Impfpflicht nur bei besonderer Bedrohungslage
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio hält eine Impfpflicht für möglich – jedoch nicht für alle
Erfurt/Bonn. Wäre eine allgemeine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar? Dieser juristischen Frage stellte sich der Bonner Rechtsprofessor und ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio bei einem Online-Gespräch des Vereins „House of Pharma & Healthcare“mit Hunderten Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet.
Eine Impfung stelle seiner Meinung nach einen „rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff“in die körperliche Unversehrtheit dar. Bei der juristischen Bewertung müssten auch die Bedenken der Impfgegner berücksichtigt werden. Daher brauche der Gesetzgeber einen legitimen Grund. „Droht eine Gesundheitsgefahr von einem solchen Gewicht, dass eine Impfpflicht zu rechtfertigen ist oder aus der Schutzpflichtverantwortung des Staates für Leben und Gesundheit aller Bürger sogar verfassungsrechtlich geboten ist?“, fragte Di Fabio. Dabei komme es stets auf eine konkrete Beurteilung der Bedrohungslage und den akuten Einzelfall an. „Wenn eine Kapazitätsüberlastung des medizinischen Versorgungssystems droht, wenn schwere klinische Verläufe, wenn eine deutliche Zahl von Todesfällen droht, weil empirisch belegt eine erhebliche Bevölkerungszahl nicht geimpft ist, dann kann man eine Impfpflicht rechtfertigen“, so der Jurist.
Allerdings bräuchte es wohl für jede neue Virusvariante auch eine neue Risikoabschätzung. Würde sich die Lage entspannen, könnte sich eine Impfpflicht, die mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden müsste, als unverhältnismäßig erweisen. Das wäre seiner Meinung nach auch der Fall, wenn neue Therapien die Bedrohung abmildern.
Eine Impfpflicht für Kinder erwarte er nicht, sagte Di Fabio. Dies müsse medizinisch beantwortet werden. „Deshalb erwarte ich eine Impfpflicht allenfalls für Erwachsene, vielleicht auch nur für über 50Jährige nach italienischem Vorbild“, so der Jurist. Der Regierung riet er, die Lage zu beobachten und „nichts übers Knie zu brechen“.