„Die Grünen nicht grün überholen“
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident über Konsequenzen aus der Europawahl und die Zukunft der CDU-Chefin
Es sind unruhige Tage für die Union, und Armin Laschet ist ein gefragter Mann. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Parteivize führt den stärksten CDU-Landesverband und hat ein gewichtiges Wort bei Personalentscheidungen mitzureden. Sich selbst bringt er dabei nicht ins Spiel, aber in Düsseldorf und Berlin weiß jeder: Armin Laschet zählt zum Kreis derjenigen, die Kanzlerkandidat werden können. Unsere Redaktion traf ihn in der Berliner Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen:
Herr Laschet, Sie sind in dieser Woche auf Staatsbesuch in Paris. Leisten Sie Reparaturarbeiten am deutsch-französischen Verhältnis?
Armin Laschet:
Das ist nicht nötig. Ich reise als Kulturbevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland nach Frankreich, und in dieser Funktion geht es vor allem um Kooperation in der Bildungspolitik. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron haben im Januar einen erneuerten Élysée-Vertrag unterzeichnet. Der Aachener Vertrag bedeutet einen Riesenschritt, der für beide Länder nicht nur einfach war, wenn man etwa an die Kooperation in den Grenzregionen denkt. Natürlich hätte ich mir eine engagiertere deutsche Antwort auf Macrons Vorschläge zur Reform der Europäischen Union gewünscht …
… was meinen Sie mit engagierter?
In der Öffentlichkeit wirkt es so, dass Macron Europa dynamisch voranbringt und Deutschland eher Bedenken vorträgt. Der französische Präsident will mehr Europa – aber vor allem zwischen den Regierungen, ohne die Gemeinschaftsidee einer starken Kommission und eines starken Parlaments. Man muss nicht jede Position von Macron übernehmen, aber von seiner Leidenschaft könnten wir in Deutschland durchaus mehr haben. Deutschland und Frankreich sollten sich aktuell als Motor der Erneuerung Europas verstehen.
Welche Ideen von Macron würden Sie übernehmen?
Eine gemeinsame Grenzpolizei halte ich für eine sehr gute Idee. Sie ist eine Grundvoraussetzung für den wirksamen Schutz unserer Außengrenzen und eine einheitliche, steuerbare Asylpolitik in Europa. Das, was wir hier mit Frontex bereits erreicht haben, sollte ausgebaut werden. Auch die Idee eines Europäischen Rates für innere Sicherheit erscheint mir bedenkenswert. Eine große Europakonferenz, auf der Staatenlenker, EU-Politiker und Bürger mit ihren Ideen zusammenkommen und über die Zukunft der Union beraten, halte ich zudem für überfällig. Dabei darf es keine Tabus geben: Wir müssen sowohl über die Änderung bestehender Verträge als
(58) ist seit Juni 2017 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Er wuchs als ältester von vier Brüdern in einer katholischen Familie in Aachen auf. Als 18-jähriger Gymnasiast wurde Laschet 1979 CDU-Mitglied. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften und arbeitete als Journalist, Chefredakteur und Verlagsleiter. Laschet ist verheiratet, Vater dreier Kinder und Ehrensenator im Kölner Karneval. (max) auch über neue Perspektiven gemeinsamer europäischer Politik beraten. Da hat Macron völlig recht.
Wie klug war es, dass die CDUVorsitzende Annegret KrampKarrenbauer und nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Macron geantwortet hat?
Klug. Der Zeitungsartikel vor der Europawahl war ein Beitrag des Wahlkämpfers Macron, nicht des Staatspräsidenten. Darauf gab es deshalb eine Antwort der Parteivorsitzenden. Der Beitrag von Annegret Kramp-Karrenbauer enthält viele wichtige Impulse. Er wurde aus meiner Sicht unangemessenen hart kritisiert.
Kramp-Karrenbauer hat die Gelegenheit genutzt, sich gegen Straßburg als Sitz des Europäischen Parlaments auszusprechen.
