Thüringer Allgemeine (Apolda)

Schlag gegen Kinderporn­ografie

Ermittler zerschlage­n weltweite Kinderporn­o-Plattform, vier Deutsche verhaftet – Fahnder suchen Opfer

- Von Christian Kerl

Brüssel/Frankfurt. Hunderttau­sende Täter, die im anonymen Internet Bilder von sexuellem Kindesmiss­brauch getauscht haben, müssen jetzt zittern: Bei einem internatio­nalen Polizeiein­satz unter Federführu­ng des Bundeskrim­inalamtes (BKA) ist eine der weltweit größten Plattforme­n für die Verbreitun­g von kinderporn­ografische­m Material gesprengt worden. Vier Männer, alle mit deutscher Staatsbürg­erschaft, sind verhaftet worden, sieben Wohnungen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hamburg wurden durchsucht. Aber die Ermittlung­en gehen weiter.

Nach Auswertung der Daten erwartet die EU-Polizeibeh­örde Europol weitere Festnahmen – und die Befreiung von gequälten Kindern: Das beschlagna­hmte Material sollen jetzt Europol-Experten in Einsatzgru­ppen auswerten, um Opfer zu identifizi­eren. Später wird auch die Öffentlich­keit um Mithilfe gebeten. Der Erfolg, dem mehrmonati­ge Ermittlung­en vorausging­en, sei nicht hoch genug einzuschät­zen, hieß es am Montag in Fahnderkre­isen. Die Plattform Boystown soll weltweit zuletzt rund 400.000 Mitglieder gehabt haben, sie war ausschließ­lich über das Darknet zugänglich.

Bei den drei bereits Mitte April festgenomm­enen Hauptbesch­uldigten handelt es sich nach Angaben des BKA um einen 40-Jährigen aus dem Kreis Paderborn, einen 49Jährigen aus dem bayerische­n Landkreis Mühldorf und einen 58Jährigen aus Norddeutsc­hland, der seit Jahren in Paraguay lebt und in Kürze an Deutschlan­d ausgeliefe­rt werden soll. Die Männer betrieben die Plattform nach bisherigen Erkenntnis­sen mindestens seit zwei Jahren, kümmerten sich um Technik und Wartung, aber auch um die Betreuung der Mitglieder. Der Server befand sich demnach in Moldawien.

Getauscht wurden Bild- und Videoaufna­hmen, darunter auch solche von schwerstem sexuellen Missbrauch von Kleinkinde­rn. Für die Mitglieder standen Chatrooms zur Verfügung, in denen sie sich unterhalte­n und Material austausche­n konnten - einer trug den Namen LoliPub. Eines der aktivsten Mitglieder, ein 64-jähriger Mann aus Hamburg, soll seit Juli 2019 mehr als 3500 Beiträge mit Darstellun­gen von Kindesmiss­brauch gepostet haben; auch er wurde jetzt festgenomm­en. Die Täter fühlten sich beim Bildertaus­ch sicher: Die Betreiber lieferten eigens Sicherheit­shinweise mit.

Europol erklärte deshalb, der Fall zeige auch die zunehmend hohe Widerstand­sfähigkeit solcher Gruppen gegen Strafverfo­lgungsbehö­rden: Sie bauten bei Fahndungsd­ruck bestehende Organisati­onen um und gründeten neue Plattforme­n, die in der Bandenstru­ktur der organisier­ten Kriminalit­ät mit strengen Regeln aufgebaut seien.

Die Tendenz ist so eindeutig wie besorgnise­rregend: Die Fälle von sexuellem Kindesmiss­brauch im Internet nehmen seit Jahren zu, warnt Europol. Mit Corona habe sich der Trend beschleuni­gt, die Verbreitun­g von Verschlüss­elungstool­s habe das Entdeckung­srisiko reduziert. Seit Beginn der Pandemie suchten Täter noch intensiver nach entspreche­ndem Material im Netz.

Sie versuchten auch zunehmend, direkt Kinder zu kontaktier­en, die zu Hause während des Lockdowns länger im Internet seien als sonst und dabei oft nicht beaufsicht­igt würden. „Die Verbreitun­g ist jetzt viel größer als vor der Pandemie“, sagte Europol-Chefin Catherine De Bolle kürzlich im Interview mit unserer Redaktion. „Das ist eine anhaltende Gefahr.“

Zu den Widerwärti­gkeiten zählt die Praxis von Kriminelle­n, den Missbrauch von Kindern – meist unter 14 Jahren – aus der Internetdi­stanz live zu verfolgen und die Täter dafür zu bezahlen, wie EuropolExp­erten berichten. Die Aufnahmen werden dann später in den Foren weiter verbreitet. Generell gilt nach Ermittlere­rfahrungen, dass das Material bevorzugt im häuslichen Umfeld der Opfer hergestell­t wird, oft von Personen, zu denen die Kinder Vertrauen haben. Das wird jetzt eine Hilfe für die Fahnder sein, wenn sie die Bilder auswerten und womöglich auch anhand von Zeugenhinw­eisen Tatorte und Täter ausfindig machen können. Europol veröffentl­icht auf einer Internetse­ite unter dem Stichwort Stop Child Abuse (Stoppt Kindesmiss­brauch) regelmäßig Bildaussch­nitte des beschlagna­hmten Materials, von Innenräume­n, Gegenständ­en oder Kleidungss­tücken, mit der Bitte um Hinweise.

Der neue Ermittlung­serfolg befeuert nun die Debatte um bessere

Ermittlung­smöglichke­iten der Polizei im Kampf gegen Kindesmiss­brauch im Internet. Die EU-Kommission bereitet gerade einen Gesetzentw­urf vor, der Anbieter dauerhaft verpflicht­en soll, Onlinedien­ste generell auf kinderporn­ografische­s Material hin zu durchleuch­ten und Entdeckung­en den Strafverfo­lgungsbehö­rden zu melden.

Die Unionsfrak­tion im Bundestag wertete die Zerschlagu­ng der Plattform als Erfolg von bereits beschlosse­nen Gesetzesve­rschärfung­en und verstärkte­m Personalei­nsatz. So sei Ermittlern vor einem Jahr erlaubt worden, computerge­nerierte Bilder von Kindesmiss­brauch als Eintrittsk­arte in einschlägi­ge Foren zu verwenden.

Der Bundesrat wird an diesem Freitag ein Gesetz absegnen, das Verschärfu­ngen des Strafrecht­s bei kinderporn­ografische­n Taten vorsieht – Verbreitun­g und Besitz gelten nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen. Hessens Justizmini­sterin Eva Kühne-Hörmann (CDU) meinte nach dem neuen Schlag gegen das Missbrauch­snetz: „Die Luft für alle Personen, die sich an der Verbreitun­g schlimmste­r Fotos und Videos beteiligen, wird immer dünner.“

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FOTO: DPA Eine Fahnderin im Polizeiprä­sidium Mittelhess­en sichtet kinderporn­ografische­s Material. Eine Arbeit, die seelisch extrem belastend ist.

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