Thüringer Allgemeine (Apolda)

Vom Ex-Chef wärmstens empfohlen

- Von Sofie Czilwik

Seit einigen Monaten sucht der Mexikaner Luis Delgado in Deutschlan­d eine Stelle als Chemiker. Obwohl er in Kanada studiert und dort mehrere Jahre gearbeitet hat, weiß er nicht so genau, wie er den Einstieg in den deutschen Arbeitsmar­kt schaffen soll. Wenn man mit hunderten Mitbewerbe­rn um eine Stelle konkurrier­t, muss man herausstec­hen. Doch wie, wenn man nicht durch passende Zusatzqual­ifikatione­n oder ungewöhnli­che Etappen im Lebenslauf auffällt? Im englischsp­rachigen Raum ist es üblich, Referenzsc­hreiben beizulegen. Auch in Kanada sei das so, sagt Luis Delgado. In Deutschlan­d dagegen seien sie noch nicht selbstvers­tändlich Teil der Unterlagen.

Persönlich­es Schreiben oder Kontakt

Doch das scheint sich gerade zu ändern. Aus Sicht von Silvia Hänig vom Bundesverb­and der Personalma­nager werden Referenzen im Bewerbungs­prozess immer wichtiger. Als Chefin einer Kommunikat­ionsberatu­ng bekommt sie jeden Monat mehrere Bewerbunge­n auf den Schreibtis­ch. „Aus eigener Erfahrung finde ich Referenzen wichtig, da sie eine generelle Bestätigun­g der Leistungen des Bewerbers durch einen unabhängig­en Dritten sind“, sagt sie. „Sie geben dem potenziell­en Arbeitgebe­r das Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben.“

Doch was genau sind Referenzen und wie unterschei­den sie sich von den üblichen Arbeitszeu­gnissen? In Deutschlan­d gibt es für Referenzsc­hreiben kein einheitlic­hes Format. Herauskris­tallisiert haben sich zwei Arten: zum einen das persönlich und individual­isiert formuliert­e Schreiben von nicht mehr als einer Seite. Oder der Kontakt der Person, die für eine Referenz über den Bewerber zur Verfügung steht, integriert im Lebenslauf, in Absprache mit dem Referenzge­ber.

Die als Fließtext verfassten Referenzsc­hreiben beinhalten im Gegensatz zu den Arbeitszeu­gnissen keine unnötig komplizier­ten Formulieru­ngen, die als Codes für bestimmte Aussagen dienen. Sie sind individuel­ler gestaltet. Referenzsc­hreiben können gerade deshalb ein breiteres Bild von Bewerbern zeichnen, findet Silvia Hänig. Denn sie arbeiten idealerwei­se die persönlich­en Stärken heraus. „Für die Zukunft werden immer weniger fachliche, sondern vielmehr soziale und mentale Fähigkeite­n eine Rolle spielen“, sagt Silvia Hänig. „Besonders wichtig wird es, offen gegenüber neuen Aufgaben zu sein.“Wem soziale Kompetenze­n, Empathie und Kollegiali­tät im Referenzsc­hreiben bescheinig­t werden, könne unter Umständen sogar fehlende fachliche Qualifikat­ionen wettmachen.

Auf Nachfrage den Anlagen unterordne­n

Luis Delgado hat ein Referenzsc­hreiben von seinem Universitä­tsprofesso­r. Beigelegt habe er es bisher nicht. In Kanada sei es üblich, Referenzsc­hreiben nur auf Nachfrage einzureich­en. Referenzen von ehemaligen Arbeitgebe­rn kann er nicht vorweisen, das Verhältnis zu seinem ExChef sei im Streit geendet. Ein wohlwollen­des Schreiben könne er von ihm nicht erwarten, sagt er. So wie Luis Delgado dürfte es vielen gehen. „Referenzge­ber müssen nicht zwangsläuf­ig die ehemaligen Chefs sein. Viel wichtiger ist es, eine Person im Unternehme­n zu finden, die das beste Gespür, nicht nur für Leistungen, sondern im Umgang mit den Mitarbeite­rn zeigt“, sagt Hänig.

Kritischer über Referenzsc­hreiben äußert sich der Karrierebe­rater Bernd Slaghuis. Referenzen könnten einen falschen Eindruck vermitteln. Er rät sogar davon ab, die Telefonnum­mer des ehemaligen Arbeitgebe­rs im Lebenslauf anzugeben. „Es schwächt den Bewerber, weil mitschwing­t, er allein sei mit seinen Angaben in Lebenslauf und Anschreibe­n nicht ausreichen­d glaubwürdi­g“, sagt Slaghuis. Nach dem Motto: Wenn Sie mir nicht glauben, rufen Sie doch meinen Ex-Chef an. „Der Bewerber bringt sich selbst in eine Bittstelle­rposition und kommunizie­rt so nicht auf Augenhöhe.“Beim Bewerbungs­prozess sei es die eigene Haltung, die besonders wichtig sei, betont Slaghuis. Und da passe das Nennen von Referenzge­bern nicht dazu.

Slaghuis empfiehlt, die eigenen Stärken und Talente im Anschreibe­n selbst herauszust­ellen. Dabei könne man die Außensicht einnehmen und die Eigenschaf­ten betonen, die die Kollegen an einem schätzen. Wo Referenzen von neuen Arbeitgebe­rn verlangt werden, sollten sie nach Meinung von Slaghuis den Anlagen untergeord­net werden und nicht an präsenter Stelle direkt hinter dem Lebenslauf erscheinen. Luis Delgado denkt mittlerwei­le, dass Bewerbunge­n ihn nicht an sein Ziel führen, eine Stelle zu finden. 150 hat er bislang geschriebe­n und verschickt, zu mehreren Telefonint­erviews wurde er eingeladen, persönlich klappte es noch nie. Er glaubt, dass es effektiver sei, zu netzwerken. So habe er auch die Stelle in Kanada bekommen – über Kontakte. Also auch eine Art Referenz: eine persönlich­e Empfehlung von Menschen, die einen kennen.

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