Es steht schlecht um „made in Germany“
Hohe Arbeitskosten und Strompreise und schlechtes Internet: Der BDI sieht den hiesigen Standort gefährdet
Berlin. Deutschland ist Weltmeister. Zwar nicht im Fußball, Handball oder Eishockey. Dafür aber bei Steuern und Sozialabgaben. In keinem anderen Land müssen Arbeitnehmer so hohe Abgaben zahlen wie hierzulande. Ein allein lebender Durchschnittsverdiener in Deutschland muss 38,9 Prozent seines Gehalts an den Fiskus abgeben – knapp 14 Prozent mehr als im Durchschnitt der 37 OECD-Mitgliedstaaten, wie ein Vergleich durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ergab.
Doch nicht nur bei den Steuern ist Deutschland Spitze. Innerhalb der Europäischen Union hat Deutschland laut dem EU-Statistikamt Eurostat mit rund 17 Cent pro Kilowattstunde für Unternehmen auch die höchsten Strompreise. Zurück hält man sich beim Internet: Bei der Downloadgeschwindigkeit landet Deutschland einer Auswertung des Speedtest Global Index zufolge hinter den Niederlanden und Bulgarien, beim Breitbandanschluss sind Länder wie Rumänien, Andorra, Malta oder Lettland enteilt.
Bekannt waren die Probleme schon vor der Corona-Pandemie. Doch nun schlägt Deutschlands Wirtschaft Alarm. „Die Gefahr ist groß, dass unser Standort Deutschland weltweit abgehängt wird“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen
Industrie (BDI), unserer Redaktion. Am heutigen Montag soll daher die gemeinsame Aktion „Der Standort Deutschland – die Wirtschaft macht’s“vorgestellt werden. Ein breites Bündnis, von der Auto- über die Banken bis zur Chemiebranche, fordert dabei von der Politik konkrete Vorschläge, wie der Standort Deutschland gestärkt werden kann. Der Druck ist groß. „Die USA und China laufen uns davon – mit hohem Impftempo, aber auch mit ehrgeizigen Investitionsprogrammen“, fürchtet Russwurm.
USA und China investieren Billionen in ihre Standorte
Insbesondere die USA jonglieren derzeit mit gewaltigen Summen. 1,9 Billionen US-Dollar, umgerechnet rund 1,6 Billionen Euro, stellt die Regierung um Präsident Joe Biden dafür bereit. In dem gigantischen Hilfspaket sind Konsumschecks für die Amerikaner vorgesehen sowie Steuernachlässe für Familien mit Kindern und für Geringverdiener.
Doch damit nicht genug. Jüngst schlug Biden vor, in den kommenden acht Jahren weitere zwei Billionen Dollar in die Infrastruktur zu stecken: Das Geld soll unter anderem in moderne Straßen und Flughäfen, schnelles Internet und grüne Technologien fließen. Weitere 1,8 Billionen Dollar sollen nach Bidens Vorstellung in der kommenden Dekade in die Bildung und die Unterstützung von Familien investiert werden.
Es ist ein Versuch der USA, China nicht davonziehen zu lassen. Denn als einzige große Volkswirtschaft der Welt verzeichnete China selbst im Pandemiejahr 2020 ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent. Auch derzeit brummt die Wirtschaft des bevölkerungsreichsten
Landes der Welt – wovon Deutschlands exportgetriebene Wirtschaft profitiert.
Nur: Wie lange noch? Die Chinesen schätzen Produkte mit dem Label Made in Germany, deutsche Unternehmen sind mit der chinesischen Industrie eng verwoben. Allerdings
hat China jüngst mit seinem Fünfjahresplan deutlich gemacht, wie es sich die Zukunft vorstellt: autarker, unabhängiger von Importen und tonangebend in der Technologie.
Mehr als umgerechnet eine Billion Euro will China bis 2025 in sein
Infrastrukturprogramm stecken und so unter anderem die Entwicklung von 5G und des autonomen Fahrens beschleunigen.
Auch in Deutschland wird Geld in die Hand genommen. Rund 96 Milliarden Euro wurden bereits genutzt, um die Wirtschaft mit Hilfen in der Pandemie zu stützen, weitere 30 Milliarden Euro entfielen auf das Kurzarbeitergeld. Mehr als 160 Milliarden Euro steckte Deutschland im vergangenen Jahr in sein Konjunkturprogramm, zahlte unter anderem einen Kinderbonus, senkte die Mehrwertsteuer, steckte Geld in die Elektromobilität. Nun kommen weitere 26 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds hinzu, die in die Digitalisierung und den Klimaschutz fließen sollen.
Dem BDI geht das aber angesichts der zahlreichen Probleme abseits der Pandemie nicht weit genug. Der Standort Deutschland würde immer unattraktiver, mahnte BDI-Präsident Russwurm. „Jahr für Jahr fehlen öffentliche Investitionen von mindestens einem halben Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung, das sind rund 20 Milliarden Euro“, sagte der frühere SiemensManager.
Er fordert daher Reformen: „Investitionsanreize für private Unternehmen und schnellere öffentliche Investitionen sind geboten. Es geht darum, jetzt anzupacken, damit die Wirtschaft auch künftig Wohlstand, Beschäftigung und Wachstum schafft.“