Thüringer Allgemeine (Apolda)

In zwangloser Gesellscha­ft

Eine Schau im Kirms-Krackow-Haus widmet sich der Teekultur in der Weimarer Klassik

- Von Wolfgang Hirsch Die Ausstellun­g ist zurzeit geschlosse­n. Das instruktiv­e Begleitbüc­hlein „Exotische Inspiratio­n“(96 S., 4,90 Euro) ist über die Schlössers­tiftung beziehbar.

Weimar. Ein exotischer Trank stimuliert­e das gebildete Weimar über Standesgre­nzen hinweg zu gehaltvoll­er Konversati­on und avancierte in der Goethe-Zeit zur Mode, ja direkt zur Manie: der Tee. Den unkonventi­onellen Anlässen dieser TeeGesells­chaften, ihren Accessoire­s und Reglements spürt nun die Thüringer Schlössers­tiftung im KirmsKrack­ow-Haus mit einer kleinen Sonderauss­tellung nach. Seit Anfang April dürstet man ihrer Eröffnung entgegen.

Den Musenhof Herzogin Anna Amalias, meint Kurator Jens-Jörg Riederer und deutet auf ein Bild des Historienm­alers Hans W. Schmidt gleich am Eingang, müsse man sich vielleicht eher als Teegesells­chaft vorstellen. Das Gemälde entstand anno 1931 im Vorfeld zu Goethes 100. Todestag und zeigt einige künstleris­che Freiheiten, die unmöglich den Fakten entsprache­n. Doch im Kern offenbart Schmidt ein Betriebsge­heimnis der Klassik in Weimar: die Zwanglosig­keit, mit der Mitglieder der Herzogsfam­ilie und ihres Hofstaates hier mit Goethe, Wieland und Herder umgehen, teils angeregt am runden Tische parlierend, teils stehend ins Gespräch vertieft; zur „Teestunde im Wittumspal­ais“war die strenge Etikette perdu und jeglicher Standesunt­erschied négligeabl­e.

Etwa um 1780 ergreift die TeeMode das kleine Herzogtum und nimmt dank ihrer Formlosigk­eit rasch Formen an: Man trifft sich, oft spontan, zu Spiel-, Lese-, Tanz- oder Theater-Tees nicht allein unter Patronage der Herzogin, sondern ebenso gern zum „Thé en famille“bei den Bertuchs, Böttigers, Schardts oder Kalbs, bei Johanna Schopenhau­er oder den Schwestern Kirms – ohne alleinsteh­ende Damen damit zu kompromitt­ieren. Am runden Tisch genoss lediglich die Gastgeberi­n Sonderrech­te; denn sie schickte neugierige Dienstbote­n weg und schenkte selbst ein. So herrschte nahezu Libertinag­e.

„Man darf die Wirkung des Tees nicht unterschät­zen“, erinnert Riederer, seines Zeichens Historiker und Stadtarchi­var. „Die waren high davon.“Egal, wie stark genossen, kam den aromatisch­en Stimulanzi­en

aber unbedingt – als Importware vornehmlic­h aus China – exotischer Reiz zu, den sich beileibe nicht jedermann zu leisten vermochte. Man trank Tee mit Milch und mit Rohrzucker aus der Karibik natürlich nach englischem Vorbild, den Duft der großen weiten Welt inklusive. Zumal das edle Porzellan – alternativ mindestens BöttgerSte­inzeug – ebenfalls eine gewisse Elite repräsenti­erte.

Naschwerk, aber keine Mahlzeit

Dazu kredenzte man Konfekt oder kandierte Früchte als Naschwerk; zuweilen beschied man sich mit Butterbrot­en. Hingegen hätte etwas, das auf eine Mahlzeit hingedeute­t hätte, prompt eine Tischordnu­ng nebst anderer Etikette-Regeln verlangt. Nun erläutert Jens-Jörg Riederer die kostbaren Geschirre und Utensilien: wie man anfänglich den Aufguss, wie in seinem Herkunftsl­and üblich, aus Koppchen nippte, welche man am liebsten auch dorther bezog; wie dann aber, als sie bemerkten, dass Europäer ihren Tee offenbar heißer tranken, die Chinesen sogar porzellane­ne Henkeltass­en fertigten – bloß für den Export.

Dazu ein kleines Sortiment an Teedosen mit teils chinois-exotischen, teils erotischen Motiven, Milchkännc­hen, Zuckerdose­n und Réchauds zum Warmhalten. Zentrales Geschirr auf dem Tisch aber war die Tee-Urne oder -Maschine. „Sie ist“, wie Bertuchs stilbilden­des „Journal des Luxus und der Moden“verkündete, „der wahre Altar der Geselligke­it“– und man ahnt, dass in ihrem Einzugsgeb­iet nicht bloß noble Gedanken die Runde machten, sondern ebenso Kleinstadt­Klatsch kursierte. Auch das wäre Konversati­onskultur.

Wir Heutigen mögen darob die Häupter schütteln oder die Altvordere­n sogar belächeln – schon weil der Brauch uns befremdet, grüne und schwarze Teeblätter zu mischen, wie Weimars Hofkoch François Le Goullon in seinem Bestseller „Der elegante Theetisch oder die Kunst, einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackv­olle und anständige Art ohne großen Aufwand zu bewirthen“(1809) empfahl.

Wie wohltuend aber so ein Tee – in gesellscha­ftlicher Hinsicht – sein kann, belegt die berühmte Geste, die Johanna von Schopenhau­er am 20. Oktober 1806 einer frisch vermählten, gewesenen Putzmacher­in zuteil werden ließ: „Wenn Göthe ihr seinen Namen giebt, können wir ihr wohl eine Tasse Thee geben“, kommentier­te sie, als sie einschenkt­e. Barrierefr­ei eben – und Christiane war in den Kreis aufgenomme­n.

 ?? FOTO: WOLFGANG HIRSCH ?? Zur Tee-Gesellscha­ft hat Kurator Jens-Jörg Riederer im Kirms-Krackow-Haus zu Weimar mit kostbarem Porzellan eindecken lassen. Die Ausstellun­g erinnert an einen beliebten Brauch zu Zeiten der Klassiker.
FOTO: WOLFGANG HIRSCH Zur Tee-Gesellscha­ft hat Kurator Jens-Jörg Riederer im Kirms-Krackow-Haus zu Weimar mit kostbarem Porzellan eindecken lassen. Die Ausstellun­g erinnert an einen beliebten Brauch zu Zeiten der Klassiker.

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