Wer griff die Tanker an?
Nach Attacken auf zwei Schiffe vor Irans Küste ermitteln Experten, wer der Urheber ist. Der brüchige Frieden ist in Gefahr
In der Straße von Hormus ist es eng. An ihrer schmalsten Stelle ist sie lediglich 30 Seemeilen breit, etwa 55 Kilometer. Über die App des Trackingdienstes Marine Traffic lässt sich die Position der Schiffe verfolgen. Zwei von ihnen verlieren an diesem Morgen – gegen 5.20 Uhr europäischer Zeit – abrupt an Fahrt: die „Front Altair“und die „Kokuka Courageous“. Beide Tanker sind angegriffen worden und einer daraufhin in Brand geraten. Nun treiben sie manövrierunfähig im Golf von Oman.
Weil es am 12. Mai in denselben Gewässern ähnliche Zwischenfälle gab, damals waren vier Handelsschiffe betroffen, und die Spannungen zwischen dem Iran und seinen Erzrivalen Saudi-Arabien sowie den USA zuletzt enorm gewachsen waren, sorgten die Meldungen weltweit für Unruhe.
In ersten Stellungnahmen warnte die EU vor vorschnellen Reaktionen. „Die Region braucht keine weiteren Elemente der Destabilisierung und keine weiteren Spannungen“, mahnte die Sprecherin der EUAußenbeauftragten Federica Mogherini. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte, „die Vorfälle sind das Gegenteil von dem, was wir in der jetzigen ohnehin schon angespannten Lage in der Region gebrauchen können“. In der aktuellen Situation seien sie nicht nur eine Bedrohung der Handelswege, sondern auch des Friedens, so Maas. Nichts ist geklärt. Etwa die Frage, wie die Schiffe beschädigt wurden. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, die sich auf Insider beruft, soll an einem Schiff ein Sprengsatz entdeckt worden sein – vermutlich eine Haftmine. Noch brisanter ist die Frage, wer dahinterstecken könnte.
Die Küste des Iran ist nah. Die USA waren vor einem Jahr einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und setzen das Land seither mit massiven Wirtschaftssanktionen unter Druck. Die Iraner hatten daraufhin wiederholt gedroht, die Straße von Hormus zu blockieren. Hat Teheran die Sabotage-Akte etwa als Vergeltung lanciert?
US-Präsident Donald Trump und seine wichtigsten Kabinettsmitglieder hielten sich gute acht Stunden mit Schuldzuweisungen zurück. Dann trat am frühen Nachmittag Außenminister Mike Pompeo ans Mikrofon und schob unzweideutig dem Iran den Schwarzen Peter zu. „Es ist die Einschätzung der USA, dass die Islamische Republik für die Angriffe verantwortlich ist“, bilanzierte der Chefdiplomat die Lagebeurteilungen von Militärund Geheimdiensten, ohne konkrete Beweise zu präsentieren.
Sein Tenor: Niemand sonst habe die Ressourcen und das Können, solche Akte mit hoher Präzision auszuführen. Der Iran „keilt aus“, weil der hohe ökonomische Druck durch US-Sanktionen Wirkung zeige, sagte Pompeo. Man werde die Vorgänge im UN-Sicherheitsrat zur Sprache bringen. Eine befürchtete militärische Antwort, die aus Sicht von Experten eine unheilvolle Dynamik im Pulverfass Mittlerer Osten und darüber hinaus auslösen könnte, erwähnte er mit keinem Wort.
Dagegen bekam Irans Außenminister Dschawad Sarif sein Fett weg. Der Diplomat hatte bereits
Zwischenfälle dürften Spannungen erhöhen
nach den vergleichbaren Vorfällen im Mai von einer „Operation unter falscher Flagge“gesprochen und den Eindruck erweckt, Israel oder Saudi-Arabien wollten mit klandestinen Aktionen eine US-geführte militärische Konfrontation auslösen. Sarif betonte, dass eine Untersuchung für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Iran als Verursacher der damaligen Attacken nicht namentlich erwähnte. Es hieß lediglich, dass „höchstwahrscheinlich“ein „staatlicher Akteur“dahinter stecke.
Gestern nun machte Sarif stutzig, dass eines der betroffenen Schiffe für einen japanischen Reeder unterwegs war. Zeitgleich war Japans Ministerpräsident Shinzo Abe in Teheran. Er unternahm den Versuch, das Gesprächsklima zwischen Washington und dem MullahRegime zu entkrampfen, holte sich allerdings eine Abfuhr ein. Sollte sein diplomatischer Vorstoß diskreditiert werden? Pompeo ätzte, dass Sarif solche Gedankenspiele vielleicht „lustig findet“. Damit stehe er aber allein.
Unterdessen beeilte sich ein Sprecher der iranischen Flotte, die konstruktive Rolle seines Landes herauszustellen. Man habe die Rettung der Seeleute koordiniert. Expertenteams seien im Einsatz, um die Zwischenfälle zu untersuchen. Die Botschaft lautet: Wir waren es nicht.
Es ist das explosive politische Gemisch, das Besorgnis auslöst – weniger der tatsächliche Schaden. Die Hülle der „Kokuka Courageous“hat ein Loch, aber „es gibt kein Feuer an Bord“, auch die Ladung sei intakt, sagte ein Sprecher des von der Hamburger Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) bereederten Schiffs unserer Redaktion. Das Schiff „Front Altair“der norwegischen Gesellschaft Frontline hatte es härter getroffen, es brennt.
Die Crews gingen in einem iranischen Hafen an Land und sind wohlauf. Nur ein Seemann der „Kokuka Courageous“ist leicht verletzt. Das Schiff hatte im saudischen Hafen al-Jubail Methanol geladen und war auf dem Weg nach Singapur. Es ist in Panama registriert und gehört einem Japaner. Die „Front Altair“hatte 75.000 Tonnen Rohbenzin geladen und war auf dem Weg vom emiratischen Hafen Ruwais nach Taiwan.