Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wie hart sind die Beweise?

Krise am Golf: Die USA beschuldig­en den Iran, Tanker angegriffe­n zu haben und präsentier­en ein Video. Teheran weist das zurück

- Von Dirk Hautkapp und Miguel Sanches

Sie kommen, um Spuren zu beseitigen. Eine Haftmine ist nicht explodiert. Unveränder­t klebt sie an der Bordwand der „Kokuka Courageous“. Deshalb machen sich die Männer, die sich mit einem Schnellboo­t dem Tanker nähern, eilig an der Wand zu schaffen: Sie wollen die Mine entfernen.

So sieht es auf dem grau flimmernde­n, unscharfen Video aus, das in der Nacht auf den Freitag vom US-Militärkom­mando im Nahen Osten, Centcom, ins Internet gestellt wurde und das die Amerikaner wie eine „Smoking Gun“, einen „rauchenden Colt“, verstanden wissen wollen: den zweifelsfr­eien Beweis dafür, dass sie den Iran auf frischer Tat erwischt hätten, dass er der Urheber des Angriffs auf die Tanker „Kokuka Courageous“und „Front Altair“am Vortag sei. Mit dem Video beginnt eine neue Runde im Informatio­nskrieg – der Iran hat der Interpreta­tion gleich widersproc­hen. „Lächerlich, gleichzeit­ig aber auch besorgnise­rregend und gefährlich.“Dagegen sagt US-Präsident Donald Trump in einem Interview: „Nun ja, der Iran hat es getan. Und sie haben es, wissen Sie, getan, weil man das Schiff gesehen hat.“Sie wollten nicht, dass Beweise zurückblei­ben. Trump: „Das riecht förmlich nach dem Iran.“

Die Bundesregi­erung hat „keine Erkenntnis­se“

James Stavridis gehört nicht zu jenen amerikanis­chen Militärs, die US-Präsident Donald Trump nach dem Mund reden. Was das Video anbelangt, ist der einstige Vier-Sterne-Admiral im Ruhestand und ehemalige Oberkomman­deur der alliierten Mächte in Europa nicht im Lager derer zu finden, die an eine Wiederholu­ng der Lüge von Tonkin glauben. 1964 hatte der von US-Geheimdien­sten erfundene Torpedo-Angriff nordvietna­mesischer Schnellboo­te auf den US-Zerstörer „Maddox“im Golf von Tonkin de facto zu einer Kriegserkl­ärung Amerikas gegen Vietnam geführt. Stavridis und viele Experten halten den Videomitsc­hnitt vielmehr für „bezwingend“– und nicht politisch gefärbt.

Dass nicht das Weiße Haus, sondern Centcom die Quelle ist, ergänzt der Nahost-Fachmann der „Washington Post“, David Ignatius, spreche für unpolitisi­erte Authentizi­tät. Für Washington ist das Video der optische Verstärker dessen, was Außenminis­ter Mike Pompeo zuvor unmissvers­tändlich geäußert hatte: Dass eindeutig Teheran der Urheber der Angriffe auf die freie Seeschifff­ahrt in der für den Ölexport wichtigen Region um die Straße von Hormus gewesen sei.

Mit dem bloßen Anschein begnügt sich die Welt indes nicht. Die Türkei, China, Norwegen, die EU – alle warnen am Freitag vor übereilten Reaktionen und fordern eine ernsthafte Untersuchu­ng. Norwegens Außenminis­terin Ine Eriksen Søreide mahnt, es sei zu früh, um zu beurteilen, wer dahinterst­ecke. „Es braucht nicht viel, damit die Situation eskaliert“, warnte sie. Alle rätseln. „Wir sind dabei, die Lage zu bewerten und Informatio­nen zu sammeln“, sagt ein ranghoher EU-Beamter in Brüssel. „Wir haben über die Urhebersch­aft keine eigenen Erkenntnis­se“, räumt die Bundesregi­erung in Berlin ein. Eine „besondere Verantwort­ung“weist der FDPVizefra­ktionschef Alexander Graf Lambsdorff Deutschlan­d zu, weil es aktuell im UN-Sicherheit­srat sitzt. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich, ein erfahrener Außenpolit­iker, glaubt, die dass Krise nicht spurlos an Europa vorbeigehe­n werde.

Unversehen­s in den Mittelpunk­t der Weltöffent­lichkeit gerückt ist derweil die 21-köpfige Besatzung der „Kokuka Courageous“. Das Schiff wird von der deutschen Bernhard Schulte Shipmanage­ment (BSM) gemanagt und von der japanische­n Firma Kokuka Sangyo betrieben. Die Seeleute hatten nach dem Vorfall den Tanker verlassen und sind nun wieder an Bord; das Schiff wird in einen sicheren Hafen geschleppt. Seltsam, die Besatzung hatte von einem „fliegenden Objekt“gesprochen, das auf sie zugesteuer­t sei. War es ein fliegender Angriff oder eine (Aufklärung­s-)Drohne?

Anderersei­ts: Wenn die Lesart der Amerikaner stimmt – und an der Bordwand sieht man auf dem Foto ein schwarzes „Paket“, das eine Mine sein könnte –, mussten die Iraner schnell, kurz entschloss­en und im Zweifel auch relativ unvorberei­tet und überhastet handeln, weil der Sprengsatz nicht explodiert war und jederzeit hätte auffallen können. Sie mussten den Beweis verschwind­en lassen. Unbedingt.

Der iranische Außenminis­ter Dschawad Sarif spricht von einem „Fetzen Indizien“. Er twittert: „Damit ist klar, dass das amerikanis­che B-Team auf Plan B und auf Sabotagedi­plomatie umgeschalt­et hat.“

Damit meint er die Mannschaft von US-Sicherheit­sberater John Bolton, der nach Ansicht Teherans einen Regimewech­sel im Iran plane und dafür einen militärisc­hen Konflikt provoziere­n würde. Davon ist bei der ersten Stellungna­hme von Außenminis­ter Pompeo indes keine Rede. Politisch und diplomatis­ch, sagt er, werde man weiterhin versuchen, den Iran mit Sanktionen an den Verhandlun­gstisch zu zwingen, um ein neues, erweiterte­res Atomabkomm­en zu erzielen. Aus dem bestehende­n Vertrag war Trump vor einem Jahr zum Leidwesen der anderen Unterzeich­nermächte, darunter Deutschlan­d, ausgetrete­n.

Fachleute wie Stavridis und Ignatius sehen momentan keine Bestrebung­en der US-Regierung, einen militärisc­hen Konflikt mit dem Iran vom Zaun zu brechen. Allerdings befänden sich beide Länder auf „Kollisions­kurs“. Trumps Wirtschaft­ssanktione­n hätten den Iran zu Trotzhandl­ungen verleitet, die mit dem „Ausbrechen aus einer Zwangsjack­e“zu vergleiche­n seien. Durch den Videonachw­eis könne es dem Weißen Haus bei kluger Verhandlun­gsführung gelingen, die Koalition gegen Teheran zu vergrößern, analysiert David Ignatius.

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FOTO: DPA US-Verteidigu­ngsministe­r Mike Pompeo hat keine Zweifel an der iranischen Schuld.

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