In zwangloser Gesellschaft
Eine Schau im Kirms-Krackow-Haus widmet sich der Teekultur in der Weimarer Klassik
Weimar. Ein exotischer Trank stimulierte das gebildete Weimar über Standesgrenzen hinweg zu gehaltvoller Konversation und avancierte in der Goethe-Zeit zur Mode, ja direkt zur Manie: der Tee. Den unkonventionellen Anlässen dieser TeeGesellschaften, ihren Accessoires und Reglements spürt nun die Thüringer Schlösserstiftung im KirmsKrackow-Haus mit einer kleinen Sonderausstellung nach. Seit Anfang April dürstet man ihrer Eröffnung entgegen.
Den Musenhof Herzogin Anna Amalias, meint Kurator Jens-Jörg Riederer und deutet auf ein Bild des Historienmalers Hans W. Schmidt gleich am Eingang, müsse man sich vielleicht eher als Teegesellschaft vorstellen. Das Gemälde entstand anno 1931 im Vorfeld zu Goethes 100. Todestag und zeigt einige künstlerische Freiheiten, die unmöglich den Fakten entsprachen. Doch im Kern offenbart Schmidt ein Betriebsgeheimnis der Klassik in Weimar: die Zwanglosigkeit, mit der Mitglieder der Herzogsfamilie und ihres Hofstaates hier mit Goethe, Wieland und Herder umgehen, teils angeregt am runden Tische parlierend, teils stehend ins Gespräch vertieft; zur „Teestunde im Wittumspalais“war die strenge Etikette perdu und jeglicher Standesunterschied négligeable.
Etwa um 1780 ergreift die TeeMode das kleine Herzogtum und nimmt dank ihrer Formlosigkeit rasch Formen an: Man trifft sich, oft spontan, zu Spiel-, Lese-, Tanz- oder Theater-Tees nicht allein unter Patronage der Herzogin, sondern ebenso gern zum „Thé en famille“bei den Bertuchs, Böttigers, Schardts oder Kalbs, bei Johanna Schopenhauer oder den Schwestern Kirms – ohne alleinstehende Damen damit zu kompromittieren. Am runden Tisch genoss lediglich die Gastgeberin Sonderrechte; denn sie schickte neugierige Dienstboten weg und schenkte selbst ein. So herrschte nahezu Libertinage.
„Man darf die Wirkung des Tees nicht unterschätzen“, erinnert Riederer, seines Zeichens Historiker und Stadtarchivar. „Die waren high davon.“Egal, wie stark genossen, kam den aromatischen Stimulanzien
aber unbedingt – als Importware vornehmlich aus China – exotischer Reiz zu, den sich beileibe nicht jedermann zu leisten vermochte. Man trank Tee mit Milch und mit Rohrzucker aus der Karibik natürlich nach englischem Vorbild, den Duft der großen weiten Welt inklusive. Zumal das edle Porzellan – alternativ mindestens BöttgerSteinzeug – ebenfalls eine gewisse Elite repräsentierte.
Naschwerk, aber keine Mahlzeit
Dazu kredenzte man Konfekt oder kandierte Früchte als Naschwerk; zuweilen beschied man sich mit Butterbroten. Hingegen hätte etwas, das auf eine Mahlzeit hingedeutet hätte, prompt eine Tischordnung nebst anderer Etikette-Regeln verlangt. Nun erläutert Jens-Jörg Riederer die kostbaren Geschirre und Utensilien: wie man anfänglich den Aufguss, wie in seinem Herkunftsland üblich, aus Koppchen nippte, welche man am liebsten auch dorther bezog; wie dann aber, als sie bemerkten, dass Europäer ihren Tee offenbar heißer tranken, die Chinesen sogar porzellanene Henkeltassen fertigten – bloß für den Export.
Dazu ein kleines Sortiment an Teedosen mit teils chinois-exotischen, teils erotischen Motiven, Milchkännchen, Zuckerdosen und Réchauds zum Warmhalten. Zentrales Geschirr auf dem Tisch aber war die Tee-Urne oder -Maschine. „Sie ist“, wie Bertuchs stilbildendes „Journal des Luxus und der Moden“verkündete, „der wahre Altar der Geselligkeit“– und man ahnt, dass in ihrem Einzugsgebiet nicht bloß noble Gedanken die Runde machten, sondern ebenso KleinstadtKlatsch kursierte. Auch das wäre Konversationskultur.
Wir Heutigen mögen darob die Häupter schütteln oder die Altvorderen sogar belächeln – schon weil der Brauch uns befremdet, grüne und schwarze Teeblätter zu mischen, wie Weimars Hofkoch François Le Goullon in seinem Bestseller „Der elegante Theetisch oder die Kunst, einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne großen Aufwand zu bewirthen“(1809) empfahl.
Wie wohltuend aber so ein Tee – in gesellschaftlicher Hinsicht – sein kann, belegt die berühmte Geste, die Johanna von Schopenhauer am 20. Oktober 1806 einer frisch vermählten, gewesenen Putzmacherin zuteil werden ließ: „Wenn Göthe ihr seinen Namen giebt, können wir ihr wohl eine Tasse Thee geben“, kommentierte sie, als sie einschenkte. Barrierefrei eben – und Christiane war in den Kreis aufgenommen.