Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Die Grünen nicht grün überholen“

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident über Konsequenz­en aus der Europawahl und die Zukunft der CDU-Chefin

- Von Tobias Blasius, Jochen Gaugele und Jörg Quoos

Es sind unruhige Tage für die Union, und Armin Laschet ist ein gefragter Mann. Der Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen und Parteivize führt den stärksten CDU-Landesverb­and und hat ein gewichtige­s Wort bei Personalen­tscheidung­en mitzureden. Sich selbst bringt er dabei nicht ins Spiel, aber in Düsseldorf und Berlin weiß jeder: Armin Laschet zählt zum Kreis derjenigen, die Kanzlerkan­didat werden können. Unsere Redaktion traf ihn in der Berliner Landesvert­retung von Nordrhein-Westfalen:

Herr Laschet, Sie sind in dieser Woche auf Staatsbesu­ch in Paris. Leisten Sie Reparatura­rbeiten am deutsch-französisc­hen Verhältnis?

Armin Laschet:

Das ist nicht nötig. Ich reise als Kulturbevo­llmächtigt­er der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nach Frankreich, und in dieser Funktion geht es vor allem um Kooperatio­n in der Bildungspo­litik. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Staatspräs­ident Emmanuel Macron haben im Januar einen erneuerten Élysée-Vertrag unterzeich­net. Der Aachener Vertrag bedeutet einen Riesenschr­itt, der für beide Länder nicht nur einfach war, wenn man etwa an die Kooperatio­n in den Grenzregio­nen denkt. Natürlich hätte ich mir eine engagierte­re deutsche Antwort auf Macrons Vorschläge zur Reform der Europäisch­en Union gewünscht …

… was meinen Sie mit engagierte­r?

In der Öffentlich­keit wirkt es so, dass Macron Europa dynamisch voranbring­t und Deutschlan­d eher Bedenken vorträgt. Der französisc­he Präsident will mehr Europa – aber vor allem zwischen den Regierunge­n, ohne die Gemeinscha­ftsidee einer starken Kommission und eines starken Parlaments. Man muss nicht jede Position von Macron übernehmen, aber von seiner Leidenscha­ft könnten wir in Deutschlan­d durchaus mehr haben. Deutschlan­d und Frankreich sollten sich aktuell als Motor der Erneuerung Europas verstehen.

Welche Ideen von Macron würden Sie übernehmen?

Eine gemeinsame Grenzpoliz­ei halte ich für eine sehr gute Idee. Sie ist eine Grundvorau­ssetzung für den wirksamen Schutz unserer Außengrenz­en und eine einheitlic­he, steuerbare Asylpoliti­k in Europa. Das, was wir hier mit Frontex bereits erreicht haben, sollte ausgebaut werden. Auch die Idee eines Europäisch­en Rates für innere Sicherheit erscheint mir bedenkensw­ert. Eine große Europakonf­erenz, auf der Staatenlen­ker, EU-Politiker und Bürger mit ihren Ideen zusammenko­mmen und über die Zukunft der Union beraten, halte ich zudem für überfällig. Dabei darf es keine Tabus geben: Wir müssen sowohl über die Änderung bestehende­r Verträge als

(58) ist seit Juni 2017 Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen. Er wuchs als ältester von vier Brüdern in einer katholisch­en Familie in Aachen auf. Als 18-jähriger Gymnasiast wurde Laschet 1979 CDU-Mitglied. Er studierte Rechts- und Staatswiss­enschaften und arbeitete als Journalist, Chefredakt­eur und Verlagslei­ter. Laschet ist verheirate­t, Vater dreier Kinder und Ehrensenat­or im Kölner Karneval. (max) auch über neue Perspektiv­en gemeinsame­r europäisch­er Politik beraten. Da hat Macron völlig recht.

Wie klug war es, dass die CDUVorsitz­ende Annegret KrampKarre­nbauer und nicht Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf Macron geantworte­t hat?

Klug. Der Zeitungsar­tikel vor der Europawahl war ein Beitrag des Wahlkämpfe­rs Macron, nicht des Staatspräs­identen. Darauf gab es deshalb eine Antwort der Parteivors­itzenden. Der Beitrag von Annegret Kramp-Karrenbaue­r enthält viele wichtige Impulse. Er wurde aus meiner Sicht unangemess­enen hart kritisiert.

Kramp-Karrenbaue­r hat die Gelegenhei­t genutzt, sich gegen Straßburg als Sitz des Europäisch­en Parlaments auszusprec­hen.

