„Wir haben einen Allergie-Tsunami“
Der Klimawandel schadet unserer Gesundheit, warnt die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann
Berlin. Gewitterasthma, Schlaganfälle, Diabetes – der Klimawandel macht Menschen schon heute krank, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Und das ist teuer für jede Volkswirtschaft, warnt Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz-Zentrum in München. Die Umweltmedizinerin erklärt, was die Gefahren sind und was dagegen zu tun ist.
Frau Traidl-Hoffmann, Deutschland muss bei der Klimapolitik nachbessern. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche beschlossen. Sie sagen, das sei auch für die Gesundheit entscheidend, weil die Erderwärmung schon heute ein Risiko sei. Fangen wir mit Gewitterasthma an. Was ist das?
Claudia Traidl-Hoffmann: Menschen, die nie vorher Asthma hatten, bekommen bei Blitz und Donner plus starkem Pollenflug einen Lungenkrampf, einen asthmatischen Anfall, ganz akut. Da gibt es Todesfälle.
Todesfälle?
In Australien ist das zum ersten Mal beschrieben worden. Menschen klagten während eines Unwetters über Atemnot, Hunderte mussten ins Krankenhaus, einige starben. Wir gehen davon aus, dass durch die elektrische Aufladung in der Atmosphäre bei einem Gewitter Pollen aufplatzen und kleine Pollenpartischen kel entstehen. Die gelangen viel tiefer in die Lunge als die normalen Pollenkörner. Da reagieren auch Nicht-Allergiker. Das beobachten wir auch in Deutschland immer häufiger.
Weil mit der Klimaveränderung die Unwetter zunehmen?
Zum einen das. Asthmatiker sollten vorsichtig sein, am besten bleiben sie drinnen, wenn Gewitter angesagt sind und zugleich die Pollen stark fliegen. Die Pollen werden mit dem Klimawandel – das ist das andere – auch aggressiver, sie werden mehr, ihre Saison verlängert sich. 40 Prozent der Menschen leiden mittlerweile unter Allergien. Viele können nicht vernünftig arbeiten, weil ihnen ständig die Nase läuft.
Wie stark leidet die Wirtschaft unter den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit?
Schon heute verursachen in Europa allein Allergien jedes Jahr 151 Milliarden Euro pro Jahr an sozio-ökonomischen Kosten. Die Summe wird steigen. Wir haben einen Allergie-Tsunami. Im Übrigen liegt die Temperatur für ein einwandfreies Funktionieren unseres Gehirns bei etwa 22 Grad Celsius.
Welche Folgen hat der Klimawandel noch?
Schlaganfälle nehmen zu. Gerade bei warmem, feuchtem Wetter kommt es zu Veränderungen in den feinen Blutgefäßen, dann verstopfen Hirnarterien, das Gewebe wird nicht mehr richtig mit Blut versorgt.
Wunden heilen bei Temperaturen über 40 Grad Celsius schlechter, die Erholung nach Operationen dauert länger, Typ-2-Diabetes nimmt zu.
Aber Diabetes hat doch in der Regel viel mit Essgewohnheiten, mit Bewegungsmangel zu tun.
Die Veränderungen der Lebensstile sind schon herausgerechnet. Mit steigenden Temperaturen steigen auch die Diabetes-Fallzahlen. Das zeigt sich in den vergangenen zwanzig Jahren weltweit. Offenbar verändert sich der Fettstoffwechsel, die Zellen sprechen immer weniger auf
Insulin an, das den Zuckerspiegel reguliert.
Aber die Psyche freut sich über lange, warme Sommerabende?
Sie unterschätzen die seelischen Belastungen. Der Förster, der Borkenkäfer und abgestorbene Bäume in seinem Wald sieht, leidet; der Bauer, der wegen der Dürre um seine Ernte bangt. Und für die Jugend, die eine düstere Zukunft fürchtet, ist es auch schwer. Der Klimawandel bedroht die körperliche und die seelische Gesundheit. Das stand lange nicht im Fokus. Beim deut
Ärztetag im Herbst ist das nun aber das große Thema.
Aber der Gesundheitssektor muss sich doch auch selbst hinterfragen. Als Medizinerin tut mir das weh, aber der Gesundheitssektor selbst ist weltweit für etwa 4,6 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wäre der Gesundheitssektor ein Land, stünde er auf Platz fünf der Liste der Länder, die am meisten CO2 ausstoßen. Das liegt an der Produktion der Medikamente, an den Krankenwagenfahrten, am Energieverbrauch in Operationssälen und überhaupt für den Betrieb der Krankenhäuser. Kliniken müssten zum Beispiel auf erneuerbare Energien umstellen.
Was muss sich tun, damit die Menschen gesund bleiben?
Auch aus medizinischer Sicht muss die Welt so schnell wie möglich raus aus den klimaschädlichen Energien – aus Kohle, Gas und Öl. Zudem müssen wir alle weniger Energie verbrauchen. Darum müssen wir auch Digitalwährungen wie den Bitcoin überdenken. Der ist ein unersättlicher Stromfresser. Vor allem aber brauchen wir eine Ernährungsund eine Mobilitätswende. Wir sollten fördern, was keinen Motor braucht – das Fahrradfahren, das Spazierengehen. Das ist ein doppelter Gewinn, weil es das Klima schont und man etwas für seine eigene Gesundheit tut. Bei der fleischarmen Ernährung ist das ebenso.
„Gerade bei warmem, feuchtem Wetter kommt es zu Veränderungen in den feinen Blutgefäßen.“
Claudia Traidl-Hoffmann, Medizinerin