In Ausbildung und Studium
Diagnostiziert wird eine Rechtschreibschwäche meist in der Schulzeit. Doch wie geht es danach weiter?
Vermutlich müssen Sie sich nicht besonders stark konzentrieren, um diesen Satz lesen zu können. Für viele Menschen mit Legasthenie ist das anders. Ihnen fällt es schwer, Texte zu lesen oder zu schreiben.
Kinder- und Jugendpsychiater können ab Mitte der zweiten Schulklasse eine gesicherte Diagnose stellen. „Das ist so wichtig, damit man die richtige Förderung bekommen kann. Zudem hat man nur mit einer Diagnose gesetzlichen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich, um die Beeinträchtigung zu kompensieren“, sagt Annette Höinghaus vom Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie. Sie fügt hinzu: „Wenn sich Betroffene dann nicht mehr so viele Sorgen um das Erfassen der Texte machen müssen, können sie sich wirklich auf die Inhalte und Themen konzentrieren und herausfinden, worin sie richtig gut sind und was ihnen Spaß macht.“
In der Arbeitswelt kommen Legastheniker meist gut klar
Da Legasthenie nichts mit Intelligenz oder fachlicher Kompetenz zu tun hat, könnten Betroffene jeden erdenklichen Beruf wählen, so Höinghaus. In der Arbeitswelt selbst kommen Menschen mit Legasthenie dank neuer Technologien oft hervorragend klar. Dadurch merken viele Kollegen oder Vorgesetzte gar nicht, wenn ein solches Problem existiert. „Jeder Computer hat ein Rechtschreibprogramm. Auch werden Spracherkennungssoftwares immer besser, denen man Texte einfach diktieren kann“, sagt Höinghaus. „Für diejenigen, denen das Lesen Schwierigkeiten macht, gibt es zudem auch tolle Programme, die Texte vorlesen.“
Bleibt nur noch der Weg dorthin. Sowohl für die duale Ausbildung als auch an Hochschulen und Universitäten gibt es Regeln und Leitlinien, um sicherzustellen, dass Betroffene dieselben Chancen wie die anderen Azubis und Studierende haben. Kirsten Vollmer arbeitet im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und hat zusammen mit einer Kollegin
ein Handbuch zum Thema Nachteilsausgleich bei behinderten Auszubildenden erarbeitet. Sie sagt: „ Die Betriebe sind sehr offen und interessiert, vor allem in den Bereichen und Branchen, in denen Fachkräftemangel besteht und in denen Sprache eh keine entscheidende Rolle spielt. Auch die Kammern und Innungen haben mittlerweile das Thema mehr als früher auf der Agenda.“
Um in Prüfungssituationen Chancengleichheit mit Azubis ohne Legasthenie herzustellen, gebe es viele Möglichkeiten. Die Zeit könne verlängert werden, es könnten Hilfsmittel wie ein Wörterbuch oder eine Software erlaubt werden, schriftliche Aufgaben könnten vorgelesen werden. Zudem könne eine schriftliche Prüfung als mündliche Prüfung abgehalten werden. Vollmer erklärt: „Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Menschen mit einer Behinderung wie Legasthenie ein Nachteilsausgleich zusteht. Es ist aber nicht definiert, wie dieser Ausgleich konkret auszusehen hat.“
Denn jeder Mensch mit Legasthenie hat individuelle Probleme und Bedürfnisse. So kann es dem einen helfen, mehr Zeit zu bekommen, dem anderen aber bringt das überhaupt nichts. Ob ein Nachteilsausgleich gewährt wird und wie dieser auszusehen hat, entscheidet in einer Ausbildung die zuständige Kammer. Die fachlichen Anforderungen der Prüfung bleiben selbstverständlich gleich.
Vollmer empfiehlt, so früh wie möglich, spätestens aber bei der Prüfungsanmeldung, gut begründete Vorschläge für den gewünschten Nachteilsausgleich miteinzureichen. „Diese Empfehlungen können vom Facharzt kommen, der auch das Gutachten schreibt, von der Berufsschule oder dem Ausbildungsbetrieb. Auf dieser Grundlage kann die Kammer dann ihre Entscheidung treffen.“
Ähnlich sieht die Situation an Hochschulen und Universitäten aus. Sandra Mölter leitet die Kontaktund Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung der Universität Würzburg. Sie sagt: „Sechs Prozent aller Studenten in Deutschland haben Legasthenie. Durch Nachteilsausgleiche und die Möglichkeit einer Studienassistenz sollen sie ihr Studium genauso gut abschließen können wie ihre Kommilitonen.“Auf dem Zeugnis der Universität darf ein Nachteilsausgleich nicht vermerkt werden. Dasselbe gilt für das Abschlusszeugnis der dualen Ausbildung, das die zuständige Kammer ausstellt.
Legasthenie sollte man dennoch nicht um jeden Preis verstecken. „Im Verdachtsfall sollte man sich unbedingt testen lassen, um dieselben Chancen wie alle anderen bekommen zu können“, sagt Mölter.
Während die Tests bei Kinderund Jugendpsychiater von der Krankenkasse übernommen werden, haben es Erwachsene, die sich ohne Diagnose durchgekämpft haben, schwerer. Sie müssen eine Arztpraxis finden, die Legasthenie bei Erwachsenen diagnostiziert, und die Kosten von etwa 200 bis 300 Euro dafür selbst tragen. „Es lohnt aber in jedem Alter, sich seine Diagnose zu holen“, sagt Höinghaus. Durch den Nachteilsausgleich in Ausbildung oder Studium habe man faire Wettbewerbsbedingungen und könnte ohne Hürden ins Berufsleben starten. „Das ist eine Investition in die eigene Zukunft.“
Wie wirkt sich die Krise auf Prüfungsängste aus?
Wenn ich mich auf eine Prüfung vorbereite, gibt es immer Phasen, in denen man zuversichtlich ist und andere, in denen man durchhängt und denkt: „Wie soll ich das nur schaffen?“Solche Fragen werden durch die Krise durchaus verstärkt. Es hilft dann sich zu sagen: „Wir sind jetzt im tiefsten Tal, aber wenn ich diese Prüfung schaffe, habe ich eine gute Startposition, wenn es wieder bergauf geht.“
Verstärkt die Pandemie den Erfolgsdruck oder schwächt sie ihn ab?
Da gibt es zwei Wege, einen guten und einen weniger guten. Verfalle ich in eine „Alles-egal-Stimmung“, führt das zwar dazu, dass ich die Sache lockerer sehe, aber es hilft nicht unbedingt dabei, die Prüfung zu bestehen.
Stresst oder entspannt es eher, wenn Prüfungen online stattfinden?
Manchen Menschen tut es gut, wenn die Distanz größer ist. Viele brauchen aber Routinen und eine klare Struktur. Für sie bedeutet eine andere Technik eine besondere Belastung.
ZAHL DER WOCHE
Prozent aller Frauen in Deutschland, die sich im Jahr 20219 für eine Ausbildung entschieden, wählten den Beruf „Kauffrau für Büromanagement“, teilte das Statistische Bundesamt anlässlich des Girls’ Day und Boys’ Day am 22. April mit.
Bei den Männern ist weiterhin der „Kraftfahrzeugmechatroniker“mit 6,5 Prozent am beliebtesten.