Die Komödie als moralische Anstalt
Bejubeltes Gastspiel am DNT Weimar: „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“von Ingrid Lausund diskutiert das Falsche im Richtigen und das Richtige im Falschen
Rainer zählt auf, womit wir es zu tun haben, in Guinea-Bissau, Westafrika: Aids. Korruption. Prostitution. Folter. Tuberkulose. Dürre, Drogen, Diktatur. Das ist nicht lustig.
Eigentlich. Aber komisch ist’s halt doch: wie Christian Kerepeszki seinen Rainer durch den Vortrag stolpern, ihn sich verheddern und verzetteln, sich durch sich selbst verunsichern lässt. Große Überforderung.
Allein schon die Zahlen! Verhungern wirklich pro Jahr 80 Millionen Menschen auf der Welt? Ist da nicht eine Null zuviel? Oder doch nicht? Und was ändert das? Und was kann man daran überhaupt ändern?
„Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“von Ingrid Lausund ist kein Betroffenheitsstück. Es ist eine Komödie der Betroffenheiten, die auch betroffen machen kann, uns aber jedenfalls betrifft. Das Lachen darin hat doppelte Funktion: Es erleichtert und es beschwert, kurz hintereinander oder auch im selben Moment.
Die Szene ist eine Probe, für eine Wohltätigkeitsveranstaltung („Eine Schule für Bissau“). Und das Stück stellt seine Zuschauer auf die Probe, stets und ständig, zwei Stunden lang.
Fünf Schauspieler touren mit dieser Arbeit der Berliner Theaterfirma „Lausund Productions“seit zehn Jahren durch die Lande. Einer, Bjarne Mädel, wurde unterdessen endgültig zum Star im Film, ein anderer, Max Landgrebe, zum Ensemblemitglied am Nationaltheater Weimar. Dort gastierte die grandiose Truppe, in der es im Grunde nur Hauptrollen zu verteilen gibt, am Pfingstmontag.
Sie spielen mit dem Prinzip, das Gegenteil von gut sei gut gemeint. Und sie stellen es so sehr in Frage wie alle anderen Prinzipien, Haltungen, Motivationen auch. Sie diskutieren gleichsam das Falsche im Richtigen und das Richtige im Falschen.
Das geschieht vornehmlich auf fünf Stühlen hinter fünf Tischen, drüber baumelt ein Bettlaken für eine Diaschau, die so wenig funktioniert wie das meiste in dieser Probe.
Christine (Iris Böhm), das Alphatier, verlangt „ein Minimum an Professionalität“, nachdem die übereifrige Eva (Vanessa Stern) ihr spontan in den Vortrag flennt, in dem sie selbst einstudierte Tränen verdrückt. So steht hier wie auch sonst die Glaubwürdigkeit zur Disposition. Geht es um die Schule oder um die Show?
„Soll ja um Gottes Willen hier für niemand peinlich sein“, platzt es aus Eckhard (Bjarne Mädel) dann mal heraus. Aber dieses peinliche Gefühl habe „so lange recht, bis wir uns endlich für diese Welt verantwortlich fühlen!“Eine famose Wutrede, aus der am Ende auch nur eine wirkungsvolle Nummer zu werden droht.
Die Aufführung thematisiert alle möglichen Klischees, über arme Afrikaner und sogenannte Gutmenschen im Westen, sie bedient diese Klischees auch, aber nur, um sie gleich wieder zu brechen. Vor allem aber meidet sie dabei im Wortsinn spielend alle Klischees in der Darstellung. Sie lebt von genau gezeichneten, niemals überzeichneten Figuren.
Daraus entsteht Situationskomik. Und mit dieser Komödie entsteht, in aller Heiterkeit wie auch Dringlichkeit, etwas, das kaum mehr möglich schien: Theater als moralische Anstalt. Es wurde heftig bejubelt.
Und am Ausgang füllten sich dann tatsächlich die Spendenboxen.