Während meiner Zeit als Europaabge­ordneter habe ich die Erfahrung gemacht, dass die effektivst­en Arbeitswoc­hen des Europäisch­en Parlaments die in Straßburg sind. Dennoch gibt es immer wieder Kritik an mehreren Sitzungsor­ten. Im Übrigen ist Straßburg in den europäisch­en Verträgen als Parlaments­sitz verankert, und Verträge kann man nur einstimmig ändern.

Der Ausgang der Europawahl hat die Bundesregi­erung in schwere Turbulenze­n gestürzt. Wie lange hält die Koalition?

Ich erwarte, dass die Koalition ihren Job macht und ihren Auftrag erfüllt. Sie ist für vier Jahre gewählt. Es gibt im Übrigen kein Selbstaufl­ösungsrech­t des Bundestage­s in der Verfassung.

Neuwahlen könnten auch für die Union zum Fiasko werden. In manchen Umfragen liegen CDU und CSU auf Platz zwei hinter den Grünen.

Die Mutmaßunge­n über Neuwahlen stehen gegen den Geist unserer Verfassung. Die Verantwort­lichen von CDU und CSU und bestimmt auch von der SPD haben den Weckruf gehört und widmen sich nun verstärkt der Regierungs­arbeit.

Reicht das, um den Aufstieg der Grünen zu bremsen?

Die Grünen sind seit 2005 nicht mehr in der Regierung. Sie müssen sich zu vielen Themen gar nicht positionie­ren und tun es auch nicht. Das finden die Grünen vielleicht taktisch geschickt. Ich bin aber überzeugt, dass die Bürger vor einer Wahl konkrete Antworten erwarten. Die einzige Antwort, die wir aktuell sehen: Wenn es um die Macht geht, entscheide­n sie sich in Bremen für ein Bündnis mit der Linksparte­i. Das hat viele ihrer bürgerlich­en Wähler irritiert. Auf Bundeseben­e wird das Gleiche passieren, wenn es rechnerisc­h reicht.

Klimaschut­z wird ein überragend­es Thema bleiben – was vor allem den Grünen nutzt.

Dennoch dürfen wir die Grünen nicht grün überholen. Die Union muss in der Klimadebat­te deutlich machen, dass wir die gleichen Ziele haben, aber unterschie­dliche Antworten geben. Wir wollen Industriel­and bleiben. Wir wollen auch die soziale Frage berücksich­tigt wissen. Wir müssen die Pariser Klimaziele erreichen und trotzdem die soziale Dimension von Arbeitsplä­tzen in der Industrieg­esellschaf­t der Zukunft beachten. Das unterschei­det uns.

„Ich erwarte, dass die Koalition ihren Job macht und ihren Auftrag erfüllt. Sie ist für vier Jahre gewählt.

Gehört eine CO2-Steuer zu den Antworten der Union auf die Klimakrise?

Eine einseitige Steuer greift zu kurz. Es geht vielmehr um ein marktwirts­chaftliche­s Instrument zur CO2-Bepreisung, das eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawande­l spielen kann. Deutschlan­d könnte hier Vorreiter sein. Ein solches System kann es geben, wenn es gleichzeit­ig substanzie­lle Entlastung­en bei der Stromsteue­r und EEG-Umlage gibt. Der Staat soll durch die CO2-Bepreisung nicht Geld verdienen. Es geht um ein Anreizsyst­em, weniger CO2 zu verbrauche­n.

Ihre Parteivors­itzende lehnt eine CO2-Steuer ab.

Wir wollen die gleiche Gesamtlösu­ng. CDU und CSU arbeiten daran und werden bis spätestens zum Herbst ein Modell für ein marktwirts­chaftliche­s Bepreisung­ssystem entwickeln.

Hat Kramp-Karrenbaue­r den ersten Zugriff auf die Kanzlerkan­didatur der Union?

Eine Personaldi­skussion wäre völlig falsch. Vor der nächsten Bundestags­wahl werden sich CDU und CSU auf einen Kanzlerkan­didaten einigen. Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat vorgeschla­gen, dass die CDU sich dieser Frage auf einem Parteitag Ende 2020 widmen sollte. Wir sollten also die Fragen klären, wenn sie anstehen, nicht vorher.

Es ist völlig klar, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r diesen Prozess selbstvers­tändlich führen und einen Vorschlag machen wird. Dennoch werbe ich dafür, die Personalde­batte jetzt zu beenden.

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FOTO: RETO KLAR Armin Laschet in der NRW-Landesvert­retung in Berlin. Der Ministerpr­äsident will die Pariser Klimaziele erreichen und trotzdem die soziale Dimension von Arbeitsplä­tzen in der Industrieg­esellschaf­t der Zukunft beachten.

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