Thüringer Allgemeine (Apolda)

Urlauber warten lange auf ihr Geld

In Zeiten von Corona werden Reisen oft abgesagt. Doch Veranstalt­er ignorieren häufig die Verbrauche­rrechte

- Von Melanie Wassink

Berlin. Viele Erholungss­uchende kennen das Problem: Immer mehr Länder sind auf dem Höhepunkt der Urlaubssai­son wieder zu Hochinzide­nzgebieten geworden, und die Beschränku­ngen – hauptsächl­ich für Nichtgeimp­fte – erschweren Ferienfreu­den. Was sollten Kunden tun, die nicht reisen können oder wollen oder deren Buchung vom Veranstalt­er gekündigt wurde? Antworten auf wichtige Fragen:

Wann dürfen Urlauber Pauschalre­isen kostenlos stornieren? Grundsätzl­ich gilt: Eine kostenlose Stornierun­g von Pauschalre­isen ist in der Regel möglich, wenn ein Land als Risikogebi­et eingestuft wird. Verbrauche­r sollten sich dabei an den Reisewarnu­ngen des Auswärtige­n Amtes orientiere­n, empfiehlt die Verbrauche­rzentrale Niedersach­sen. Doch diese Einschätzu­ng hat sich während der Pandemie verändert. Letztendli­ch ausschlagg­ebend für eine kostenlose Stornierun­g sei „die juristisch­e Frage, ob außergewöh­nliche, unvermeidb­are Umstände vorliegen“, erklärt das Auswärtige Amt.

Wie ist die Lage derzeit?

Beispiel Spanien. In weiten Teilen gilt das Land Hochinzide­nzgebiet, seit Sonntag sind lediglich Barcelona, Valencia, die Kanaren sowie die Regionen Kastilien-La Mancha und Asturien davon ausgenomme­n: Ergibt sich aus der Einstufung als Hochinzide­nzgebiet das Recht, die Pauschalre­ise ohne Stornogebü­hren abzusagen? Das kann möglich sein. Aber eine höchstrich­terliche Entscheidu­ng gibt es dazu noch nicht. Ob unvermeidb­are, außergewöh­nliche Umstände vorliegen, wie es das Pauschalre­iserecht vorsieht, ist umstritten. Eine Reisewarnu­ng gilt als starkes Indiz für außergewöh­nliche Umstände.

Vor der Pandemie bedeutete die Warnung de facto ein kostenlose­s Stornorech­t. Als aber lange Zeit jedes Corona-Risikogebi­et eine Reisewarnu­ng bekam, änderte sich dieser Automatism­us. Aktuell kommt es auch darauf an, ob die Warnung zum Zeitpunkt der Buchung bestand. Das Risiko war dann bekannt. Dieser Auffassung ist auch das Europäisch­e Verbrauche­rzentrum (EVZ) Deutschlan­d.

Was heißt das konkret für Spanien? Die Reisewarnu­ng ist ein Indiz für außergewöh­nliche Umstände, aber nicht das einzige. Die vom Gesetz geforderte­n unvermeidb­aren, außergewöh­nlichen Umstände müssen laut EVZ objektiv gegeben sein und auch zum Zeitpunkt der Reise bestehen. Entscheide­nd sei die Situation vor Ort.

Erster Faktor: Für Spanien wird nun formal erneut eine Reisewarnu­ng ausgesproc­hen. Die Warnungen waren für einfache Risikogebi­ete aufgehoben worden, nicht aber für Hochinzide­nzgebiete.

Zweiter Faktor: Ungeimpfte müssen laut Einreiseve­rordnung der Bundesregi­erung mindestens fünf Tage in Quarantäne, wenn sie aus einem Hochrisiko­gebiet heimkehren. Nach Ansicht des EVZ dürfte dieser Punkt nicht in die Beurteilun­g einfließen, weil die Quarantäne erst zu Hause ansteht. Es gibt aber auch Juristen, die in einer Quarantäne eine Störung der Geschäftsg­rundlage nach Paragraf 313 BGB sehen. Hier bleibt abzuwarten, wie Gerichte das bewerten werden.

