Mehr Rechte für Geimpfte ...
… aber es gibt noch viele offene Fragen - zum Ansteckungsrisiko, zum Impfnachweis und zum Ende der Testpflicht für Immunisierte
Berlin. Die skeptischen Stimmen in der Regierung sind verstummt, jetzt soll es auf einmal ganz schnell gehen: Im „Idealfall“werde noch in dieser Woche die Entscheidung fallen, ob Geimpfte und Genesene wieder mehr Rechte bekommen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag in Berlin. Union und SPD sind sich einig, der Vorschlag von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) soll bereits am Mittwoch im Kabinett, am Donnerstag im Bundestag und am Freitag im Bundesrat beschlossen werden.
Lambrecht hatte vorgeschlagen, dass Geimpfte und Genesene von Auflagen für private Treffen und nächtlichen Ausgangssperren ausgenommen werden. Sie sollen zudem auch ohne vorherige Tests Läden betreten, Zoos besuchen oder zum Friseur gehen können. Mehrere Bundesländer haben Teile dieser Regelung bereits umgesetzt und Geimpfte mit Getesteten gleichgestellt. Doch es bleiben viele offene Fragen.
„Geimpfte müssen unbedingt weiterhin getestet werden.“
Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
Können Geimpfte andere wirklich nicht mehr anstecken?
„Die Virusausscheidung Geimpfter ist stark reduziert, aber ein Restrisiko bleibt“, sagt Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts. Die Experten des RKI gehen davon aus, dass das Risiko einer Virusweitergabe bei vollständig Geimpften spätestens ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer ist als bei Personen mit einem negativen Antigen-Schnelltest. Die RKI-Empfehlung gilt als wichtigste Grundlage für die Entscheidung, Geimpfte nicht nur mit frisch Getesteten gleichzustellen, sondern ihnen sogar noch deutlich mehr Erleichterungen zu gewähren.
Hundertprozentige Sicherheit gibt es jedoch nicht: Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen zu Fällen, wo sich Geimpfte infiziert hatten. Diese hatten zwar in der Regel keine oder nur leichte Symptome, dennoch schließen Forscher wie der Frankfurter Virologe Martin Stürmer nicht aus, dass eine Virusübertragung im Einzelfall denkbar ist.
Wie sollen Geimpfte ihren Impfstatus nachweisen?
Spätestens Ende Juni, zum Beginn der Sommerferien, soll eine Impfung nicht nur mit einem Eintrag im gelben Impfheft nachgewiesen werden können, sondern auch digital auf Smartphones. Wer kein Smartphone hat, kann einen Ausdruck der digital lesbaren Impfbescheinigung als QR-Code auf Papier bekommen. Soweit der Plan.
In der Praxis gibt es in den Bundesländern, in denen jetzt schon Lockerungen für Geimpfte gelten, viel Verwirrung: „Die Impfbescheinigungen sehen im Augenblick alle unterschiedlich aus, ungeschulte Mitarbeiter in Geschäften oder Friseursalons müssen auf dieser Basis entscheiden, ob jemand einen ausreichenden Impfstatus hat oder nicht. Es herrscht großes Durcheinander“, beobachtet Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Politik dürfe nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gehen: „Bevor es bundesweit Erleichterungen für Geimpfte gibt, muss ein einheitliches Zertifikat als Impfnachweis eingeführt werden.“Das Zertifikat müsse unbedingt fälschungssicher sein.
Werden Geimpfte in Zukunft nicht mehr getestet?
Geimpfte sollen mit frisch Getesteten gleichgestellt werden. Heißt: Überall dort, wo man nur mit negativem Testergebnis Zugang hat oder wo regelmäßige Tests verpflichtend sind, sollen Geimpfte von der Testung befreit werden. Beispiel Einreise: Laut Spahn soll jetzt die Pflicht zu Test und Quarantäne bei Rückkehrern aus Risikogebieten entfallen.
Die Amtsärzte finden das hoch problematisch: „Geimpfte müssen unbedingt weiterhin getestet werden“, fordert Verbandschefin Teichert. „Es wäre fatal, wenn Geimpfte und Genesene künftig von allen Testpflichten etwa bei der Einreise ausgenommen würden.“Ohne umfassende Tests verliere man den Überblick über das Infektionsgeschehen – gerade auch mit Blick auf Virusvarianten. „Wenn wir Reiserückkehrer nicht mehr testen, wissen wir nicht, ob sie Mutanten einschleppen.“Auch die verpflichtenden Tests in den Schulen sollten für Geimpfte fortgeführt werden, so Teichert.
Droht eine Zweiklassengesellschaft? Die einen feiern Partys mit Dutzenden Geimpften, gehen unkompliziert einkaufen und bewegen sich frei in ganz Europa. Die anderen warten weiter, dass sie beim Impfen an der Reihe sind, und sind neidisch. So lautet die große Sorge, so klingt es oft in sozialen Netzwerken. Genau darum gab es massive Bedenken, Geimpften schon jetzt ihre Freiheitsrechte zurückzugeben.
Das plötzlich hohe Tempo liegt nun vor allem daran, dass beim Bundesverfassungsgericht Hunderte Klagen gegen die harte BundesNotbremse, gegen die Ausgangssperren eingegangen sind. Merkel und Co. wollen den Karlsruher Richtern zuvorkommen und nicht die Blamage riskieren, dass das oberste Gericht der Regierung mit Blick auf die Geimpften verfassungswidriges Handeln vorwirft.