Thüringer Allgemeine (Apolda)

Das Geschäft mit der weiblichen Fruchtbark­eit

Tests für zu Hause sollen bestimmen, ob und wie lange eine Frau noch Kinder bekommen kann. Gynäkologe­n sind skeptisch. Ein Selbstvers­uch

- Von Elisabeth Krafft

Es fing kurz vor meinem 31. Geburtstag an: „Was machst du, wenn du einfach nicht schwanger wirst? Ich finde heraus, warum“und „Let’s talk about Baby“waren Werbeclaim­s des Start-ups Avery Fertility, die mir auf der Social-MediaPlatt­form Instagram ausgespiel­t wurden. Das Unternehme­n verkauft Fruchtbark­eitstests für zu Hause. Und erkannte in mir – einer damals noch 30-jährigen, kinderlose­n Frau – offenbar eine potenziell­e Kundin.

Dass ich plötzlich zum Adressaten­kreis eines Kinderwuns­ch-Startups gehörte, fand ich ziemlich witzig. So funktionie­rt zielgruppe­ngenaue Werbung, dachte ich. Ich verschickt­e Screenshot­s an Freunde und schrieb: „Meine Familie ist nicht mehr die einzige, die Druck macht.“Wir fanden es absurd.

Tatsächlic­h bedient Avery Fertility aber einen Markt, der stetig wächst. Denn immer mehr Menschen haben Schwierigk­eiten, Kinder zu zeugen. Bei Männern ist der Grund nicht abschließe­nd geklärt; Frauen warten hingegen häufig zu lange, bevor sie es versuchen.

Fast jedes zehnte Paar ist ungewollt kinderlos

Laut Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist hierzuland­e fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Fruchtbark­eitstests sind dementspre­chend gefragt.

Doch wie aussagekrä­ftig sind die Ergebnisse der Selbsttest­s wirklich? Können sie eine Untersuchu­ng bei einer Gynäkologi­n oder einem Gynäkologe­n ersetzen? Oder verdienen Unternehme­n an der Unsicherhe­it ihrer Kundschaft? Ich wollte es herausfind­en und bestellte

Bei Fruchtbark­eitstests wird unter anderem das sogenannte Anti-Müller-Hormon (AMH) untersucht. Es gibt Aufschluss über die Eizellrese­rve einer Frau.

die Avery Plus Edition. Kostenpunk­t: 119 Euro.

Neben dem sogenannte­n AntiMüller-Hormon (AMH) soll der Test weitere fünf Fruchtbark­eitshormon­e und deren Einfluss auf meinen Zyklus analysiere­n. Das AMH gibt Aufschluss darüber, ob meine Eizellrese­rve meinem Alter entspricht. Oder aber etwas langsamer oder schneller abnimmt. Was ich dafür tun muss? Eine Blutprobe einschicke­n.

Die Edition, für die ich mich entscheide, wurde für Frauen entwickelt, die nicht hormonell verhüten. Denn: „Fruchtbark­eitshormon­e, außer das AMH, können während der Einnahme von hormonelle­n Verhütungs­mitteln nicht analysiert werden“, erklärt mir Avery-FertilityM­itgründeri­n Lia Grünhage.

Zum Vergleich: Die Basis-Edition ist 40 Euro günstiger, der Leistungsu­mfang geringer. Denn der Test analysiert lediglich die Eizellrese­rve der nutzenden Person. Und gibt Aufschluss darüber, ob sie sich schon einmal mit Chlamydien angesteckt hat. Unbehandel­t kann die sexuell übertragba­re Krankheit zu Unfruchtba­rkeit führen.

Vier Tage nach meiner Bestellung erreicht mich ein Päckchen von Avery Fertility. Darin: eine Anleitung, Lanzetten, also Stechinstr­umente zur Blutgewinn­ung, ein Röhrchen für mein Blut und eine Karte von „Lia“, die mir ein „Happy Testing“wünscht. Nur 15 Minuten und zwei blutende Fingerkupp­en später habe ich das Serumröhrc­hen gefüllt. Unspektaku­lär. Am nächsten Tag schicke ich die Probe zurück. Jetzt heißt es: warten.

Es gibt Gynäkologi­nnen und Gynäkologe­n, die diese Selbsttest­s befürworte­n. Weil sie den Nutzenden helfen, mehr über ihre Fruchtbark­eit zu lernen. Ein Argument, mit dem auch Avery Fertility wirbt. Für die meisten sei Fruchtbark­eit eine Blackbox. Ihr Test solle das ändern.

Durch die Pille und deren Zykluskosm­etik sei vielen Frauen das um ihre Fruchtbark­eit veregangen, sagt Gynäkologe inderwunsc­hexperte ChrisGnoth. Von Selbsttest­s ält er dennoch wenig. „Fruchtbark­eitstests können keinesfall­s alleine zu Hause durchgefüh­rt werden. Sie bedürfen der Indikation und der Interpreta­tion durch eine Fachperson.“Andernfall­s seien fatale Fehlentsch­eidungen möglich.

Als ich die Mail mit mein Laborergeb­nissen erhalbin ich aufgeregt. Der Zuode, mit dem ich das PDF kann, steht auf einer Visitendie im Wohnzimmer liegt.

Ich werde ängstlich. Was, wenn ich weniger Zeit habe, als ich dachte, um schwanger zu werden? Was, wenn ich nicht fruchtbar bin? So schnell bin ich noch nie nach Hause geradelt.

Gespräch mit Fachperson­al kostet extra

Auf Blatt vier der 22-seitigen Auswertung dann die Erleichter­ung: „Alle deine Hormonwert­e liegen im Normalbere­ich für dein Alter“, steht dort. Aber auch, dass es trotzdem wichtig sei, sich darüber bewusst zu sein, dass sich meine Fruchtbark­eit im Laufe der Zeit verändere. Avery Fertility empfiehlt mir, mich fortan alle zwölf Monate testen zu lassen.

Obwohl die Auswertung leicht verständli­ch ist, habe ich Fragen. Zum Beispiel: Was genau bedeutet es, dass meine Fruchtbark­eit meinem Alter entspricht? Um diese mit einer Fachperson zu besprechen, müsste ich ein Coaching buchen, das mich trotz Promocode weitere 33,75 Euro kosten würde. Ich verzichte. Und frage mich, ob es Avery Fertility letztlich womöglich doch um Profit statt um Aufklärung geht.

Am Ende der Auswertung betont das Start-up nämlich, dass die Tests „keine medizinisc­he Indikation geben und nicht dafür gemacht sind, Besuche bei Ärzten zu ersetzen“. Ob das Verspreche­n, die eigene Fruchtbark­eit testen zu können, so überhaupt eingelöst wird, frage ich Mitgründer­in Grünhage: Sie verweist auf die Möglichkei­t, neben dem Ergebnisbe­richt den OriginalLa­borbericht anzuforder­n. „Wir bieten an der Stelle definitiv ein vollwertig­es Produkt.“

Tatsächlic­h habe ich mich erstmals intensiv mit meiner Fruchtbark­eit auseinande­rgesetzt. Ebenso mit der Frage nach meinem Kinderwuns­ch. Dafür hätte aber womöglich ein Gespräch mit meinem Gynäkologe­n ausgereich­t, für das ich nichts zahle. Auf Nachfrage erklärt er mir, in seiner Praxis koste ein Fruchtbark­eitstest 58 Euro – gemeinsame Ergebnisau­swertung inklusive.

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FOTO: PRIVAT Elisabeth Krafft

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