Während meiner Zeit als Europaabgeordneter habe ich die Erfahrung gemacht, dass die effektivsten Arbeitswochen des Europäischen Parlaments die in Straßburg sind. Dennoch gibt es immer wieder Kritik an mehreren Sitzungsorten. Im Übrigen ist Straßburg in den europäischen Verträgen als Parlamentssitz verankert, und Verträge kann man nur einstimmig ändern.
Der Ausgang der Europawahl hat die Bundesregierung in schwere Turbulenzen gestürzt. Wie lange hält die Koalition?
Ich erwarte, dass die Koalition ihren Job macht und ihren Auftrag erfüllt. Sie ist für vier Jahre gewählt. Es gibt im Übrigen kein Selbstauflösungsrecht des Bundestages in der Verfassung.
Neuwahlen könnten auch für die Union zum Fiasko werden. In manchen Umfragen liegen CDU und CSU auf Platz zwei hinter den Grünen.
Die Mutmaßungen über Neuwahlen stehen gegen den Geist unserer Verfassung. Die Verantwortlichen von CDU und CSU und bestimmt auch von der SPD haben den Weckruf gehört und widmen sich nun verstärkt der Regierungsarbeit.
Reicht das, um den Aufstieg der Grünen zu bremsen?
Die Grünen sind seit 2005 nicht mehr in der Regierung. Sie müssen sich zu vielen Themen gar nicht positionieren und tun es auch nicht. Das finden die Grünen vielleicht taktisch geschickt. Ich bin aber überzeugt, dass die Bürger vor einer Wahl konkrete Antworten erwarten. Die einzige Antwort, die wir aktuell sehen: Wenn es um die Macht geht, entscheiden sie sich in Bremen für ein Bündnis mit der Linkspartei. Das hat viele ihrer bürgerlichen Wähler irritiert. Auf Bundesebene wird das Gleiche passieren, wenn es rechnerisch reicht.
Klimaschutz wird ein überragendes Thema bleiben – was vor allem den Grünen nutzt.
Dennoch dürfen wir die Grünen nicht grün überholen. Die Union muss in der Klimadebatte deutlich machen, dass wir die gleichen Ziele haben, aber unterschiedliche Antworten geben. Wir wollen Industrieland bleiben. Wir wollen auch die soziale Frage berücksichtigt wissen. Wir müssen die Pariser Klimaziele erreichen und trotzdem die soziale Dimension von Arbeitsplätzen in der Industriegesellschaft der Zukunft beachten. Das unterscheidet uns.
„Ich erwarte, dass die Koalition ihren Job macht und ihren Auftrag erfüllt. Sie ist für vier Jahre gewählt.
Gehört eine CO2-Steuer zu den Antworten der Union auf die Klimakrise?
Eine einseitige Steuer greift zu kurz. Es geht vielmehr um ein marktwirtschaftliches Instrument zur CO2-Bepreisung, das eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen kann. Deutschland könnte hier Vorreiter sein. Ein solches System kann es geben, wenn es gleichzeitig substanzielle Entlastungen bei der Stromsteuer und EEG-Umlage gibt. Der Staat soll durch die CO2-Bepreisung nicht Geld verdienen. Es geht um ein Anreizsystem, weniger CO2 zu verbrauchen.
Ihre Parteivorsitzende lehnt eine CO2-Steuer ab.
Wir wollen die gleiche Gesamtlösung. CDU und CSU arbeiten daran und werden bis spätestens zum Herbst ein Modell für ein marktwirtschaftliches Bepreisungssystem entwickeln.
Hat Kramp-Karrenbauer den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur der Union?
Eine Personaldiskussion wäre völlig falsch. Vor der nächsten Bundestagswahl werden sich CDU und CSU auf einen Kanzlerkandidaten einigen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat vorgeschlagen, dass die CDU sich dieser Frage auf einem Parteitag Ende 2020 widmen sollte. Wir sollten also die Fragen klären, wenn sie anstehen, nicht vorher.
Es ist völlig klar, dass Annegret Kramp-Karrenbauer diesen Prozess selbstverständlich führen und einen Vorschlag machen wird. Dennoch werbe ich dafür, die Personaldebatte jetzt zu beenden.