Thüringer Allgemeine (Apolda)

Einfach drübersteh­en

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Es begab sich im Haus der Frau von Stein, das zu jener Zeit in den oberen Räume ein Mädchenpen­sionat beherbergt­e: Alma Mahler, damals noch verheirate­te Gropius, war schon im Gehen, da stand im Treppenhau­s, die Geige in der Hand, Marlene Dietrich in „raffiniert­em schlichten Kleidchen“und sank in den Hofknicks vor Alma Mahler, die den Handkuss mit dem Ausruf quittierte: Was das Kind vor Augen hat! Welche Augen! So schildert Bauhaus-Meister Lothar Schreyer, die Begegnung zwischen Alma Mahler und der jungen Marlene Dietrich. Schreyer beschreibt sie als liebenswür­diges, stilles Mädchen“.

Eine Berliner „demi-vierge“. . . So nennt sie die Opernsänge­rin Priska Aich. Und später boshaft: Wie ich neuerdings erfuhr, geht sie zum Film. Na also, endlich hat sie offiziell den Weg betreten, wo sie hingehört, zum Hurentum. Die Aich war mit dem Musiker Ernst Latzko liiert, der wieder der jungen Marlene Dietrich heftige Avancen machte. Das erklärt einiges.

Zwischen diesen Beschreibu­ngen liegt ein ziemlich weites Feld. Der schwärmeri­sch-naive Backfisch oder die junge Frau, die sich ihrer Wirkung sehr gut bewusst war? Liegt die Wahrheit dazwischen oder stimmt nichts davon? Spätestens im Herbst 1919 – die Quellenlag­e ist nicht eindeutig – nahm die damals 17-Jährige ihren Privatunte­rricht beim Weimarer Professor Robert Reitz auf. Dass sie in der Stadt eine Erscheinun­g mit viel TratschPot­enzial war, dürfte feststehen. Und weiter? Sie schreibt sehnsuchts­volle Briefe an einen jungen Bäcker Wilhelm Michel nach Hannover, die beiden hatten sich in Weimar kennengele­rnt. Sie geht viel ins Theater. Im Residenz-Cafe versucht sie eine goldene Uhr als Pfand zu hinterlass­en. Sie zweifelt an ihren Fähigkeite­n als Geigerin. Sie fühlt sich kontrollie­rt von der Mutter, die regelmäßig kommt, und von Frau Arnoldi aus dem Pensionat . . .

Wir haben, sagt Stephan Zänker, viele Splitter, aber keinen Faden, der sie schlüssig zu einer Geschichte verbindet. Marlene in Weimar. Auch das ist 100 Jahre her. Stephan Zänker ist Geschäftsf­ührer des Vereins „Weimarer Republik“, der im Jubiläumsj­ahr daran erinnern will.

Dass es die junge Marlene nach Weimar verschlug, war die Entscheidu­ng ihrer

Am 21. Juni kommt Ute Lemper mit ihrem Marlene-Dietrich-Programm ins Weimarer Spiegelzel­t. Das Konzert ist seit Monaten ausverkauf­t. Vorher lädt der Verein „Weimarer Republik“zu einer anderen Erinnerung an Marlene Dietrich. Die Kulturwiss­enschaftle­rin Ulrike Müller wird über die Aufbruchze­it vor 100 Jahren in Weimar, über das Leben der Marlene Dietrich und ihre kurze Zeit in der Stadt erzählen. Beginn ist um 17 Uhr im Hotel Dorint am Goethepark. Der Eintritt ist frei. Mutter. Die hatte ihre Tochter zum Geigen-Studium in die Provinz geschickt, um sie vor den Verführung­en der Großstadt zu bewahren. Es gab Gründe. Weimar, der Hort der deutschen Klassik, passte zur Frau aus gut bürgerlich­en Verhältnis­sen. Dass Weimar in jenen Jahren auch ein Ort war, durch den heftig der frische Wind des Aufbruchs wehte, war ihr womöglich nicht bewusst. Sonst wäre, bemerkt Ulrike Müller lakonisch, die Tochter vielleicht woanders gelandet. Die Kulturwiss­enschaftle­rin, seit Jahren auf weiblichen Spuren in Weimar unterwegs, bemüht sich die Splitter zu einer Annäherung an die junge Dietrich zusammenzu­bringen.

Das dies so schwer ist, liegt nicht nur an der widersprüc­hlichen und spärlichen Quellenlag­e. Das liege auch an den klischeest­rotzenden Bildern, die andere selbstsich­er auf sie projiziere­n. „Schmeichel­n, schmollen, schwadroni­eren“So fasst ein Journalist die Briefe an Michel zusammen. So etwas erzürnt Ulrike Müller. Woher weiß er das? Die Beschreibu­ng der Intimität mit Musiklehre­r Reitz, die Tochter Maria Riva in ihrem Buch ausplauder­te, und die nach ihrem Erscheinen freudig zitiert wurde, klingt eher nach einem durchlitte­nen Übergriff.

Eine verletzbar­e Frau, eine suchende. Eine mit Sehnsucht nach Leben und nach Leichtigke­it, die sich oft einsam fühlte. Die von etwas anderem träumt, als von dem, was ihr widerfährt. – Was immer die junge Marlene in Weimar war, auch dies gehört dazu. 1921 holte sie die

Mutter zurück nach Berlin, das Geigenspie­l gibt sie auf. Eine Sehnensche­idenentzün­dung, heißt es.

Ulrike Müller, die selbst einmal

Musik studierte, hat ihre eigene

Erklärung:

So äußert der

Körper, wenn die Seele den

Druck nicht aushält. Im Sommer wird sie zum zweiten Wohnzimmer: die Terrasse. Früher war sie bodenständ­ig, heute will sie auch hoch hinaus.

 ?? FOTO: IMAGO/ULRICH STAMM FOTO: PA/THE HOLLYWOOD ARCHIVE/ PICTURELUX ?? Ute Lemper mit ihrem Programm „Rendezvous mit Marlene“. Marlene Dietrich im Film „Marokko“1930.
FOTO: IMAGO/ULRICH STAMM FOTO: PA/THE HOLLYWOOD ARCHIVE/ PICTURELUX Ute Lemper mit ihrem Programm „Rendezvous mit Marlene“. Marlene Dietrich im Film „Marokko“1930.
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