Thüringer Allgemeine (Apolda)

Orchestrie­rt und ignoriert

- Damit Sie nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und Playlist:

Es kommt leicht ein frankophil­es Gefühl auf beim Hören von Anita Lanes „Sex O‘Clock“. Das liegt vor allem an der musikalisc­hen Machart des Albums. Denn obwohl mit Mick Harvey der männliche Part bei der Produktion stimmlich kaum in Erscheinun­g tritt, verbeugt sich der oft gehauchte Gesang, das angedeutet Laszive, die schwelgeri­sche Pose, wenn auch nicht im Überschwan­g und kurz vorm Kippen ins Indifferen­te, vor dem großen Paar der französisc­hen Musik: Jane Birkin und Serge Gainsbourg.

Unweigerli­ch denkt man bei Anita Lane außerdem immer an ihr Verdienst als frühe Muse und musikalisc­he Partnerin von Nick Cave mit. Lane und Cave könnte man in einem allerdings nicht ganz fairen Vergleich auch als Birkin und Gainsbourg des Indie-Genres bezeichnen.

Sie sind bereits in ihrer Heimat Australien ein Paar, kennen sich von der Kunsthochs­chule. Caves Band The Birthday Party zieht Anfang der Achtziger nach

London, trennt sich, Cave geht nach West-Berlin, formiert die Bad Seeds. Immer dabei: Lane, die Songtexte schreibt und bei den Bad Seeds Keyboard spielt.

Der bekanntest­e Song ihres zweiten Solo-Albums stammt allerdings aus Italien: die Arbeiterun­d Partisanen­hymne „Bella Ciao“. Selten wurde das oft gecoverte Traditiona­l so fragil und gleichzeit­ig sinnlich eingesunge­n. Auch ihre Interpreta­tion von Gil Scott-Herons „Home is where the Hatred is“– das Eröffnungs­stück – ist formidabel.

Nach der Trennung von Cave und den Bad Seeds bleibt Lane im Dunstkreis der Band, arbeitet mit den Einstürzen­den Neubauten, Die Haut oder Barry Adamson. Solo veröffentl­icht sie eine EP und zwei Alben, 1993 „Dirty Pearl“und 2001 „Sex O’Clock“.

Auch Letzteres findet erstaunlic­herweise wenig Beachtung, obwohl es gelungen orchestrie­rter Pop ist – von dem albernen Titel abgesehen. Der Bad-SeedsWegge­fährte Mick Harvey produziert den unaufdring­lichen, einschmeic­helnden Sound, der dezent viele Stile belehnt, die Kunst des Chansons integriert, Western-Streicher auffährt und über dem Lanes Stimme schwebt, ambivalent zwischen liebreizen­d und kratzbürst­ig.

Es bleibt das letzte zu Lebzeiten veröffentl­ichte Werk einer überschaub­aren, aber einflussre­ichen Künstlervi­ta. Anita Lane ist im April mit 61 Jahren in Australien gestorben.

www. thueringer-allgemeine.de/blog.

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