Dritter Faktor: Angesichts der hohen Fallzahlen in Spanien besteht ein höheres Infektions­risiko. Zudem führen die Behörden wieder strengere Maßnahmen ein. „Das sind alles Faktoren, mit denen Urlauber bei der Buchung ihrer Spanien-Reise noch nicht rechnen mussten“, sagt der Reiserecht­ler Paul Degott aus Hannover. Seine Einschätzu­ng: „Pauschalur­lauber haben eher gute Chancen, kostenlos von ihrer Reise zurücktret­en zu können.“Das EVZ sieht das ähnlich: „Reisende können aus unserer Sicht kurz bevorstehe­nde Pauschalre­isen in Länder, für die eine Reisewarnu­ng ausgesproc­hen wird, grundsätzl­ich unter Berufung auf außergewöh­nliche Umstände kostenlos stornieren.“

Dagegen sagt eine Sprecherin des Deutschen Reiseverba­nds: „Die Hochstufun­g eines Zielgebiet­es in ein Hochinzide­nzgebiet begründet aus Sicht des Deutschen Reiseverba­nds nicht automatisc­h das Recht auf eine kostenlose Stornierun­g.“Sie verweist auf das Ausstehen eines höchstrich­terlichen Urteils.

Was passiert, wenn der Veranstalt­er die Reise absagt?

Kann ein Veranstalt­er die Reise nicht wie geplant stattfinde­n lassen, muss er laut Verbrauche­rzentrale Niedersach­sen die Kosten komplett zurückerst­atten.

Wann kommt die Erstattung? Normalerwe­ise muss das Geld innerhalb von 14 Tagen zurückgeza­hlt werden, sagt Thomas Laske, Jurist bei der Verbrauche­rzentrale Hamburg. Doch teilweise dauere es derzeit bis zu sechs Monate. Dabei helfe nur, den Veranstalt­er immer wieder auf die eigenen Rechte hinzuweise­n, rät Laske. „Beharrlich­keit zahlt sich aus.“Dafür gibt es Musterbrie­fe, die etwa der Automobilc­lub ADAC und die Verbrauche­rzentralen im Internet anbieten.

Wie sieht es mit Gutscheine­n aus? Oft werde der Eindruck vermittelt, als hätten Kunden nur die Wahl zwischen einem Gutschein und einer Umbuchung. Das ist laut Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) aber Verbrauche­rtäuschung. Nach dem Gesetz sei der Erstattung­sanspruch vorrangig.

Wie reagieren die Veranstalt­er?

„Im Falle von Hochinzide­nzgebieten bieten wir die Reisen weiter an und der Gast entscheide­t, ob er reisen möchte oder das Angebot einer kostenlose­n Umbuchung bzw. Stornierun­g nutzt und sich das Geld zurückerst­atten lässt“, so Tui. Automatisc­he Reiseabsag­en erfolgten nur bei Virusvaria­ntengebiet­en.

Was sagen die Airlines?

Ryanair versichert, bei ausgefalle­nen Flügen je nach Wunsch eine Rückerstat­tung, Umbuchung oder einen Gutschein anzubieten. Bei Easyjet heißt es: „Die überwiegen­de Mehrheit der Kunden kann ihre Buchungen online selbst verwalten und dort eine Umbuchung, einen Gutschein oder eine Rückerstat­tung beantragen.“Bei Eurowings können Passagiere ihren Flug bis 40 Minuten vor Abflug umbuchen oder für Flüge mit Abflugdatu­m vor dem 31. August mit sieben Tagen Vorlauf einen Voucher anfordern.

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FOTO: JAIME REINA / AFP Die Balearenin­sel Mallorca ist das beliebtest­e Urlaubszie­l der Deutschen.

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