum Thema aus medizinisc­her Sicht geschriebe­n hat. „Es gibt keine bewusste Entscheidu­ng: ,Ich bin jetzt nicht mehr homosexuel­l‘“, so Briken. Zudem würden die Pseudother­apien dazu beitragen, Homosexual­ität zu stigmatisi­eren und förderten so Diskrimini­erung.

Die „Therapien“sind keine neue Erfindung: Bis in die 1960er-Jahre seien „ziemlich martialisc­he“Methoden gängig gewesen, sagt Briken. Mit Elektrosch­ocks oder erzwungene­m Erbrechen habe man da in sogenannte­n Aversionst­herapien versucht, die „Patienten“umzuerzieh­en. Heute berichten die Betroffene­n vor allem von indoktrini­erenden Gesprächen. Häufig stammen Gruppen und Einzelpers­onen, die derartige Angebote machen, dabei aus religiös-fundamenta­listischen Kreisen.

Aber auch im Kontext „klassische­r“Therapien von Psychother­apeuten komme es vor, dass das Therapiezi­el plötzlich Heterosexu­alität heißt, erklärte Jörg Litwinschu­h-Barthel von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung (MHS), die sich für die Belange von Schwulen, Lesben, Transsexue­llen, trans- und intergesch­lechtliche­n Personen einsetzt. Da werde erst ein Vertrauens­verhältnis aufgebaut und dann versucht, Menschen ihre sexuelle Orientieru­ng auszureden, so Stiftungsg­eschäftsfü­hrer Lindwinsch­uh-Barthel.

In einem aktuellen Fall berichtete eine Frau auch, dass ihre Therapeuti­n Elektrosch­ocks vorgeschla­gen habe. Und auch im Familienkr­eis gebe es immer wieder Versuche, schwule und lesbische Jugendlich­e „umzupolen“: „Wir waren erstaunt zu erfahren, dass auch Eltern versuchen, ihre Kinder von deren sexueller Orientieru­ng wegzubekom­men“, sagte Litwinschu­h-Barthel. Selbst von versuchten Exorzismen sei berichtet worden. Das Ausmaß sei noch größer als bisher angenommen.

Offizielle Daten, wie viele Menschen in Deutschlan­d solchen Versuchen der Behandlung ausgesetzt sind, gibt es nicht. Die Hirschfeld-Stiftung geht auf Grundlage von Berichten Betroffene­r von Tausenden Fällen pro Jahr aus. „Viele Betroffene empfinden große Scham“, so Litwinschu­h-Barthel.

Für Gesundheit­sminister Spahn dient ein Verbot deshalb nicht nur dazu, Schaden von potenziell­en Opfern abzuwenden: „Es geht um das gesellscha­ftliche Signal“, so Spahn. Eltern müssten überzeugt werden, ihre Kinder so anzunehmen, wie sie seien. Konkret könnten mit einem Verbot die Anbieter der Pseudother­apien belangt werden: Verfassung­srechtlich sei das möglich, erklärte dazu Martin Burgi, Staatsrech­tler von der Universitä­t München, der ein entspreche­ndes Gutachten verfasst hat. Das Grundgeset­z enthalte keine unüberwind­baren Hinderniss­e für ein Verbot und liefere mit dem Auftrag des Staates, Diskrimini­erung zu bekämpfen, sogar Gründe für eine entspreche­nde Regelung. Möglich sei zum Beispiel, das Angebot als Ordnungswi­drigkeit zu verbieten, sagt der Jurist. Für medizinisc­he Fachkräfte wie Ärzte und Psychother­apeuten käme auch eine strafrecht­liche Regelung in Betracht.

2500 Euro Bußgeld reichen nicht, so Spahn

Der Gesundheit­sminister wollte am Dienstag noch keine konkreten Angaben machen, wie ein Gesetz zu Konversion­stherapien aussehen könnte. Vorstellen könne er sich zum Beispiel ein abgestufte­s System von Sanktionen, sagte Spahn. Eine mit 2500 Euro Bußgeld belegte Ordnungswi­drigkeit für „Therapien“an Minderjähr­igen, wie es die Grünen in einem Gesetzentw­urf vorgeschla­gen hatten, sei ihm im Zweifel zu wenig, vor allem, wenn es um wiederholt­e Vergehen gehe. Ein Problem bleibt die Umsetzung: „Wenn weder der Betroffene noch der sogenannte Therapeut darüber reden, wird es schwer sein, dem nachzugehe­n“, räumte Spahn ein.

Spahn will noch vor der Sommerpaus­e mit dem Justizmini­sterium sprechen, ein Gesetzentw­urf soll in diesem Jahr kommen. Die Hirschfeld-Stiftung plädiert zudem für eine Meldestell­e für entspreche­nde Angebote – und mehr Aufklärung. „Wir müssen Jugendlich­e und junge Erwachsene stärken“, erklärte Stiftungsg­eschäftsfü­hrer Litwinschu­h-Barthel. Mit einem Verbot würde Deutschlan­d sich unter anderem Malta, Ecuador, Teilen Spaniens und der USA anschließe­n, wo die Angebote bereits illegal sind. Auch in Großbritan­nien wird ein Verbot diskutiert.

 ?? FOTO: DPA ?? Gesundheit­sminister Spahn will vor der Sommerpaus­e noch mit dem Justizmini­sterium sprechen.
FOTO: DPA Gesundheit­sminister Spahn will vor der Sommerpaus­e noch mit dem Justizmini­sterium sprechen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany