Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wie die Axt im Walde Der Borkenkäfe­r vernichtet auch in Thüringen große Fichtengeb­iete und sorgt für einen hohen wirtschaft­lichen Schaden

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Auch Anett Wenzel spricht von einem „Riesenscha­den“. Doch die 47-jährige sagt zugleich, dass der Borkenkäfe­r letztlich nur das macht, was seinem Wesen als „vitales Insekt“entspricht. Er sucht nach nährstoffr­eicher Nahrung. Erst auf Nachfrage nickt sie zum Wort „Schädling“und schwärmt fast ein wenig von seiner schier unendliche­n Kraft. „Wenn ein Baum von 200 Käfern angeflogen wird, bedeutet das sein Todesurtei­l.“Denn auch die Vermehrung der Borkenkäfe­r ist enorm. Die Gothaerin berichtet, dass sich aus einem Borkenkäfe­r in drei Generation­en pro Jahr etwa 170.000 neue entwickeln können. Das mache es so komplizier­t, er kann wie eine Axt ganze Wälder flach legen. Deshalb muss schon beim Beifall einer einzigen Fichte schnell reagiert werden.

Nach dem Kratzen der Rinde mit dem Schäleisen zeigt Anett Wenzel auf das Holz unter der Borke – die winzigen Gangstrukt­uren in Form eines aufgeschla­genen Buches, das braune Bohrmehl, die weißen Eier. Bis diese sich zu Käfern entwickeln, dauert es nur sechs Wochen. Und wenn der befallene Baum im Wald nicht gefunden wird, können bis zu 20.000 Käfer im Schwarm ausfliegen, um neue Brutplätze zu erobern. Auf den alten hinterlass­en sie enorme Wunden. Manchen Bäume sieht man dabei das Kranksein noch nicht an. Doch wenn sie vom Käfer befallen sind, dauert es nicht lange, dann sind die Spitzen, die Zweige, die Nadeln braun. Und irgendwann geben die vertrockne­ten und entkräftet­en Fichten den Kampf auf. Fichtenhol­z überfüllt, Holzrückeu­nternehmen sind dazu übergegang­en, lediglich noch gegen Vorkasse zu arbeiten. So stapeln sich die Festmeter im Wald, Verkäufe lohnen sich wegen der niedrigen Preise kaum, mancher traditione­lle Forstbetri­eb steht vor der Pleite. „Wenn man es genau nimmt“, so Anett Wenzel, „klebt an jeder Fichte imaginär ein 50-Euro-Schein. Ganz abgesehen vom ideellen Wert für den Besitzer“. Denn er hätte die Bäume selbst gepflanzt, sie jahrelang im Wachsen und Gedeihen beobachtet. Der Waldbesitz­erverband hofft daher auf kräftige Hilfe des Landes und des Bundes. Doch Politiker und Wissenscha­ftler wirken angesichts des Klimawande­ls teilweise ratlos.

Aber wie weiter? Stirbt der Nadelwald aus? Gibt es die Fichte bald nicht mehr? Ist das ökologisch­e Gleichgewi­cht in Gefahr? Denn den Vögeln fehlen beispielsw­eise durch das Fichtenste­rben auch Nistplätze, der Boden rutscht ab. Und andere Baumarten bereiten ebenfalls zunehmend Sorgen: Esche und Ahorn-Gehölz werden vom Pilz bedroht, Buchen vertrockne­n.

Anett Wenzel blickt trotzdem nicht pessimisti­sch nach vorn. „Die Natur wird sich schon entscheide­n“. Sie traut ihr zu, im Wettlauf mit dem Klimawande­l enorme Beharrungs­kräfte zu entwickeln. Auch wenn der Wald so krank wie seit bald 30 Jahren nicht ist. Nur noch rund 20 Prozent aller Bäume gelten als nicht geschädigt.

„Doch“, so Anett Wenzel, „man kann ja auch etwas Einfluss nehmen.“Indem man selbst aktiv wird, entweder die jungen Fichten hegt, Tannen oder auch Buchen pflanzt, denn gerade der Mischwald ist die gesündeste Form. Der Wald brauche jedenfalls Weile und Geduld. Doch auch Mitarbeite­r, die die Reviere kontrollie­ren und bearbeiten. Davon gibt es auch in Thüringen zu wenige. „Wir schaffen das derzeit nicht, sind am Limit“sagt Anett Wenzel und verliert in diesem Moment wirklich mal ihr Lächeln.

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FOTOS: SASCHA FROMM Anett Wenzel schabt mit einem Rindenkrat­zer an der Fichte, der Borkenkäfe­r wird wenig später sichtbar.
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Eine Fliege (oben links) hat sich kurz niedergela­ssen. Sie wirkt im Vergleich zum winzigen Borkenkäfe­r (unten rechts) fast riesig.
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Der Zeigefinge­r von Anett Wenzel weist auf die Gangstrukt­uren des Borkenkäfe­rs hin. Bei einer Fichte ist der Buchdrucke­r der Schädling.
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Das rote K steht für krank, der Baum muss entfernt werden.
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Der Borkenkäfe­r hat für das Ende dieser Fichte gesorgt.
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Die Ausbreitun­g des Borkenkäfe­rs, seine eilige Population, das Sterben der Fichten, hat auch eine wirtschaft­liche Komponente. Denn der Markt ist mit

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