Das Geschäft mit der weiblichen Fruchtbarkeit
Tests für zu Hause sollen bestimmen, ob und wie lange eine Frau noch Kinder bekommen kann. Gynäkologen sind skeptisch. Ein Selbstversuch
Es fing kurz vor meinem 31. Geburtstag an: „Was machst du, wenn du einfach nicht schwanger wirst? Ich finde heraus, warum“und „Let’s talk about Baby“waren Werbeclaims des Start-ups Avery Fertility, die mir auf der Social-MediaPlattform Instagram ausgespielt wurden. Das Unternehmen verkauft Fruchtbarkeitstests für zu Hause. Und erkannte in mir – einer damals noch 30-jährigen, kinderlosen Frau – offenbar eine potenzielle Kundin.
Dass ich plötzlich zum Adressatenkreis eines Kinderwunsch-Startups gehörte, fand ich ziemlich witzig. So funktioniert zielgruppengenaue Werbung, dachte ich. Ich verschickte Screenshots an Freunde und schrieb: „Meine Familie ist nicht mehr die einzige, die Druck macht.“Wir fanden es absurd.
Tatsächlich bedient Avery Fertility aber einen Markt, der stetig wächst. Denn immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, Kinder zu zeugen. Bei Männern ist der Grund nicht abschließend geklärt; Frauen warten hingegen häufig zu lange, bevor sie es versuchen.
Fast jedes zehnte Paar ist ungewollt kinderlos
Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist hierzulande fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Fruchtbarkeitstests sind dementsprechend gefragt.
Doch wie aussagekräftig sind die Ergebnisse der Selbsttests wirklich? Können sie eine Untersuchung bei einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen ersetzen? Oder verdienen Unternehmen an der Unsicherheit ihrer Kundschaft? Ich wollte es herausfinden und bestellte
Bei Fruchtbarkeitstests wird unter anderem das sogenannte Anti-Müller-Hormon (AMH) untersucht. Es gibt Aufschluss über die Eizellreserve einer Frau.
die Avery Plus Edition. Kostenpunkt: 119 Euro.
Neben dem sogenannten AntiMüller-Hormon (AMH) soll der Test weitere fünf Fruchtbarkeitshormone und deren Einfluss auf meinen Zyklus analysieren. Das AMH gibt Aufschluss darüber, ob meine Eizellreserve meinem Alter entspricht. Oder aber etwas langsamer oder schneller abnimmt. Was ich dafür tun muss? Eine Blutprobe einschicken.
Die Edition, für die ich mich entscheide, wurde für Frauen entwickelt, die nicht hormonell verhüten. Denn: „Fruchtbarkeitshormone, außer das AMH, können während der Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln nicht analysiert werden“, erklärt mir Avery-FertilityMitgründerin Lia Grünhage.
Zum Vergleich: Die Basis-Edition ist 40 Euro günstiger, der Leistungsumfang geringer. Denn der Test analysiert lediglich die Eizellreserve der nutzenden Person. Und gibt Aufschluss darüber, ob sie sich schon einmal mit Chlamydien angesteckt hat. Unbehandelt kann die sexuell übertragbare Krankheit zu Unfruchtbarkeit führen.
Vier Tage nach meiner Bestellung erreicht mich ein Päckchen von Avery Fertility. Darin: eine Anleitung, Lanzetten, also Stechinstrumente zur Blutgewinnung, ein Röhrchen für mein Blut und eine Karte von „Lia“, die mir ein „Happy Testing“wünscht. Nur 15 Minuten und zwei blutende Fingerkuppen später habe ich das Serumröhrchen gefüllt. Unspektakulär. Am nächsten Tag schicke ich die Probe zurück. Jetzt heißt es: warten.
Es gibt Gynäkologinnen und Gynäkologen, die diese Selbsttests befürworten. Weil sie den Nutzenden helfen, mehr über ihre Fruchtbarkeit zu lernen. Ein Argument, mit dem auch Avery Fertility wirbt. Für die meisten sei Fruchtbarkeit eine Blackbox. Ihr Test solle das ändern.
Durch die Pille und deren Zykluskosmetik sei vielen Frauen das um ihre Fruchtbarkeit veregangen, sagt Gynäkologe inderwunschexperte ChrisGnoth. Von Selbsttests ält er dennoch wenig. „Fruchtbarkeitstests können keinesfalls alleine zu Hause durchgeführt werden. Sie bedürfen der Indikation und der Interpretation durch eine Fachperson.“Andernfalls seien fatale Fehlentscheidungen möglich.
Als ich die Mail mit mein Laborergebnissen erhalbin ich aufgeregt. Der Zuode, mit dem ich das PDF kann, steht auf einer Visitendie im Wohnzimmer liegt.
Ich werde ängstlich. Was, wenn ich weniger Zeit habe, als ich dachte, um schwanger zu werden? Was, wenn ich nicht fruchtbar bin? So schnell bin ich noch nie nach Hause geradelt.
Gespräch mit Fachpersonal kostet extra
Auf Blatt vier der 22-seitigen Auswertung dann die Erleichterung: „Alle deine Hormonwerte liegen im Normalbereich für dein Alter“, steht dort. Aber auch, dass es trotzdem wichtig sei, sich darüber bewusst zu sein, dass sich meine Fruchtbarkeit im Laufe der Zeit verändere. Avery Fertility empfiehlt mir, mich fortan alle zwölf Monate testen zu lassen.
Obwohl die Auswertung leicht verständlich ist, habe ich Fragen. Zum Beispiel: Was genau bedeutet es, dass meine Fruchtbarkeit meinem Alter entspricht? Um diese mit einer Fachperson zu besprechen, müsste ich ein Coaching buchen, das mich trotz Promocode weitere 33,75 Euro kosten würde. Ich verzichte. Und frage mich, ob es Avery Fertility letztlich womöglich doch um Profit statt um Aufklärung geht.
Am Ende der Auswertung betont das Start-up nämlich, dass die Tests „keine medizinische Indikation geben und nicht dafür gemacht sind, Besuche bei Ärzten zu ersetzen“. Ob das Versprechen, die eigene Fruchtbarkeit testen zu können, so überhaupt eingelöst wird, frage ich Mitgründerin Grünhage: Sie verweist auf die Möglichkeit, neben dem Ergebnisbericht den OriginalLaborbericht anzufordern. „Wir bieten an der Stelle definitiv ein vollwertiges Produkt.“
Tatsächlich habe ich mich erstmals intensiv mit meiner Fruchtbarkeit auseinandergesetzt. Ebenso mit der Frage nach meinem Kinderwunsch. Dafür hätte aber womöglich ein Gespräch mit meinem Gynäkologen ausgereicht, für das ich nichts zahle. Auf Nachfrage erklärt er mir, in seiner Praxis koste ein Fruchtbarkeitstest 58 Euro – gemeinsame Ergebnisauswertung inklusive.