„Unüberwindbare Unterschiede“
Der sächsische CDU-Regierungschef Kretschmer über seine gemeinsame Kabinettssitzung mit Bodo Ramelow, die Radikalität der AfD und die Russland-Sanktionen
Am Dienstag treffen sich die Landeskabinette von Thüringen und Sachsen in Altenburg. Auf der Tagesordnung stehen die Förderpolitik der EU aber auch die Tourismuskooperation im Vogtland. Wir sprachen darüber mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Herr Kretschmer, haben Sie Ihren Parteifreund Mike Mohring um Erlaubnis fragen müssen, ob Sie sich im Vorwahlkampf mit dem linken Ministerpräsidenten zu einer Kabinettssitzung treffen dürfen?
Nein, natürlich nicht. Es geht ja hier um die gemeinsamen Interessen der Länder von Thüringen und Sachsen und nicht die einer Partei. Ein gemeinsames Interesse ist es zum Beispiel, dass die neuen Länder bei der EU-Förderung nicht hinten runterfallen. Wir werden nicht akzeptieren, dass die Zuschüsse aus Brüssel ab dem Jahr 2021 um zwei Drittel sinken sollen. Das geht auf keinen Fall.
Das muss aber die Bundesregierung für Sie mit Brüssel ausfechten. Wie hoch ist da Ihr Zutrauen?
Gerade weil wir als Ostländer bei diesem Thema zusammenstehen, gibt es jetzt eine klare Zusage der Bundeskanzlerin, sich für uns einzusetzen. Das haben wir im CDU-Kreis auch mit Mike Mohring besprochen.
Warum hat man trotzdem das Gefühl, dass die Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Thüringen besser war, als noch beide Länder von der CDU regiert wurden?
Ich arbeite selbstverständlich mit der gewählten Landesregierung von Thüringen zusammen. Aber ich vertrete parteipolitisch andere Ansichten als Bodo Ramelow. Da geht es um Grundsätzliches. Wenn mein Kieler Amts- und Parteikollege Daniel Günther sagt, die Zeit der Ausgrenzung der Linkspartei sei vorbei, dann führt dies in die Irre.
Weil es nicht um Ausgrenzung geht, sondern um die Frage, wie man am besten ein Land voranbringt, welche Rolle Freiheit dabei spielen muss und wie stark sich der Staat in das Leben der Menschen einmischen darf. Da bestehen weiterhin unüberwindbare Unterschiede zwischen der Union und der Linken. Deshalb kommt für mich eine Koalition nicht infrage.
Seltsam nur: Die RusslandSanktionen will Ramelow genauso wie Sie abschaffen – während Ihnen Ihre Bundespartei vehement widerspricht.
Das ist überhaupt nicht seltsam. Warum sollte es in einzelnen Sachfragen nicht auch zu ähnlichen Einschätzungen kommen? Ich lasse mir von niemandem mit erhobenem Zeigefinger verbieten, die Positionen zu vertreten, die gut für Sachsen sind und von einer klaren Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt werden.
Wie soll denn Russland ohne Sanktionen zu einem Frieden in der Ost-Ukraine bewegt werden – von einer Räumung der völkerrechtswidrig besetzten Krim gar nicht zu reden?
Das Wichtigste ist, dass wir im Gespräch sind. Deshalb war ich in St. Petersburg, deshalb habe ich den russischen Präsidenten nach Dresden eingeladen. Russland hat eine große Verantwortung für die notwendige Klärung des Konflikts in der Ukraine. Ich glaube nur nicht daran, dass wir eine Befriedung durch noch mehr Konfrontation erreichen.
Zu einer weiteren Gemeinsamkeit zwischen Ihnen und Ramelow: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus. Das Thema steht jedenfalls auf der Tagesordnung der gemeinsamen Kabinettssitzung.
Rechtsextremismus ist ein großes Problem. Wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden enger zusammenarbeiten, auch beim Thema der sogenannten Reichsbürger. Wir müssen diese Strukturen zerschlagen, weil sie sonst immer gefährlicher werden.
In Thüringen wird die Verschärfung des Versammlungsrechts diskutiert. Die hiesige CDU hatte zuletzt einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Wie stehen Sie dazu?
