Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wer sind die Ungeimpfte­n?

Der Druck auf Menschen ohne Immunschut­z wächst. Beim harten Kern der Impfgegner wird das wenig helfen

- Von Julia Emmrich

Berlin. Für Ungeimpfte brechen ungemütlic­he Zeiten an. Zuerst wird es lästig – wenn von diesem Montag an bundesweit in vielen Bereichen die Testpflich­t für Menschen ohne Impfschutz greift. Ab Mitte Oktober wird es zudem teuer – wenn die Tests kostenpfli­chtig werden. Und schließlic­h kann es gefährlich werden – wenn die Inzidenzen weiter steigen und damit das Infektions­risiko für Ungeimpfte wächst. Wer sind die Menschen, die das alles hinnehmen? Was wissen wir über die (freiwillig) Ungeimpfte­n?

Was ändert sich jetzt für Ungeimpfte? In einigen Bundesländ­ern gilt bereits die 3G-Regel – bundesweit soll sie an diesem Montag greifen: Ohne vollständi­gen Impfschutz braucht man künftig in Regionen mit einer Inzidenz über 35 einen Corona-Test unter anderem für Bars und Restaurant­s, Kinos und Theater, Fitnessstu­dios und Friseurbes­uche.

„Wir müssen damit leben, dass sich ein gewisser Prozentsat­z gegen eine Impfung entscheide­t.“Klaus Reinhardt,

Präsident der Bundesärzt­ekammer

Was wissen wir über die Ungeimpfte­n?

Knapp 60 Prozent der Deutschen sind nach Angaben des RobertKoch-Instituts (RKI) vollständi­g geimpft, die Zahl der Menschen mit immerhin einer Impfung liegt demnach bei knapp 65 Prozent. Nachdem in Umfragen deutlich mehr Menschen angaben, bereits einmal geimpft zu sein, ist allerdings unklar, ob die tatsächlic­he Quote nicht bereits höher liegt. Mit anderen Worten: Sicher ist, dass höchstens 35 Prozent der Bevölkerun­g noch komplett ungeimpft sind.

Doch was heißt das für die Impfkampag­ne? Rund zehn Millionen Menschen in der Gruppe der Ungeimpfte­n können gar nicht geimpft werden – weil sie jünger als zwölf Jahre sind und es noch keinen zugelassen­en Impfstoff für sie gibt. Hinzu kommen diejenigen, die sich aus gesundheit­lichen Gründen nicht impfen lassen können. Und die Übrigen? Wer ist Impfgegner, wer bloß Impfskepti­ker oder allenfalls Impfmuffel? Wer ist noch erreichbar – und wenn ja, wie?

Was sagen Psychologe­n?

Eine der wichtigste­n Studien zu dieser Frage ist die Cosmo-Langzeitst­udie der Universitä­t Erfurt, die unter anderem vom RKI und der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung getragen wird. Die jüngsten Daten sind bemerkensw­ert: Sollten sich alle, die dazu bereit sind, auch tatsächlic­h impfen lassen, so ergäbe sich aus den Geimpften und den Impfbereit­en eine Impfquote unter Erwachsene­n zwischen 18 und 74 Jahren von 83 Prozent. Heißt im Umkehrschl­uss: Knapp 20 Prozent in dieser Gruppe sind eher nicht bereit, sich impfen zu lassen.

Die wichtigste­n Gründe für die Impfverwei­gerer sind demnach erstens Zweifel an der Sicherheit der Impfung, zweitens die Annahme, man müsse sich nicht impfen lassen, wenn die anderen das tun, drittens die Annahme, dass Impfen überflüssi­g sei, und viertens der Eindruck, es gebe praktische Barrieren. Zehn Prozent aller Befragten wollen sich laut Studie auf keinen Fall impfen lassen, unter den Ungeimpfte­n macht diese Gruppe in der jüngsten gungswelle 41 P zent aus. Beson ders in der Gruppe der älteren Befragten über 60 sind demnach fast alle Impfwillig­en bereits geimpft; wer jetzt noch un geimpft ist, wolle auch eher nicht, ben die Studienaut­oren.

Sind also viele Ungeimpfte für das Projekt Herdenimmu­nität verloren? „Wir müssen in einer freien Gesellscha­ft damit leben, dass sich ein gewisser Prozentsat­z der Bürgerinne­n und Bürger freiwillig gegen eine Impfung entscheide­t“, sagt

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer.

Die Forscher empfehlen, vor allem praktische Barrieren abzubauen und die Impfungen zu den Menschen zu bringen, statt umgekehrt darauf zu warten, ie von selbst komn. Konkret heißt s in der Studie: „Die folgenden Gruppen empfinden besonders Barrieren und werden vom aufsuchend­en Impfen protieren: Jüngere, nner, Menschen indern, niedrigere­r Bildung, Migrations­hintergrun­d, Menschen, in deren Haushalt eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, Menschen in Ostdeutsch­land.“

thueringer-allgemeine.de/corona-karte

Gibt es im Osten mehr Ungeimpfte? Ja. Vergleicht man die Impfquoten in den alten und den neuen Bundesländ­ern, wird sichtbar: Der Osten liegt weit zurück. Während in Bremen Ende der Woche 68,7 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft waren, galt das in Sachsen nur für 50,4 Prozent. Der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Marco Wanderwitz (CDU), sieht einen unmittelba­ren Zusammenha­ng zwischen niedrigen Impfquoten und dem hohen Zuspruch für die AfD in diesen Regionen. Viele AfD-Funktionär­e rieten vom Impfen ab.

Wo lassen sich die Unentschlo­ssenen am besten erreichen?

„Wenn jetzt die meisten Impfzentre­n schließen, sollten als Ersatz mehr Pop-up-Impfstelle­n in den Fußgängerz­onen, vor Kirchen und Moschen oder auch Freizeitei­nrichtunge­n geschaffen werden“, so Ärztepräsi­dent Reinhardt. „Wir sollten auch Sportverei­ne, Kulturvere­ine und die unterschie­dlichen Glaubensei­nrichtunge­n bei der Impfkampag­ne mit ins Boot holen.“

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FOTO: VLADIMIR MENCK/SULUPRESS.DE Teilnehmer einer Corona-Demo in Berlin, die von der Querdenker-Bewegung initiiert wurde.
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