O Tannenbaum...
Du wirst nicht alt im Thüringer Wald: André Kudernatsch entdeckt das tiefgrüne Herz im Selbstversuch
Über den Thüringer Wald gibt es inzwischen mindestens so viele Bücher, wie Bäume in ihm wachsen. Wenn ein Thüringer Autor auf der Suche nach einer thematischen Marktlücke ausgerechnet auf ihn verfällt, verdient allein dieses Vorhaben Respekt. Um dem Thüringer Wald seine letzten Geheimnisse zu entlocken, hat sich Kolumnist André Kudernatsch ins allertiefste Tann geschlagen, wasserwanderte furchtlos auf einem Brett, verlief sich auf uneindeutig beschilderten Wegen und schreckte selbst vor der Konfrontation mit der gastronomischen Lebenswirklichkeit nicht zurück.
„Du wirst nicht alt im Thüringer Wald“: Das titelgebende Resümee mögen viele Thüringer Leser auf den ersten Blick als Stich mitten ins grüne Herz empfinden. Dafür wirft der unbestechliche Blick des Autors Fragen auf, die noch nie jemand zu stellen sich verpflichtet gefühlt hat. Zu Beispiel nach den fünf großen Gefahren des Thüringer Waldes, zu denen neben dem Wetter und fehlendem WLan zweifellos die Natur gehört. Oder die Frage nach den „Big five“, denen man in den lieblichen Wäldern begegnen kann, „Röhnschaf“und „Brätel“eingeschlossen, was für Auerhuhn und Auerhahn wiederum nicht gilt, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Der Leser darf teilhaben an den Erörterungen, welches Repertoire an Liedern sich für eine Wanderung anbieten könnte und erhält wertvolle Hinweise, was auf keinen Fall in den Wanderrucksack gehört. Freunde südthüringer Mundart dürfen gespannt sein auf die neuzeitliche Interpretation von „Rrruedgäbble“, eines bekannten Grimm’schen Klassikers.
In der Summe eine vergnügliche Gebrauchsanleitung für den Thüringer Wald, den man im Übrigen auch aus der Ferne lieben kann. Während man sich zum Beispiel im Homeoffice zum mittäglichen Selbstversorger qualifiziert. Die Ratschläge und Botschaften aus dem Lockdown und anderen häuslichen Untiefen (Wo ist der Weihnachtsbaumständer?)
sind mindestens genauso erhellend, wie die Abenteuer eines Städters im Wald. Es gilt schließlich, möglichst unbeschadet hindurch zu kommen.
Eine Kolumnensammlung, die man getrost auch jenen unter den Tannenbaum legen kann, die meinen schon alles über den Thüringer Wald gelesen zu haben.
Vorausgesetzt natürlich, man findet rechtzeitig zum Heiligabend den Baumständer.