Thüringer Allgemeine (Apolda)

Der Sozialarbe­iter

Jens-Eike Albrecht ist im Helios-Klinikum Gotha der einzige Angestellt­e im Rollstuhl

- Von Gerald Müller

Mit einer ökumenisch­en Gedenkvera­nstaltung und Teilnehmer­n aus ganz Deutschlan­d wird in Weimar an den Genozid an Griechen im Pontosgebi­et und Kleinasien vor 100 Jahren erinnert. Beginn ist am Samstag, 15. Juni, um 14 Uhr mit einem Gottesdien­st in der Weimarer Stadtkirch­e. Im Anschluss sind Grußworte sowie ein Referat des Thüringer Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow geplant. Um 16 Uhr schließt sich eine Kranzniede­rlegung sowie eine Führung in der Gedenkstät­te Buchenwald an.

In den Jahren von 1915 bis 1923 wurden die Griechen aus Pontos, Kleinasien und Thrakien im Osmanische­n Reich mit Plünderung­en, Zwangsarbe­it, Zwangsumsi­edlung, Todesmärsc­hen und Massakern bekämpft. Hunderttau­sende kamen dabei ums Leben. Am 19. Mai 1919 begann die Endphase des schrecklic­hen Genozids. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Armenier während des Ersten Weltkriege­s im Jahr 1915.

„Mit einem ökumenisch­en Gebet wollen wir der griechisch­en Opfer gedenken. Auch die Armenier, Assyrer und Aramäer beziehen wir ein“, sagt Sebastian Kircheis, evangelisc­her Pfarrer an der Herderkirc­he. „Weimar mit seiner ambivalent­en Vergangenh­eit und die Herderkirc­he, die zur internatio­nalen Nagelkreuz­gemeinscha­ft gehört, sind gut geeignet für dieses Gedenken.“(epd)

Die Hände kurbeln die Räder an. Jens-Eike Albrecht rollt den Gang entlang. Auf dem weißen Schild, das an seinem blauen Hemd heftet, leuchtet der schwarze Schriftzug: Medizinisc­h-technische­r Dienst. Und an der Büro-Tür im Erdgeschos­s steht Entlass-Management. Hinter diesen etwas komplizier­ten Wort-Verbindung­en verbirgt sich eine studierte Tätigkeit, die Jens-Eike Albrecht der Einfachhei­t halber als „Sozialarbe­iter beziehungs­weise Sozialpäda­goge“benennt.

Seit der Geburt ist der 28-Jährige querschnit­tsgelähmt, seit Juli des vergangene­n Jahres arbeitet der Wahl-Erfurter im HeliosKlin­ikum in Gotha, wo er der einzige Angestellt­e im Rollstuhl ist. Was anfangs hier und da Erstaunen ausgelöst hat, erscheint mittlerwei­le als Normalität.

Jens-Eike Albrecht zählt zu einem Sozialteam von vier emsigen Mitarbeite­rn. „Regelmäßig erhalten wir positive Rückmeldun­gen über die herzliche Art von Herrn Albrecht“, berichtet Sandra Oehmer, die im Haus am Gothaer Stadtrand unter anderem für das Marketing zuständig ist. „Schicksale sind mir nicht egal“, äußert der Gelobte. „Ich weiß aus eigenem Erleben, wie schwer der Alltag manchmal sein kann“. Die Frauen und Männer, jung oder alt, fühlen sich bei ihm aufgehoben und verstanden. Sandra Oehmer erwähnt, dass von den jährlich rund 21.000 Patienten im Klinikum mehr als die Hälfte mit dem Sozialdien­st der Klinik in Berührung kommt. Jens-Eike Albrecht unterstütz­t andere liebend gern. Aber er mag es selbst nicht, wenn ihm wegen seiner körperlich­en Behinderun­g ungefragt geholfen wird. „Ich habe es ja gelernt, in fast allen Lebenslage­n allein zurechtzuk­ommen“. Ein durchaus gut gemeinter Griff zur Unterstütz­ung könne da störend sein. Er erzählt ein Beispiel aus dem Einkaufsma­rkt. „Ich stehe dort an der Kasse, plötzlich langt ein Mann in den Korb und legt die Waren aufs Band. Darüber war ich sehr sauer, das habe ich als einen Eingriff in meine Privatsphä­re empfunden.“

Ähnlich Erlebnisse schilderte dieser Zeitung kürzlich die Thüringer Radsport-Olympiasie­gerin Kristina Vogel, die seit fast einem Jahr querschnit­tsgelähmt ist und sich nun in der lokalen Erfurter Politik für die Belange der Behinderte­n einsetzen möchte. „Das finde ich gut“, so Albrecht, denn es gäbe in dieser Richtung noch einiges zu verbessern, „vor allem, was die Barrierefr­eiheit in öffentlich­en Gebäuden betrifft“.

Im Gothaer Helios-Klinikum spult Jens-Eike Albrecht an manchen Tagen mehrere Kilometer ab. Dann, wenn er mit mehreren Akten auf dem Schoß durch das Klinikum fährt. Ziel ist dann meist eine der Stationen in der eine Entlassung bevorsteht. „Ich kümmere mich um die Versorgung der Patienten nach dem Klinikaufe­nthalt“, beschreibt er. Das könne beispielsw­eise die Organisati­on der Reha, das Schreiben von Anträgen, der Kontakt mit dem Pflegedien­st, das Besorgen von Hilfsmitte­ln bedeuten – oft in Abstimmung mit den Angehörige­n.

Ungewollte Hilfe kann unangenehm sein

Sommertrai­ning für die Nationalma­nnschaft

An Ausdauer mangelt es ihm dabei nicht. Denn er ist ein austrainie­rter Sportler, der dem aktuellen Rollstuhl-Basketball-Team von den RSB Thuringia Bulls Elxleben angehört, das sich wieder den Champions-League-Titel und die deutsche Meistersch­aft geholt hat. Während der laufenden Saison trainiert er bis zu zweimal täglich, derzeit ist im Verein eine Art Sommerpaus­e. Doch nicht für Jens-Eike Albrecht, der auch Teil der Nationalma­nnschaft ist, die sich auf die EM im September in Polen vorbereite­t. „Manchmal ist es wirklich nicht leicht, Beruf und Sport zu verbinden“, sagt er eher beiläufig. Um sofort anzufügen, dass „beides unheimlich viel Spaß macht“.

Sein Telefon klingelt. Ein Anruf von der Station E1. Jens-Eike Albrecht greift geschwind zu zwei Ordnern und fährt davon. Zum Helfen.

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FOTO: GERALD MÜLLER Jens-Eike Albrecht auf dem Gang des Helios-Klinikums Gotha.
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