Auch wir wollten an historisch besonders sensiblen Orten Demonstrationen verbieten. Dies war aber rechtlich nicht durchsetzbar. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Erfahrungen austauschen und gemeinsam schauen, was sich rechtssicher tun lässt, um zum Beispiel Rechtsrockkonzerte zu erschweren.
Auch die Kommission des Bundes, die sich um gleichwertige Lebensverhältnisse bemüht, wird mit dem Thüringer Kabinett besprochen. Glauben Sie, dass in Berlin noch etwas für den Osten herausspringt?
Für uns ist erst einmal klar, dass eine stärkere Wirtschaftsförderung strukturschwacher Regionen im Westen nicht zulasten Ostdeutschlands gehen darf. Außerdem brauchen wir ein starkes Signal für die ländlichen Regionen . . .
. . . auch weil die CDU immer stärker auf dem Land verliert, während die AfD zulegt?
Nein, weil es ein Auftrag des Grundgesetzes ist. Und weil es meiner Überzeugung entspricht. Der ländliche Raum bietet riesige Möglichkeiten und Chancen, die wir nicht permanent schlecht reden sollten. Es ist doch verrückt: In Bayern ist es beinahe Kult, auf dem Land zu leben. Und hier in Sachsen und Thüringen, wo der ländliche Raum sogar noch dichter besiedelt ist, wird so getan, als würden dort die Menschen abgehangen. Da halte ich dagegen und sage: Wir müssen den ländlichen Raum noch stärker entwickeln. Darum haben wir die finanzielle Ausstattung erhöht, den Nahverkehr gestärkt und den Breitbandausbau beschleunigt. Es wäre nur schön, wenn sich der Bund noch deutlich stärker daran beteiligen würde.
Aber gerade Ihre Partei in Sachsen hat doch lange vor allem auf die sogenannten Leuchttürme, die großen Städte gesetzt. War das vielleicht ein Fehler?
Es ist erstaunlich, wie lange so ein Begriff in den Köpfen bleibt. Es ist jetzt fast 20 Jahre her und trotzdem wird er immer wieder verwendet. Man muss sehr sensibel sein, weil die Menschen eine eigene Wahrnehmung haben. Deshalb müssen wir noch mehr dafür tun, um dieses alte Bild zu ändern.
Da hätten wir ja noch eine Gemeinsamkeit mit Bodo Ramelow. Trotzdem gilt: Die AfD gewinnt auf dem Land. Wie kommt das?
Das kommt davon, wenn man nicht mehr über das Erreichte nach 1990 spricht, über die Erfolge der deutschen Einheit, über die Menschen, die gerade zurückkehren und über die sinkende Arbeitslosigkeit – sondern nur noch über Ängste und darüber, was möglicherweise nicht so funktioniert hat.
Das Argument kennen wir schon vom Ost-Beauftragten Christian Hirte. Er sagt, vor allem die SPD führe diese Debatten und trage so Mitschuld am Aufstieg der AfD. Sie auch?
Nein. Aber, diese Negativdebatten tragen dazu bei. Die Menschen in Ostdeutschland haben nach 1990 unglaubliches geleistet, mit großem Erfolg, das sollte niemand schlecht reden.
In Ihrer Heimatstadt Görlitz, wo Sie 2017 Ihr Bundestagsmandat an die AfD verloren, könnte am Sonntag erstmals ein AfD-Oberbürgermeister gewählt werden. Wie besorgt sind Sie?
Viele Menschen unterschätzen die Radikalität der AfD. Die Stadt hat eine gute Entwicklung genommen. Jetzt bringt der Strukturwandel viele neue Möglichkeiten und Chancen, die über Jahre, Jahrzehnte nicht möglich waren. Um diese zu gestalten, braucht man jemanden, der in der Lage ist, Konsens zu bilden, Mehrheiten zur organisieren und nach vorne zu gehen. Wer sich den Stadtrat in Görlitz anschaut, kann der Stadt nur wünschen, dass sie einen Oberbürgermeister bekommt, der mit einer Mehrheit gut zusammenarbeiten kann. Görlitz hat große Chancen, die AfD wird sie niemals nutzen.
Deshalb finden Sie es auch richtig, dass Ihr Kandidat Octavian Ursu jede Kooperation mit der AfD ablehnt?
Was ist das denn für eine Frage? Wie soll er mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Positionen absolut konträr zu unseren sind? Dasselbe gilt für den gesamten Freistaat Sachsen.