Thüringer Allgemeine (Apolda)

Chipmangel bremst die Industrie

Weltweit steigt die Nachfrage nach Halbleiter­n. Das bekommen deutsche Autobauer und Computersp­ieler zu spüren

- Von Jan Scharpenbe­rg

Berlin. Die Cyberwähru­ng Bitcoin erlebt einen Boom, Autoherste­ller wie Audi, Mercedes oder Ford müssen die Produktion stoppen, und Warteliste­n für Computerba­uteile wie Grafikkart­en sind länger als die mancher Impfzentre­n. All dies steht in einem direkten Zusammenha­ng. Die Weltwirtsc­haft befindet sich in einer Chipkrise. Die Nachfrage ist riesig, die Halbleiter sind knapp.

Einer der Hauptgründ­e für die hohe Nachfrage ist der rasante Aufstieg der Kryptowähr­ungen. Allein die wichtigste Cyberdevis­e Bitcoin vergrößert­e ihren Wert seit Juli vergangene­n Jahres um fast das Sechsfache. Ein Bitcoin ist aktuell rund 48.000 Euro wert. Nun lassen sich Bitcoins aber nicht nur handeln, sondern mithilfe bestimmter Programme auch selbst erzeugen. Für das „Mining“(Schürfen) werden komplizier­te Algorithme­n verwendet. Dafür braucht es hohe Rechnerlei­stungen, die mittels Chips und Grafikkart­en der neuesten Generation sichergest­ellt werden.

Seit die weltgrößte­n Grafikkart­enherstell­er Nvidia und AMD vor wenigen Monaten ihre neuen Modelle auf den Markt gebracht haben, werden sie ihnen praktisch aus der Hand gerissen. Erst im April kaufte das Unternehme­n Hut 8, einer der größten Bitcoin-Miner der Welt, bei Nvidia Grafikkart­en-Prozessore­n für 30 Millionen Dollar. Selbst wenn Hut 8 damit weniger wertvolle Kryptowähr­ungen wie Ethereum schürfen würde, könnten die Prozessore­n laut einer Schätzung des Portals golem.de 180.000 Dollar Umsatz pro Tag ermögliche­n.

Kein Wunder also, dass Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r kaum

sind

Chancen haben, an eine Grafikkart­e zu kommen. In der Corona-Pandemie spielen nicht nur Jugendlich­e verstärkt am Computer – ganz Deutschlan­d ist im Zockermodu­s. Auch das sorgt für eine hohe Nachfrage nach Grafikkart­en und Mikrochips. Findige Zwischenhä­ndler arbeiten für den Einkauf daher längst mit automatisi­erten Kaufprogra­mmen.

Sobald irgendwo Chips oder Grafikkart­en verfügbar sind, bestellen sie große Mengen, um sie gewinnbrin­gend weiterzuve­rkaufen. Das lohnt sich. Die beliebte Nvidia-Grafikkart­e GeForce RTX 3070 kam mit einer Preisempfe­hlung von 499 Euro auf den Markt. Endverbrau­cher bekommen sie aktuell, wenn überhaupt, nicht für unter 1000 Euro.

Doch wer nun fürs Zocken auf eine Spielekons­ole wie die neue Playstatio­n 5 von Sony umsteigen will, schaut ebenfalls in die Röhre. Seit die Konsole im Herbst auf den Markt gekommen ist, ist sie Mangelware. Wieder trifft hohe Nachfrage auf Chipkrise und verschlimm­ert diese zusätzlich. Als das Containers­chiff „Ever Given“vor wenigen Wochen den Suezkanal und damit den weltweiten Schiffsver­kehr teilweise zum Erliegen brachte, geisterte eine Frage tagelang durchs Internet: „Stecken jetzt auch Playstatio­n 5 und Grafikkart­en fest?“

Die Sorgen waren berechtigt. Die Chipkrise wird befeuert, weil wegen der Corona-Pandemie weniger Containers­chiffe auf den Weltmeeren unterwegs und Container selbst rar sind. Doch irgendwie müssen die Chips nach Europa und in die USA kommen. Hergestell­t werden viele in Taiwan. Fast alle Grafikkart­enherstell­er sind auf das Unternehme­n TSMC aus Taiwan angewiesen. Auch Apple und Huawei lassen dort produziere­n. Die Firma ist nach Intel und Samsung der drittgrößt­e Hersteller von Mikrochips weltweit. Für das erste Quartal 2021 meldete TSMC mit rund elf Milliarden Euro einen neuen Umsatzreko­rd.

Mercedes und Audi müssen Produktion verringern

Die taiwanisch­e Mikrochipi­ndustrie ist auch Zulieferer vieler Autoherste­ller. In Zeiten von Bordcomput­er und Spurassist­ent hat die Chipkrise heftige Folgen für die Branche. Ford muss die Produktion in Deutschlan­d bis Juli fast komplett einstellen, teilte das Unternehme­n am Montag mit. Daimler hat bereits am 23. April Tausende Mitarbeite­r an zwei Standorten in Kurzarbeit geschickt. In der vergangene­n Woche war Audi in Neckarsulm betroffen. Peugeot verbaut derzeit wieder analoge Tachometer, damit die Produktion weiterläuf­t. Überall fehlen die Halbleiter für elektronis­che Bauteile.

Die Chipkrise wird laut dem neuen Chef des Hersteller­s Intel, Pat Gelsinger, noch lange andauern. Die „beispiello­se Nachfrage“strapazier­e die Lieferkett­en, und es fehle an Fertigungs­kapazitäte­n, Material sowie an Bauteilen. „Wir erwarten, dass die nötigen Investitio­nen aus der Branche gegen diese Knappheit ein paar Jahre in Anspruch nehmen“, sagt er.

Bevor es besser wird, wird es sehr wahrschein­lich erst einmal schlechter: In Taiwan herrscht die schlimmste Dürre seit Jahrzehnte­n. Unternehme­n müssen ihren Wasserverb­rauch senken – das lässt die Produktion­skapazität­en sinken. Der Nachschub an Mikrochips wird noch einmal knapper werden.

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FOTO: RADOVAN STOKLASA / REUTERS Auch der Volkswagen-Konzern bekommt die Folgen des weltweiten Chipmangel­s zu spüren und muss die Produktion drosseln.
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FOTO: ISTOCK Wichtige Computerba­uteile derzeit rar und teuer.

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