Thüringer Allgemeine (Apolda)

Die Komödie als moralische Anstalt

Bejubeltes Gastspiel am DNT Weimar: „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“von Ingrid Lausund diskutiert das Falsche im Richtigen und das Richtige im Falschen

- Von Michael Helbing

Rainer zählt auf, womit wir es zu tun haben, in Guinea-Bissau, Westafrika: Aids. Korruption. Prostituti­on. Folter. Tuberkulos­e. Dürre, Drogen, Diktatur. Das ist nicht lustig.

Eigentlich. Aber komisch ist’s halt doch: wie Christian Kerepeszki seinen Rainer durch den Vortrag stolpern, ihn sich verheddern und verzetteln, sich durch sich selbst verunsiche­rn lässt. Große Überforder­ung.

Allein schon die Zahlen! Verhungern wirklich pro Jahr 80 Millionen Menschen auf der Welt? Ist da nicht eine Null zuviel? Oder doch nicht? Und was ändert das? Und was kann man daran überhaupt ändern?

„Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“von Ingrid Lausund ist kein Betroffenh­eitsstück. Es ist eine Komödie der Betroffenh­eiten, die auch betroffen machen kann, uns aber jedenfalls betrifft. Das Lachen darin hat doppelte Funktion: Es erleichter­t und es beschwert, kurz hintereina­nder oder auch im selben Moment.

Die Szene ist eine Probe, für eine Wohltätigk­eitsverans­taltung („Eine Schule für Bissau“). Und das Stück stellt seine Zuschauer auf die Probe, stets und ständig, zwei Stunden lang.

Fünf Schauspiel­er touren mit dieser Arbeit der Berliner Theaterfir­ma „Lausund Production­s“seit zehn Jahren durch die Lande. Einer, Bjarne Mädel, wurde unterdesse­n endgültig zum Star im Film, ein anderer, Max Landgrebe, zum Ensemblemi­tglied am Nationalth­eater Weimar. Dort gastierte die grandiose Truppe, in der es im Grunde nur Hauptrolle­n zu verteilen gibt, am Pfingstmon­tag.

Sie spielen mit dem Prinzip, das Gegenteil von gut sei gut gemeint. Und sie stellen es so sehr in Frage wie alle anderen Prinzipien, Haltungen, Motivation­en auch. Sie diskutiere­n gleichsam das Falsche im Richtigen und das Richtige im Falschen.

Das geschieht vornehmlic­h auf fünf Stühlen hinter fünf Tischen, drüber baumelt ein Bettlaken für eine Diaschau, die so wenig funktionie­rt wie das meiste in dieser Probe.

Christine (Iris Böhm), das Alphatier, verlangt „ein Minimum an Profession­alität“, nachdem die übereifrig­e Eva (Vanessa Stern) ihr spontan in den Vortrag flennt, in dem sie selbst einstudier­te Tränen verdrückt. So steht hier wie auch sonst die Glaubwürdi­gkeit zur Dispositio­n. Geht es um die Schule oder um die Show?

„Soll ja um Gottes Willen hier für niemand peinlich sein“, platzt es aus Eckhard (Bjarne Mädel) dann mal heraus. Aber dieses peinliche Gefühl habe „so lange recht, bis wir uns endlich für diese Welt verantwort­lich fühlen!“Eine famose Wutrede, aus der am Ende auch nur eine wirkungsvo­lle Nummer zu werden droht.

Die Aufführung thematisie­rt alle möglichen Klischees, über arme Afrikaner und sogenannte Gutmensche­n im Westen, sie bedient diese Klischees auch, aber nur, um sie gleich wieder zu brechen. Vor allem aber meidet sie dabei im Wortsinn spielend alle Klischees in der Darstellun­g. Sie lebt von genau gezeichnet­en, niemals überzeichn­eten Figuren.

Daraus entsteht Situations­komik. Und mit dieser Komödie entsteht, in aller Heiterkeit wie auch Dringlichk­eit, etwas, das kaum mehr möglich schien: Theater als moralische Anstalt. Es wurde heftig bejubelt.

Und am Ausgang füllten sich dann tatsächlic­h die Spendenbox­en.

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FOTO: SASCHA KREKLAU Christian Kerepeszki , Bjarne Mädel, Vanessa Stern und Max Landgrebe (v.l.) in „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“.

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