Die letzte Thüringerin in Europa
Seit einem Jahr sitzt Marion Walsmann im EU-Parlament. Was tut sie da?
Erfurt. Das Telefon klingelt im Abgeordnetenbüro in der Erfurter Bahnhofstraße, ein Kollege aus Bulgarien ruft an, aber Marion Walsmann hat gerade keine Zeit. „Da geht es sicher um meine Pressemitteilung zu Nordmazedonien“, sagt sie. „Ich habe mich dafür ausgesprochen, dass der Wahltermin noch einmal verschoben wird.“Die Zahl der Corona-Infektionen sei viel zu hoch.
Marion Walsmann, das ist wohl die gewünschte Anmutung, kann auch Weltpolitik, selbst wenn es in diesem Fall nur um einen Ministaat auf dem Balkan geht. Seit einem Jahr sitzt sie im Europa-Parlament, wo sie, wenn man ihrer Zwischenbilanz folgen mag, einiges erreicht hat.
Ihr Mitarbeiter hat alles sorgfältig auf mehreren Seiten dokumentiert: In Brüssel und Straßburg 15 Plenarsitzungen, 14 Delegationstreffen, 30 weitere Gremiensitzungen, 108 Gespräche mit Unternehmen und Experten, sechs Besuchergruppen. In ihren beiden Ausschüssen für Recht und Binnenmarkt hat sie 150 Änderungsanträge eingereicht und drei Berichte wurden verfertigt, zur Produktsicherheit zum Einsatz künstlicher Intelligenz. Hinzu kamen 64 Termine in Thüringen.
„Und das alles trotz Corona!“, ruft Walsmann. Und dann, natürlich, sei da noch Nordmazedonien. Sie nehme für das Parlament am Jean-Monnet-Dialog teil, das die Beitrittsverhandlungen begleite.
Erhitzte Debatte über ihre DDR-Vergangenheit
Walsmann weiß sich zu präsentieren, in ihrem Büro mit weitläufigen Tagungsraum, auf ihrer HochglanzInternetseite und im politischen Betrieb. Sie ist ja ja auch schon lange genug dabei. 1986, da war sie 23 und hatte gerade ihr Jura-Studium abgeschlossen, zog sie als CDUBlockparteimitglied in die DDRVolkskammer ein. Trotz dieser beachtlichen Anpassungsleistung schaffte sie es 1990 in den Bundesspitze der vereinigten CDU, wo sie aber bald darauf von einer gewissen
Christine Lieberknecht verdrängt wurde. Obwohl Walsmann danach den Kreisvorsitz der mächtigen Erfurter CDU übernahm, blieb es bei einer mittleren Beamtenkarriere, bis sie 2008 Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) zur Justizministerin ernannte – was zu einer erhitzten Debatte über ihre DDR-Vergangenheit führte.
Dennoch blieb sie auch unter Althaus‘ Nachfolgerin Lieberknecht im Kabinett, erst als Finanzministerin und dann als Staatskanzlei- und Europaministerin, bis sie 2013 im Streit mit der Regierungschefin entlassen wurde.
Doch 2014 kämpfte sie sich mit der Landtagswahl zurück. Auf der Parteiliste von Lieberknecht ganz nach hinten gesetzt, besiegte sie in ihrem Erfurter Wahlkreis ausgerechnet den linken Spitzenkandidaten Bodo Ramelow – und saß erstmals im Parlament. Dort arbeitete sie im für Europa zuständigen Ausschuss und ließ sich vom Land in den Ausschuss der Regionen nach Brüssel entsenden.
Walsmann kandidiert als Vizelandeschefin
Ende 2018 gab sie ihr Mandat auf, um sich die Kandidatur für das Europaparlament zu sichern. Dort sitzt sie nun seit einem Jahr, „als einzige echte EU-Abgeordnete aus Thüringen“, wie sie sagt und womit sie halbwegs recht hat. Der LinkeAbgeordnete Martin Schirdewan, der auf Gabi Zimmer nachfolgte, gehört zwar der Thüringer Landespartei an und besitzt ein Büro in Jena, wohnt aber in Berlin. Und die Thüringer SPD hat ihr Europamandat vorerst verloren.
„Mein Wahlkreis ist Thüringen“, sagt deshalb Walsmann und redet davon, wie sie für das Stahlwerk in Unterwellenborn streite, dessen Export von billigen Importen bedroht werde – und natürlich dafür, dass Ostdeutschland bei der im nächsten Jahr beginnenden Förderperiode nicht zu viele Zuschüsse verliert.
Ist da vielleicht noch mehr drin? Walsmann will jedenfalls auf dem CDU-Landesparteitag im September als Vizelandeschefin kandidieren, obwohl der designierte Vorsitzende Christian Hirte andere Pläne hat. Mit einem landespolitischen Comeback oder einer Absicherung ihres EU-Mandats über 2024 hinaus habe das aber nichts zu tun, sagt Walsmann auf Nachfrage. „Ich will nur, dass die Europapolitik in der Thüringer CDU-Spitze vertreten ist.“