Lange Haft für Raser
Urteil nach tödlicher Unfallflucht: Fünf Jahre und neun Monate Haft für 24-Jährigen. Kammer urteilt härter als gefordert
Der 34 Jahre alte Hiwa Mustafa hat der Tafel der Stadt Gera Gutscheine für kostenlose Haarschnitte in seinem Friseurgeschäft übergeben. „Mein Laden läuft gut und es war immer mein Traum, etwas zu tun“, sagte der aus dem Nordirak stammende Kurde. Bis Jahresende will er pro Monat jeweils zehn solcher Gutscheine abgeben. „Ich sehe Leute mit langen Haaren und Bart und weiß, dass sich viele keinen Haarschnitt leisten können.“(dpa)
Stille. Einige Sekunden kann man eine Stecknadel fallen hören. Dann ein Raunen. Gerade wird das Urteil gesprochen. Richter Markus von Hagen verkündet eine lange Haftstrafe für den 24-jährigen Fleischer Felix K.: Fünf Jahre und neun Monate soll er ins Gefängnis.
Für die Kammer ist klar, dass es K. gewesen ist, der am 14. Juni 2017 den Kleinbus des elterlichen Betriebes steuerte, mit dem der 44-jährige Uwe G. angefahren wurde. Sicher zeigen sich die drei Richter und zwei Schöffen auch darüber, dass K. keine Hilfe geholt und den sterbenden Radfahrer im Straßengraben am Ortsausgang Buttstädt (Landkreis Sömmerda) sich selbst überlassen hat – aus einem perfiden Grund: K., bereits einschlägig wegen anderer Verkehrsdelikte bestraft, habe so verschleiern wollen, dass er an dem Unfall beteiligt ist und ohne Führerschein fuhr. Deshalb erfolgt die Verurteilung nicht nur wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Fahren ohne Führerschein. K. wird des versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort für schuldig befunden.
Ein Fall, den Richter Markus von Hagen in seinen vielen Jahren am Schwurgericht so noch nicht erlebt hat. Auch vergleichbare Urteile seien schwer zu finden, sagt er. „Hoffentlich ist der Grund dafür, dass es wenige solcher Fälle gibt. Wenn das der Grund ist, dann muss hier eine Strafe ausgesprochen werden, die dafür Sorge trägt, dass es auch künftig weiter wenige solcher Fälle gibt“, sagt er.
Dann folgt das harte Urteil. Es geht sehr deutlich über die Forderung von Oberstaatsanwalt Stephan Willrich hinaus, der drei Jahre und neun Monate Haft für angemessen hielt. Eine Bewährung, wie sie die Anwälte von K. erreichen wollten, stand offenbar gar nie zur Debatte.
Im Gerichtssaal, der mit Schülern aus einer Erfurter Schule – sie recherchierten im Rahmen einer Projektarbeit im Fach Wirtschaft und Recht – nahezu voll besetzt war, lauschen alle gespannt den Worten des Vorsitzenden. Felix K. sitzt indes mit gesenktem Haupt auf der Anklagebank – er wirkt abwesend. Anders noch, als bei seiner späten Aussage am vierten Prozesstag. Da hatte er wild gestikulierend deutlich gemacht, wie der Unfall aus seiner Sicht ablief.
Die Kammer glaubt ihm wenig davon. Dass er kein Licht eingeschaltet hatte und das nicht bemerkt haben will, nimmt sie ihm genauso wenig ab, wie die Behauptung, er habe nicht mitbekommen, dass er einen Menschen überfahren hat. All das, sagt der Richter, sei gutachterlich und durch Zeugenaussagen widerlegt. Die Kammer lässt es an Deutlichkeit nicht mangeln. Immerhin hatte die umfangreiche Beweisaufnahme auch aufgezeigt, dass hier mehrere Zeugen offenbar mauerten. Vor allem die Mitarbeiter der elterlichen Fleischerei taten sich schwer, quasi den Juniorchef des Unternehmens belasten zu müssen. Auch ein Freund des Angeklagten verstrickte sich in Widersprüche. „Wir sind überzeugt, dass dessen Vernehmung dazu benutzt werden sollte, die Aussagen des Angeklagten plausibler erscheinen zu lassen“, sagt Richter von Hagen und unterstellt damit indirekt, dass der Zeuge beeinflusst worden sein könnte.
Für die trauernden Angehörigen des Opfers dürften derweil solche Details kaum eine Rolle spielen. Im gesamten Prozess hatten sie sich von Anwälten vertreten lassen. Die konnten ihnen allerdings nicht davon berichten, dass der Angeklagte wirklich Reue gezeigt oder den Versuch einer Entschuldigung unternommen hat. Das Urteil wird von Katharina Reimer, die die Angehörigen vertreten hat, positiv aufgenommen. „Wir sind damit zufrieden“, sagt sie dieser Zeitung – auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Unfall, bei dem Uwe G. getötet wurde.
Ob das jetzt das Ende des Prozesses ist? Unklar. Tim Frühauf, einer der drei Anwälte des Angeklagten, erklärt auf Anfrage, dass noch nicht entschieden sei, ob sein Mandant in Revision gehen wird.
Keine Entscheidung über eine Revision