Wie hart sind die Beweise?
Krise am Golf: Die USA beschuldigen den Iran, Tanker angegriffen zu haben und präsentieren ein Video. Teheran weist das zurück
Sie kommen, um Spuren zu beseitigen. Eine Haftmine ist nicht explodiert. Unverändert klebt sie an der Bordwand der „Kokuka Courageous“. Deshalb machen sich die Männer, die sich mit einem Schnellboot dem Tanker nähern, eilig an der Wand zu schaffen: Sie wollen die Mine entfernen.
So sieht es auf dem grau flimmernden, unscharfen Video aus, das in der Nacht auf den Freitag vom US-Militärkommando im Nahen Osten, Centcom, ins Internet gestellt wurde und das die Amerikaner wie eine „Smoking Gun“, einen „rauchenden Colt“, verstanden wissen wollen: den zweifelsfreien Beweis dafür, dass sie den Iran auf frischer Tat erwischt hätten, dass er der Urheber des Angriffs auf die Tanker „Kokuka Courageous“und „Front Altair“am Vortag sei. Mit dem Video beginnt eine neue Runde im Informationskrieg – der Iran hat der Interpretation gleich widersprochen. „Lächerlich, gleichzeitig aber auch besorgniserregend und gefährlich.“Dagegen sagt US-Präsident Donald Trump in einem Interview: „Nun ja, der Iran hat es getan. Und sie haben es, wissen Sie, getan, weil man das Schiff gesehen hat.“Sie wollten nicht, dass Beweise zurückbleiben. Trump: „Das riecht förmlich nach dem Iran.“
Die Bundesregierung hat „keine Erkenntnisse“
James Stavridis gehört nicht zu jenen amerikanischen Militärs, die US-Präsident Donald Trump nach dem Mund reden. Was das Video anbelangt, ist der einstige Vier-Sterne-Admiral im Ruhestand und ehemalige Oberkommandeur der alliierten Mächte in Europa nicht im Lager derer zu finden, die an eine Wiederholung der Lüge von Tonkin glauben. 1964 hatte der von US-Geheimdiensten erfundene Torpedo-Angriff nordvietnamesischer Schnellboote auf den US-Zerstörer „Maddox“im Golf von Tonkin de facto zu einer Kriegserklärung Amerikas gegen Vietnam geführt. Stavridis und viele Experten halten den Videomitschnitt vielmehr für „bezwingend“– und nicht politisch gefärbt.
Dass nicht das Weiße Haus, sondern Centcom die Quelle ist, ergänzt der Nahost-Fachmann der „Washington Post“, David Ignatius, spreche für unpolitisierte Authentizität. Für Washington ist das Video der optische Verstärker dessen, was Außenminister Mike Pompeo zuvor unmissverständlich geäußert hatte: Dass eindeutig Teheran der Urheber der Angriffe auf die freie Seeschifffahrt in der für den Ölexport wichtigen Region um die Straße von Hormus gewesen sei.
Mit dem bloßen Anschein begnügt sich die Welt indes nicht. Die Türkei, China, Norwegen, die EU – alle warnen am Freitag vor übereilten Reaktionen und fordern eine ernsthafte Untersuchung. Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide mahnt, es sei zu früh, um zu beurteilen, wer dahinterstecke. „Es braucht nicht viel, damit die Situation eskaliert“, warnte sie. Alle rätseln. „Wir sind dabei, die Lage zu bewerten und Informationen zu sammeln“, sagt ein ranghoher EU-Beamter in Brüssel. „Wir haben über die Urheberschaft keine eigenen Erkenntnisse“, räumt die Bundesregierung in Berlin ein. Eine „besondere Verantwortung“weist der FDPVizefraktionschef Alexander Graf Lambsdorff Deutschland zu, weil es aktuell im UN-Sicherheitsrat sitzt. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, ein erfahrener Außenpolitiker, glaubt, die dass Krise nicht spurlos an Europa vorbeigehen werde.
Unversehens in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt ist derweil die 21-köpfige Besatzung der „Kokuka Courageous“. Das Schiff wird von der deutschen Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) gemanagt und von der japanischen Firma Kokuka Sangyo betrieben. Die Seeleute hatten nach dem Vorfall den Tanker verlassen und sind nun wieder an Bord; das Schiff wird in einen sicheren Hafen geschleppt. Seltsam, die Besatzung hatte von einem „fliegenden Objekt“gesprochen, das auf sie zugesteuert sei. War es ein fliegender Angriff oder eine (Aufklärungs-)Drohne?
Andererseits: Wenn die Lesart der Amerikaner stimmt – und an der Bordwand sieht man auf dem Foto ein schwarzes „Paket“, das eine Mine sein könnte –, mussten die Iraner schnell, kurz entschlossen und im Zweifel auch relativ unvorbereitet und überhastet handeln, weil der Sprengsatz nicht explodiert war und jederzeit hätte auffallen können. Sie mussten den Beweis verschwinden lassen. Unbedingt.
Der iranische Außenminister Dschawad Sarif spricht von einem „Fetzen Indizien“. Er twittert: „Damit ist klar, dass das amerikanische B-Team auf Plan B und auf Sabotagediplomatie umgeschaltet hat.“
Damit meint er die Mannschaft von US-Sicherheitsberater John Bolton, der nach Ansicht Teherans einen Regimewechsel im Iran plane und dafür einen militärischen Konflikt provozieren würde. Davon ist bei der ersten Stellungnahme von Außenminister Pompeo indes keine Rede. Politisch und diplomatisch, sagt er, werde man weiterhin versuchen, den Iran mit Sanktionen an den Verhandlungstisch zu zwingen, um ein neues, erweiterteres Atomabkommen zu erzielen. Aus dem bestehenden Vertrag war Trump vor einem Jahr zum Leidwesen der anderen Unterzeichnermächte, darunter Deutschland, ausgetreten.
Fachleute wie Stavridis und Ignatius sehen momentan keine Bestrebungen der US-Regierung, einen militärischen Konflikt mit dem Iran vom Zaun zu brechen. Allerdings befänden sich beide Länder auf „Kollisionskurs“. Trumps Wirtschaftssanktionen hätten den Iran zu Trotzhandlungen verleitet, die mit dem „Ausbrechen aus einer Zwangsjacke“zu vergleichen seien. Durch den Videonachweis könne es dem Weißen Haus bei kluger Verhandlungsführung gelingen, die Koalition gegen Teheran zu vergrößern, analysiert David Ignatius.