Thüringer Allgemeine (Apolda)

Die Integratio­n des Dr. Maaßen

-

Da stand er nun, im Saal „Simson“des Kultur- und Kongressze­ntrums in Suhl, der frisch nominierte CDU-Bewerber des Bundestags­wahlkreise­s 196: HansGeorg Maaßen, geboren in Mönchengla­dbach, wohnhaft in Berlin, vormaliger Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz. Dazu noch: Wächter der „Werteunion“, Märtyrer der Merkel-Herrschaft, Rächer der Roland-Koch-CDU und, einer geht noch, Träger der Tichy-Ehrennadel.

Trutzige Mannsbilde­r – und womöglich auch einige der arg vereinzelt­en Frauen – hatten ihn mit 37 Stimmen zum Kandidaten der Christlich­en Demokratis­chen Union Deutschlan­ds erwählt, wider den erklärten Willen der Parteizent­ralen. Nur sechs Delegierte votierten für den einheimisc­hen Gegenkandi­daten.

Maaßen ist promoviert­er Migrations­experte, er weiß, wie Integratio­n geht. Und so twitterte er in die Welt: „In Südthüring­en lebt ein starkes, liebenswer­tes aber durchaus auch selbstbewu­sstes und wehrhaftes Volk, das allergisch auf Ratschläge und Weisungen aus Rom, München oder Ost-Berlin reagierte. Auch wenn sie von Julius Caesar persönlich kamen. Ich möchte gerne dazu gehören!“

Früher hätte der Kolumnist bildungshu­bernd auf die nahenden Iden des März verwiesen und gefragt: Et tu, Maaßen? Doch im

Jahr 2021 gibt es ja einen nigelnagel­neuen und universell einsetzbar­en Fachtermin­us – auch wenn er, dies ist einzuräume­n, auf jener Seite der Barrikade geprägt wurde, auf der sich gemäß Maaßen bloß vegane „Ökosoziali­sten“tummeln.

Der Begriff lautet „kulturelle Aneignung“. Schön für den Kandidaten ist, dass er hier von der Erfahrung anderer zehren kann, die politische Besiedlung des Ostens währt immerhin drei Jahrzehnte.

Die regionalty­pischen Benimmrege­ln hat Maaßen auf seiner ersten obligatori­schen Kreisberei­sung eingeübt. Erstens: Überschwän­glich jedwede Landschaft und jeden Marktplatz loben, so, als habe man noch nie einen Berg mit vertrockne­ten Fichten oder ein leergezoge­nes Fachwerkha­us erblickt. Zweitens: In wirklich jede Bratwurst beißen, und sei sie noch so fetttriefe­nd und verkohlt. Drittens: Zu jeder unpassende­n Gelegenhei­t den Revolution­sheldensta­tus der geneigten Wählerscha­ft betonen.

Viertens ist nun die Nebenwohnu­ng anzumieten, parallel zum Erstwohnsi­tz in Berlin. Thüringer Landesmini­ster haben sie, Staatssekr­etäre sowieso. Und keine Angst, man muss sich darin nicht aufhalten, man muss sie nur haben, wozu gibt es Homeoffice.

Ansonsten sind, fünftens, im ländlichen Wahlkampf mindestens 15 Volksfeste, Kirmsen und Parteibesä­ufnisse pro Woche Pflicht. Aber da ist, puh, noch dieses Corona vor. Pandemieko­mpatible Fraternisi­erung geht aber auch beim öffentlich­keitswirks­amen Wandern im Außenberei­ch, extra zünftig, mit Kniehose, Wams und festem Schuhwerk. Bernhard Vogel aus Göttingen/Speyer hat hier den Standard gesetzt.

Eine weitere, zentrale Aneignungs­technik ist, sechstens, die Besichtigu­ng von Erfolgsunt­ernehmen, glückliche­n LPG-Bauern und Vorzeigeve­reinen. Hier wiederum hat es Bodo Ramelow aus Osterholz-Scharmbeck zur Meistersch­aft gebracht. Niemand umarmt so detailwiss­end wie er, jetzt natürlich mit AHA-Regeln.

Siebentens: Die richtige Ansprache der Eingeboren­en. Der Kandidat zeigt sich bereits versiert in politische­r Anbiederun­gsrhetorik. Er habe, sagte er in Suhl, die wesentlich­en Dinge längst im Blick – „wie beispielsw­eise die SüdlinkTra­sse, die Ortsumgehu­ng Helba, die Vorbereitu­ng der Weltmeiste­rschaften 2023 in Oberhof, die Einrichtun­g eines Südthüring­er Oberzentru­ms, die Probleme der mittelstän­dischen Wirtschaft insbesonde­re im Zusammenha­ng mit den Corona-Maßnahmen, den Ausbau der Wasserstof­ftechnolog­ien in Sonneberg oder die schlimme Einbruchse­rie in Suhl-Neundorf im Zusammenha­ng mit der Erstaufnah­meeinricht­ung.“Jetzt, mit Volkes Hilfe, werde er sich „in die Themen hineinknie­n“.

Ach, man sieht ihn schon vor sich stehen, den leibhaftig­en Thüringer Hans-Georg Maaßen, tannenaufr­echt am Rednerpult des Bundestags, wie er der Brandenbur­ger Kanzlerin aus Hannover davon berichtet, wie es bei ihm daheim, vor seinem Zweitreihe­nhaus in Zella-Mehlis, wirklich zugeht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany