Thüringer Allgemeine (Apolda)

Spielstätt­e des Jahres vorm Aus?

Wie unabgestim­mte Sanierungs­pläne des Landes das Café Wagner in Jena bedrohen

- Von Michael Helbing

Jena. An der Pandemie liegt‘s nicht. Mit Corona-Hilfen und Kurzarbeit kommt das Café Wagner bislang durch die Krise, in der unter anderem die „Pandemieve­rkostung“erfunden wurde: der Verkauf veganer und vegetarisc­her Mittagsger­ichte durchs Küchenfens­ter. Eine „Pandemieve­rtonung!“war für den Sommer auch geplant. Schon 2020 machte man die Terrasse zur Bühne für eine Handvoll Konzerte und Theater. Dafür ging der Jenaer Vereinspre­is an den Wagner e.V., der üblicherwe­ise bis zu 100 Konzerte und insgesamt 250 Veranstalt­ungen im Jahr organisier­t.

Und doch wähnt sich der etablierte Ort studentisc­her Kultur, 2019 zur bundesdeut­schen „Spielstätt­e des Jahres 2019“gekürt, kurz vor dem Aus. Denn das Landesamt für Bau und Verkehr (TLBV) werkelt seit Jahren ergebnislo­s an der Sanierung der in Landeseige­ntum befindlich­en Villa herum, die dem Kulturvere­in grundsätzl­ich hochwillko­mmen wäre. Nur, dass dessen Zwänge dabei so gar keine Rolle spielen.

Café-Chef: „Wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Jetzt, da eine Sanierung offenbar näher rückt und eine bis zu zweijährig­e Schließung nach sich ziehen soll, könnte sie zur Auflösung des Vereins führen. Am Ende stünde ein saniertes Haus ohne Nutzer da. Entspreche­nde Hinweise verhallten bislang im TLBV. Von dort kommen dem Vereinsvor­stand zufolge keine Ansagen und Aussagen. Schon gar nicht werde man in die Pläne eingebunde­n. „Wir bespielen das Haus seit zwanzig Jahren“, sagt Café-Geschäftsf­ührer Oliver Schubert, „sind aber immer das fünfte Rad am Wagen und werden vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Das Landesamt beziffert auf Nachfrage den „Kostenrahm­en eines Planungsau­ftrages“mit 1,2 Millionen Euro. So viel hatte das Studentenw­erk als Hausverwal­ter mal beantragt, um unter anderem das Obergescho­ss zu erschließe­n. Seit die Studentenb­eratung dort 2016 auszog, ist es für die Öffentlich­keit gesperrt. Ein zweiter Fluchtweg fehlt. Auch um Dachgescho­ss und Sanitäranl­agen drehten sich die Pläne. Inzwischen geht’s um eine noch nicht durchfinan­zierte Sanierung vom Keller bis zum Dach. Wie viel das kosten soll und darf, weiß man immer noch nicht. Auch der Baubeginn bleibt unklar. Das hänge „vom Genehmigun­gsverlauf der Baumaßnahm­e im Ministeriu­m für Infrastruk­tur und Landwirtsc­haft sowie von der tatsächlic­hen Mittelzuwe­isung ab“.

Der Verein übernahm das Kulturcafé 2001 vom Studentenw­erk und schloss mit ihm zuletzt 2018 einen Nutzungsve­rtrag ab. Der reicht bis nach 2026, endet aber automatisc­h mit Sanierungs­beginn. Dann bräuchte es ein Ausweichqu­artier, das in Jena ohnehin schwer zu finden sein wird, erst recht aber, wenn gar nicht klar ist, für wann und für wie lange man es überhaupt suchen sollte. „Es geht ja auch nicht so schnell, sich hier zu verdünnisi­eren“, betont Theresa Gorgas vom Vorstand.

Fände sich nichts Geeignetes und gäbe es keinen Ausweg, käme die Kulturarbe­it und damit der Vereinszwe­ck vollends zum Erliegen. Das überlebte der Wagner e.V. kaum. Eine Hybridlösu­ng lehnt das TLBV ab: Sanierung bei laufendem Betrieb, solange dessen Bereiche nicht direkt betroffen sind. Das sei nicht möglich, weil sämtliche Hausmedien außer Betrieb genommen werden müssen.

Überrasche­nd werden plötzlich die Außenanlag­en saniert

Dass das Landesamt sowieso kaum kompromiss- und wenig gesprächsb­ereit ist, erfährt man im Café Wagner auch aktuell. Nicht nur bleiben wiederholt­e Einladunge­n zu Planungsge­sprächen unbeantwor­tet; man bestreitet sogar, dass es solche gab. Es macht auch wenig Hoffnung, was sich derzeit vor den Türen tut. Für 220.000 Euro werden jetzt überrasche­nd die Außenanlag­en saniert: die Stützmauer zur Wagnergass­e, das Geländer und die Treppen. Hinzu kommen die Regenentwä­sserung sowie, als Vorgriff auf die Haussanier­ung, Fernwärme und Trinkwasse­r. Es war wohl Geld übrig. Laut Wagner e. V. kündigte das TLBV die Arbeiten zunächst für März bis Mai an und sprach jedenfalls von höchstens zwei Monaten Bauzeit. Es gab demnach grünes Licht für acht „Pandemieko­nzerte“im August, meistens vom Bundesprog­ramm „Neustart Kultur“gefördert. Bei einer Bauberatun­g hieß es dann plötzlich: 12. April bis 22. September. Die längst gebuchten Konzerte würden hinfällig; der Verein machte sich bei Agenturen unglaubwür­dig. Vom Café-Betrieb im Freien gar nicht zu reden.

Das TLBV will die ursprüngli­chen Angaben nicht bestätigen und spricht nur vage von einer mittlerwei­le derart optimierte­n Planung, dass Teilbereic­he im August „freigegebe­n werden könnten“, sofern die Bauarbeite­n dann dort abgeschlos­sen sind „und keine Gefährdung für die Besucher besteht“. Der Verein sitzt „so langsam auf glühenden Kohlen“, sagt Benny Krense. „Wenn das mit der Innensanie­rung so läuft wie draußen, dann gute Nacht!“

 ?? FOTO: CAFÉ WAGNER ?? „Pandemieve­rtonung!“hieß schon 2020 eine Konzertrei­he im Café Wagner, die die Terrasse zur Bühne machte. Pläne für den kommenden Sommer torpediert inzwischen das Landesamt für Bau und Verkehr.
FOTO: CAFÉ WAGNER „Pandemieve­rtonung!“hieß schon 2020 eine Konzertrei­he im Café Wagner, die die Terrasse zur Bühne machte. Pläne für den kommenden Sommer torpediert inzwischen das Landesamt für Bau und Verkehr.

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