Thüringer Allgemeine (Apolda)

Das Kükentöten geht weiter

Das Bundesverw­altungsger­icht urteilt: Tierschutz geht vor Profit. Die umstritten­e Selektion männlicher Küken bleibt trotzdem fürs Erste erlaubt

- Von Theresa Martus

Sie sind kaum geschlüpft, da müssen sie wieder sterben: Millionen männliche Küken werden in Deutschlan­d jedes Jahr getötet, weil es keine Verwendung für sie gibt. Und das wird auch so bleiben, zumindest vorerst. Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig verkündete am Donnerstag, dass Brütereien weiterhin männliche Küken töten dürfen. Allerdings nur noch so lange, bis es serienreif­e und zuverlässi­ge technische Verfahren gibt, die verhindern sollen, dass die Tiere ausgebrüte­t werden.

Das Land NRW hatte 2013 versucht, der Praxis per Erlass ein Ende zu setzen. Dagegen hatten zwei Brütereien geklagt.

Warum werden die Küken getötet?

Weil aus männlichen Küken keine Legehennen werden, deren Eier man verkaufen könnte. Die Tiere sind für Brütereien wirtschaft­lich nutzlos, denn Hühnerrass­en, die auf maximale Eierlegele­istung hin gezüchtet wurden, eignen sich nicht zur Mast. Die männlichen Tiere aufzuziehe­n und ihr Fleisch zu verkaufen, lohnt sich für die Brütereien nicht. 45 Millionen sogenannte Eintagskük­en werden deshalb in Deutschlan­d jährlich getötet.

Warum ist das legal?

Eigentlich, das haben die Richter klargestel­lt, sind die wirtschaft­lichen Interessen der Brütereien kein vernünftig­er Grund für das Töten. Ohne einen solchen Grund ist das Töten von Wirbeltier­en aber verboten. Es sei nicht mit dem Tierschutz­gesetz vereinbar, dass dem Leben der männlichen Küken mit der schnellstm­öglichen Tötung „jeder Eigenwert abgesproch­en“werde, erklärte das Gericht. Dass die Praxis trotzdem nicht sofort verboten wird, begründen die Richter damit, dass das Vorgehen jahrzehnte­lang hingenomme­n wurde. Bei einem Verbot ohne Übergangsz­eit müssten die Brütereien sehr kurzfristi­g erst ihren Betrieb auf die Aufzucht der doppelten Menge Küken umstellen – und dann nach kurzer Zeit wieder umbauen, sobald die Verfahren zur Geschlecht­sbestimmun­g im Ei marktreif sind. Das könne nicht verlangt werden, so die Richter.

Welche Alternativ­en gibt es?

Das Gericht macht in seiner Entscheidu­ng deutlich, dass das Töten nur erlaubt bleibt, weil serienreif­e Alternativ­en nah sind: So gibt es schon jetzt die Möglichkei­t zur Geschlecht­sbestimmun­g im Ei durch eine Hormonunte­rsuchung. Dazu wird nach neun Tagen Bebrütung durch ein mit einem Laser gebohrtes winziges Loch in der Schale Flüssigkei­t aus dem Ei entnommen. Anhand der Hormone kann bestimmt werden, ob aus dem Ei ein Hahn oder eine Henne schlüpfen würde. Ist der Embryo männlich, wird das Ei zerstört. Allerdings ist bislang nicht sicher erforscht, ab welchem Punkt in ihrer Entwicklun­g Hühner-Embryonen Schmerz empfinden.

Ein Verfahren, das das Geschlecht per Infrarot-Lichtstrah­l bestimmt, kann schon früher eingesetzt werden, ist aber noch sehr ungenau. Eine Lösung, bei der nicht aussortier­t werden muss, ist die des Zweinutzun­gshuhns: So werden Hühnerrass­en bezeichnet, die sich gleicherma­ßen für die Eierproduk­tion und für die Mast eignen. Der Nachteil: Diese Tiere können weder bei der Menge der Eier noch bei der Zeit bis zur Schlachtre­ife mit den Rassen mithalten, die speziell auf einen der Aspekte hin gezüchtet wurden.

Was sagt die Politik?

Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) bekräftigt­e, dass sie das Kükentöten für „ethisch nicht vertretbar“halte. Sie erwarte deshalb von Verbänden und Unternehme­n, schnellstm­öglich tätig zu werden. Klöckner erinnerte aber auch an die Rolle der Verbrauche­r: Sie hätten es „letztlich mit in der Hand, ob sich innovative Verfahren durchsetze­n oder immer mehr Eier importiert werden.“Die Grünen dagegen erwarten von Klöckner selbst ein Eingreifen: „Wann kommt endlich der Gesetzentw­urf?“, fragte Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt.

Der Präsident des Zentralver­bandes der Deutschen Geflügelwi­rtschaft, Friedrich-Otto Ripke, nannte das Urteil „eine kluge Entscheidu­ng, die der Realität gerecht wird und der Wissenscha­ft Zeit gibt, die Verfahren zur Geschlecht­sbestimmun­g im Ei erfolgreic­h zum Abschluss zu bringen“. (mit dpa)

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FOTO: BLOOMBERG/GETTY IMAGES Ein kurzes Leben: Eintagskük­en werden keine  Stunden alt.
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