Thüringer Allgemeine (Apolda)

Bahn will Glyphosat meiden

Bayer investiert in Alternativ­en

- Von Karsten Kammholz, Alexander Klay und Miguel Sanches

Die Klimaschut­zdebatte wird zum Problem für die Luftfahrt. Kann man noch guten Gewissens ins Flugzeug steigen, wenn sich auch die Bahn anbietet? Der Präsident des Flughafenv­erbands ADV, der Frankfurte­r Flughafenc­hef Stefan Schulte, stellt sich der Diskussion. Er sieht seinen eigenen Airport sogar als Vorreiter für den Klimaschut­z.

Herr Schulte, haben Sie Flugscham?

Stefan Schulte: Nein. Jeder muss für sich selbst entscheide­n, wann und aus welchen Gründen er fliegt. Solche Entscheidu­ngen sollten nicht fremdbesti­mmt sein. Es ist ein Grundbedür­fnis einer Gesellscha­ft, mobil zu sein, fremde Kulturen kennenzule­rnen, auch mal Urlaub zu machen. Fast die Hälfte der Flugreisen­den fliegt zudem aus geschäftli­chen Gründen. Es geht dabei also auch um Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d und um die Erhaltung des Wohlstands. Wir brauchen den Luftverkeh­r für die internatio­nale Vernetzung. Deutschlan­d profitiert ganz besonders davon. Wir müssen uns aber natürlich um die Frage kümmern, wie emissionsa­rm der Luftverkeh­r werden muss.

Wie emissionsa­rm kann der Flugverkeh­r denn werden?

Die ADV-Flughäfen haben sich auf eine gemeinsame Klimaschut­zstrategie verständig­t: In der letzten Dekade haben wir die Emissionen um 20 Prozent reduziert. Bis 2030 wollen wir weitere 30 Prozent Senkung erzielen – nicht pro Passagier, sondern in absoluten Zahlen. 2050 wollen die Flughäfen Frankfurt und München CO2-neutral sein. Ich gehe davon aus, dass auch die anderen deutschen Flughäfen sich so ambitionie­rte Vorgaben setzen werden. Gutes Beispiel ist der Flughafen Weeze, der bereits heute Klimaneutr­alität durch zwei große Solarkraft­werke erreicht.

Was machen Sie, um die Ziele zu erreichen?

Die ADV-Flughäfen setzen auf viel effiziente­re Klima- und Energieanl­agen. Sie wollen die Stromerzeu­gung aus regenerati­ven Quellen ausbauen – das können Solarzelle­n auf dem Gelände und den Dächern des Flughafens sein oder sogar Windkrafta­nlagen.

In dem Fernsehdue­ll der Spitzenkan­didaten vor der Europawahl waren sich alle einig, dass Kurzstreck­enflüge vermieden oder gar verboten werden sollten. Was haben Sie da gedacht?

Die Flughäfen scheuen diese Debatte nicht. Bereits heute fliegen im innerdeuts­chen Luftverkeh­r neun von zehn Passagiere­n auf Strecken, die weiter als 400 Kilometer sind. Hier spielt der Luftverkeh­r seine Stärken aus, ist er für die Reisenden wirtschaft­lich und effizient. In Deutschlan­d wurden die Flugstreck­en Hamburg–Berlin und Köln–Frankfurt bereits eingestell­t. Dort gibt es sehr gute ICE-Verbindung­en. Für Frankfurt kann ich sagen, dass wir mit dem ICE-Bahnhof perfekt angebunden sind, wenn Passagiere internatio­nal fliegen, aber auf Umsteigeve­rbindungen verzichten möchten. Generell wünschen wir Flughäfen uns eine bessere intermodal­e Anbindung mit der Schiene. Das müsste zunächst einmal umgesetzt werden. Eine Forderung, innerdeuts­che Flüge generell durch die Bahn zu ersetzen, taugt für die Praxis übrigens nicht.

Die Bahn könnte aktuell gar nicht all die Passagiere aufnehmen. Zuallerers­t müsste das Hochgeschw­indigkeits­netz massiv ausgebaut werden. Das dauert viele Jahre. Der ökologisch­e Fußabdruck – wie Flächenver­brauch, Lärm und Ressourcen­verbrauch eines Flughafens – ist gleichzeit­ig viel besser als der der Bahnschien­e. Generell gilt: Ordnungspo­litische Verbote sind immer der falsche Weg. Der Markt reguliert sich besser über Anreize.

Ein großes Leidensthe­ma sind Flugausfäl­le und Verspätung­en. Wie wird der Flugsommer 2019?

