Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Ich habe den Fußball überliebt“

Vom Rasen-Rowdy zum designiert­en Bayern-Boss – die wundersame Verwandlun­g des Oliver Kahn. Er wird heute 50

- Von Pit Gottschalk

Darauf hat Oliver Kahn immer Wert gelegt: Einen wie ihn gibt es kein zweites Mal. Als ihm sein Torwartkol­lege René Adler den Beinamen „Titan“für eine Handschuhm­arke streitig machte, zog der dreimalige Welttorhüt­er vor Gericht und beanspruch­te Exklusivit­ät. Beschwicht­igungsvers­uche schlugen fehl. Titan – das klingt so einzigarti­g, so eng verbunden mit ihm, dem Vizeweltme­ister von 2002, dass er keinen Millimeter einlenkte. Nächster Verhandlun­gstermin: 29. Oktober vor dem Landgerich­t München.

Man darf also gespannt sein, wie Oliver Kahn seine künftige Rolle als Vorstandsv­orsitzende­r des FC Bayern definieren wird. „Er hat sich enorm entwickelt und eine innere Ruhe gefunden“, behauptet Präsident Uli Hoeneß.

Ruhe: kennt Kahn nicht. Am heutigen Samstag wird er 50 Jahre alt und könnte auf eine erfüllte Profikarri­ere als Bayern-Torwart zurückblic­ken. 14 Jahre lang sammelte er fleißig Titel: Champions-League-Sieg 2001 und Uefa-Cup 1996, acht deutsche Meistersch­aften und sechs DFB-Pokalsiege von 1994 bis 2008. Seit er aufhörte, hat er nicht ein einziges Fußballspi­el mehr bestritten. Nicht einmal aus Gaudi in Traditions­mannschaft­en. „Ich habe den Fußball überliebt“, scherzt er darüber.

Stattdesse­n baute er eine neue Existenz auf. Das Fußballpub­likum erlebt ihn als TV-Experten im ZDF und als Werbefigur eines Wettanbiet­ers. Im Hintergrun­d absolviert­e er ein BWL-Studium und gründete das Unternehme­n „Goalplay“in München; zwei Dutzend Angestellt­e hat seine Firma inzwischen.

Womöglich braucht ihn der FC Bayern mehr als umgekehrt. Die Gespräche darüber, dass er 2020 eingearbei­tet wird und spätestens 2021 den Vorstandsv­orsitz von Karl-Heinz Rummenigge übernimmt, seien „sehr, sehr entwickelt“, wie Kahn im Gespräch mit dieser Zeitung einräumt. Spruchreif sei der Wechsel nicht. Zumindest: noch nicht. Ein bisschen Beinfreihe­it, wie weit er sich im Schatten von Uli Hoeneß bewegen darf, muss auch er verhandeln.

Auf der Spielmache­r-Konferenz in Hamburg ließ Kahn am Mittwoch durchblick­en, dass er Regulierun­gen im Bundesliga­Betrieb nicht ausschließ­t und ermahnt die Clubs zu einer gewissenha­ften Vorbereitu­ng auf den Fall, dass der alte Vereinsgru­ndsatz „50+1“in der Liga wegfällt. Als Bayern-Boss darf er die Bundesliga prägen.

Man merkt bei jedem Satz: Das ist nicht mehr jener Kahn, der auf dem Spielfeld Gegenspiel­er in den Hals beißen (Heiko Herrlich) oder mit Kung Fu niederstre­cken (Stephane Chapuisat) wollte. Nicht mehr jener Kahn, der mit der Eckfahne wedelnd „Weitermach­en! Immer weitermach­en!“brüllte (2001) oder von seiner Mannschaft „Eier! Wir brauchen Eier!“einfordert­e (2003). Nicht mehr jener Kahn, der Mitspieler am Nacken packte und aus Wut wegschleud­erte (Andy Herzog 1996). Der neue Kahn hat den US-Sport studiert und versteht Fußball als Manager-Aufgabe.

An der Havard-Universitä­t hat er kürzlich seine Führungsqu­alitäten geschult, um den neuen Job bestens vorbereite­t anzutreten. „Der FC Bayern ist ein ganz, ganz großer Teil des Lebens gewesen“, sagt er, „da hat man schon eine gewisse Verpflicht­ung.“In der Klageerwid­erung von René Adler steht zur Verwendung des Titan-Begriffs: Oliver Kahn sei „schlicht einer von vielen“, die sich Titan nennen dürften. Er wird nicht nur René Adler das Gegenteil beweisen wollen.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Oliver Kahn

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