Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Mein Arsch ist bös geworden“

Heute vor 500 Jahren wurde Martin Luther zu seinem Schutz auf die Wartburg entführt

- Von Ulrike Merkel

Eisenach. Luthers knapp einjährige­r Wartburg-Aufenthalt ist für ihn eine harte, entbehrung­sreiche Zeit. Er fühlt sich einsam, schwankt zwischen depressive­r Lethargie und kolossalen Schreibpha­sen. Obendrein quälen ihn starke Verdauungs­beschwerde­n. „Mein Arsch ist bös geworden“, schreibt er an seinen Freund Nikolaus von Amsdorf geradehera­us. Im Brief an Melanchtho­n klagt er: „Gestern habe ich nach vier Tagen einmal ausgeschie­den.“

„Es geht ihm überhaupt nicht gut“, sagt Grit Jacobs, wissenscha­ftliche Leiterin auf der Wartburg. „Er fühlt sich wie ein Deserteur.“Nur allzu gern hätte er seinen Feinden den Hals entgegenge­halten.

Die jedoch trachten Luther nach dem Leben. Nachdem er auf dem Reichstag in Worms seine revolution­ären Thesen nicht zurückgeno­mmen hat, wird die Reichsacht über ihn verhängt, was jedem erlaubt, ihn zu töten. Um ihn zu schützen, lässt ihn sein Landesherr Friedrich der Weise kurz darauf entführen.

Luther hatte zuvor Worms zügig verlassen und bei seinem Onkel in Möhra übernachte­t. Tags darauf, am 4. Mai 1521, bricht er mit seinen Reisegefäh­rten wieder auf. Im Glasbachgr­und bei Steinach im Thüringer Wald werden sie schließlic­h überfallen.

„Er wird aus dem Reisewagen geholt und aufs Pferd gesetzt“, sagt Grit Jacobs. Luther ist zwar in die Schutzhaft-Pläne eingeweiht. Doch dass es auf die abseits gelegene Wartburg gehen soll, weiß selbst er nicht. Bald macht sogar die Runde, Luther sei ermordet worden.

Als Ritter ist er kaum zu erkennen

Auf der Eisenacher Burg lässt Luther Bart und Haare wachsen und wechselt die Mönchskutt­e mit Reiterklei­dung. Er erkennt sich beinah selbst nicht wieder. „Untergebra­cht wird er im Kavaliersg­efängnis“, sagt Kunsthisto­rikerin Jacobs, der heutigen Lutherstub­e. Wenn überhaupt, ist darin nur noch der Walwirbel authentisc­h, der Luther seinerzeit als Fußbank gedient haben soll.

Auch der sagenhafte Tintenklec­ks ist nicht zu finden. Seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts wurde er nicht mehr nachgemalt. Nur noch die löchrige Putzstelle erinnert an ihn. Schließlic­h handelt es sich um eine Legendenbi­ldung, die laut Jacobs sogar in Wittenberg ihren Ursprung hat. Auch dort soll der Reformator mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben, wie obendrein auch noch auf der Veste Coburg. Über die Jahrhunder­te hat sich die Legende jedoch als Ereignis auf der Wartburg ins kollektive Bewusstsei­n eingeschri­eben.

Auch wenn Luthers Tintenfass­wurf ins Reich der Fantasie gehört, so hatte er doch Angst vor dem Teufel. Er fühlte sich auch auf der Wartburg mehrfach von Satan und lästigen Dämonen verfolgt. Später berichtete er in seinen Tischreden von einer nächtliche­n Heimsuchun­g: Nüsse seien gegen die Balken geknallt, am Bett habe es gerumpelt und draußen auf der Treppe lautstark gepoltert.

Trotz aller Widrigkeit­en wird die

Zeit auf der Wartburg zu einer der produktivs­ten in Luthers Leben. Größtes Vermächtni­s ist die Übersetzun­g des Neuen Testaments in nur elf Wochen. Dazu wird er allerdings von seinen Mitstreite­rn gedrängt, wie Grit Jacobs erzählt. Erst zwölf Jahre später folgt die Übertragun­g des Alten Testaments. Sein

Ziel war es, dem Volk eine Bibel in lebendigem Deutsch zu schenken. Sein Bucherfolg – bis 1533 besaß bereits jeder zehnte Haushalt ein von Luther übersetzte­s Neues Testament – verhilft der Reformatio­n zum Durchbruch. Zugleich trug er damit maßgeblich zur Vereinheit­lichung der deutschen Sprache bei.

 ?? FOTO: WARTBURG-STIFTUNG ?? Radierung „Luthers Entführung auf die Wartburg“aus dem Zyklus Luthers Leben (1847-1851) von Gustav König.
FOTO: WARTBURG-STIFTUNG Radierung „Luthers Entführung auf die Wartburg“aus dem Zyklus Luthers Leben (1847-1851) von Gustav König.

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