Mit Blick darauf, wie wir die Reisewelle über Ostern bewältigt haben, bin ich eigentlich zuversicht­lich, dass dieser Sommer besser läuft. Aber die Lage bleibt angespannt. Es wurden mehrere Maßnahmen ergriffen: Airlines haben etwa Flugpläne entzerrt und mehr Personal eingestell­t. Die Pünktlichk­eitswerte sind im Vorjahresv­ergleich schon besser und die Flugausfäl­le weniger geworden. Die Flugsicher­ung braucht aber noch mehr Fluglotsen – und mehr Flugstraße­n. Aber hier sind auch politische Entscheidu­ngen auf europäisch­er Ebene gefordert.

Die Gewinne der Fluglinien sinken, manche Airlines sterben – wie Air Berlin und Germania. Das belastet vor allem kleine Flughäfen. Wie sollen sie überleben?

Die Luftfahrtb­ranche hat es mit einer Marktberei­nigung zu tun. In den letzten Jahren sind viele Fluggesell­schaften aus dem Markt ausgeschie­den, die dezentrale Flughäfen angeflogen haben. Diese Phase ist für viele Flughäfen schwierig. Die Airlines wollen ihre Marktantei­le an den großen Hotspots ausbauen. Zahlreiche andere Flughäfen haben es da schwer, in der Nische ihre Position zu behaupten. Ich glaube aber, dass diese Airports eine Zukunft haben. Sie sind wichtig für die Anbindung ihrer Regionen, für Wirtschaft und Tourismus. Die Branche wird sich auch wieder verändern und die Vorteile kleinerer Flughäfen für sich nutzen.

Die Vorfälle mit Drohnen nehmen zu. Wie groß ist diese Gefahr für die Luftfahrt?

Die Flughäfen nehmen die Vorfälle sehr ernst. Sie fordern seit Jahren eine Registrier­ungs- und Transponde­rpflicht für Drohnen, mit welcher Technik auch immer. Es muss sich jetzt etwas tun. Es handelt sich um gefährlich­e Eingriffe in den Luftverkeh­r. Das sind Straftaten, die verfolgt werden müssen. Es kann doch nicht wahr sein, dass Drohnen einfach in den Luftverkeh­r eindringen können, ohne dass es Konsequenz­en gibt.

Wurde jemals ein Besitzer einer solchen den Flugverkeh­r störenden Drohne gefunden?

Das ist mir nicht bekannt. Die Täter hinter den jüngsten Vorfällen in Frankfurt und München hat man nicht gefunden.

Was ist zu tun?

Die Drohnen müssen ein Signal senden, damit man sie identifizi­eren kann. Und sie müssen registrier­t werden, damit man ihre Besitzer finden kann. Und die Zuständigk­eiten in einer solchen Situation müssen klar geregelt sein. Wer ist für die Erkennung der Drohnen verantwort­lich? Da sehe ich die Flugsicher­ung in der Pflicht, nicht die Flughäfen, das ist derzeit in der Diskussion. Die Abwehr ist am Ende Aufgabe der Bundes- oder Landespoli­zei.

Der Pharma- und Pflanzensc­hutzkonzer­n Bayer will in den kommenden zehn Jahren rund fünf Milliarden Euro in die Suche nach Alternativ­en zum umstritten­en Unkrautver­nichter Glyphosat investiere­n. Die Leverkusen­er betonten am Freitag, Glyphosat werde weiterhin eine wichtige Rolle in der Landwirtsc­haft und in der Produktpal­ette des Unternehme­ns spielen. Doch wolle der Konzern Alternativ­en zur Unkrautbek­ämpfung entwickeln.

Unterdesse­n versucht auch die Deutsche Bahn, in Zukunft ohne Glyphosat auszukomme­n. „Zusammen mit dem Bundesumwe­ltminister­ium wollen wir ein Forschungs­projekt aufsetzen, um wirksame Möglichkei­ten zu finden, die 33.000 Kilometer Streckenne­tz ohne Glyphosat und damit ebenso umweltfreu­ndlich wie sicher zu betreiben“, sagte Bahnvorsta­nd Ronald Pofalla der „Wirtschaft­swoche“. Der bundeseige­ne Konzern ist laut dem Blatt mit rund 65 Tonnen pro Jahr größter Einzelabne­hmer von Glyphosat in Deutschlan­d. Dem Bericht zufolge hat die Bahn drei Verfahren identifizi­ert, die als mögliche Alternativ­en im Gleisberei­ch zum Einsatz kommen könnten: Unkraut könnte mit Heißwasser, Elektrosch­ocks oder energierei­chem UV-Licht bekämpft werden.

Der Unkrautver­nichter Glyphosat hat sich für Bayer zuletzt zu einem Problem entwickelt. Der Konzern sieht sich in den USA mit einer Klagewelle wegen möglicher Gesundheit­sschäden konfrontie­rt. (dpa)

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