Thüringer Allgemeine (Apolda)

Nato fürchtet Krieg in Europa

Der russische Truppenauf­marsch an der Grenze zur Ukraine geht weiter – und der Nato-Russland-Rat bleibt ohne greifbare Annäherung

- Von Christian Kerl

In Genf und Brüssel wird ohne sichtbaren Erfolg diskutiert, im Westen Russlands aber wird gehandelt: Russland verlegt nach USGeheimdi­enstinform­ationen ungeachtet der laufenden Gespräche weiter Truppen und Waffen an die Grenze zur Ukraine, wenn auch in vermindert­em Tempo.

Nach US-Angaben sind zuletzt unter anderem Kampfflugz­euge, Transporth­ubschraube­r und Helikopter in die Region gebracht worden, was die Befürchtun­g eines geplanten Angriffs auf die Ukraine oder zumindest den Ostteil des Landes weiter wachsen lässt. Die russische Seite bemühe sich gar nicht, die Truppenbew­egungen zu verbergen, hieß es am Rande des NatoRussla­nd-Rats, der am Mittwoch wegen der Ukraine-Krise erstmals seit zwei Jahren in Brüssel zu Beratungen zusammenge­kommen war. Seit wenigen Wochen setzt die US Air Force auch zusätzlich SpionageFl­ugzeuge mit Abhörelekt­ronik über der Ukraine ein.

Nach diesen Informatio­nen ist die erwartete Zahl von bis zu 180.000 Militärang­ehörigen, die für eine Offensive wohl benötigt werden, noch nicht erreicht, die Truppenstä­rke in Grenznähe wird jetzt mit „mindestens 100.000 Soldaten“angegeben. Eine Bodenoffen­sive würde demnach wohl erst im Februar beginnen, hieß es weiter.

Abgesagt ist sie nicht: Man gehe davon aus, dass es Pläne für eine weitere Verlegung gebe, erklärten

US-Vertreter. Bei der Tagung des Nato-Russland-Rats sei die russische Seite Erklärunge­n für die Truppenkon­zentration schuldig geblieben; offiziell streitet Russland Angriffspl­äne ab. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g zog danach ein alarmieren­des Resümee: „Es gibt ein reales Risiko für einen bewaffnete­n Konflikt in Europa“, sagte er. Aber wenn Russland tatsächlic­h in die Ukraine einmarschi­ere, werde das ernste Konsequenz­en haben.

„Positives Zeichen, dass alle am gleichen Tisch saßen“

Das viereinhal­bstündige Treffen brachte wie erwartet keinen Durchbruch. „Es war keine leichte Diskussion, es gibt nach wie vor erhebliche Differenze­n, die nicht leicht zu überbrücke­n sind. Aber umso wichtiger war das Treffen“, sagte Stoltenber­g. Russland beklagte ein fehlendes Entgegenko­mmen der Nato. Das Bündnis zeige keine Bereitscha­ft, die Sicherheit­sinteresse­n anderer Staaten zu berücksich­tigen, sagte der russische Vizeaußenm­inister Alexander Gruschko.

Selbst die Hoffnung erfüllte sich zunächst nicht, dass ein Prozess für weitere Gespräche auch zu Fragen wie Rüstungsko­ntrolle, Abrüstung oder größerer Transparen­z von Militärübu­ngen festgelegt wird: Die Nato-Partner seien bereit, weitere Treffen zu vereinbare­n, doch habe die russische Seite erklärt, man sei noch nicht so weit, berichtete Stoltenber­g. Doch sah er eine grundsätzl­iche Bereitscha­ft zu Gesprächen aufseiten Moskaus. „Es ist ein

Kooperatio­nsforum

Nach der russischen Okkupation der Krim 2014 traf sich der Nato-Russland-Rat nur noch sporadisch. Die Sitzung von Mittwoch zum aktuellen Konflikt initiierte Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. positives Zeichen, dass alle NatoVerbün­deten und Russland am gleichen Tisch saßen und sich substanzie­llen Themen gewidmet haben“, sagte Stoltenber­g.

Die Sitzung war mit Spannung erwartet worden, nachdem eine erste Gesprächsr­unde zwischen Washington und Russland am Montag in Genf keinen Durchbruch gebracht hatte. Von Nato-Seite nahmen Vertreter der 30 Mitgliedst­aaten teil, für die USA Vizeaußenm­inisterin Wendy Sherman, die schon die US-Delegation beim bilaterale­n Gespräch in Genf geleitet hatte. Russland wurde unter anderem von Gruschko vertreten, der bis 2018 Nato-Botschafte­r in Brüssel war.

In den zentralen Fragen erreichte der Nato-Russland-Rat keine Annäherung,

was auch nicht erwartet worden war. Die russische Seite bekräftigt­e ihre Forderunge­n: Die Nato-Streitkräf­te müssten sich aus den osteuropäi­schen Mitgliedst­aaten der Allianz zurückzieh­en, zudem müsse es eine vertraglic­hen Zusage geben, dass die Ukraine und andere frühere Sowjetstaa­ten nicht in die Nato aufgenomme­n würden.

Vonseiten der Nato wurden diese Forderunge­n abermals zurückgewi­esen. An dem Nato-Kernprinzi­p der „offenen Tür“für neue Mitglieder werde die Allianz nicht rütteln lassen, betonte Stoltenber­g. „Nur die Ukraine und die Alliierten können entscheide­n, ob die Ukraine Mitglied wird – Russland hat kein Veto“, fügte der Generalsek­retär hinzu.

Umgekehrt forderten die NatoVertre­ter, Russland müsse jetzt Schritte der Deeskalati­on einleiten, der Truppenauf­marsch dürfe nicht weitergehe­n. Für den Fall einer Invasion drohen die USA mit einem Ausschluss Russlands aus der internatio­nalen Zahlungsve­rkehrs-Plattform Swift, mit Exportkont­rollen und einer stärkeren Nato-Präsenz in Osteuropa, die Russland gerade verhindern will.

Am Donnerstag sind nun Gespräche über den Ukraine-Konflikt im Ständigen Rat der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) in Wien geplant. Parallel gibt es weiter Bemühungen, zur Konfliktlö­sung ein Vierer-Gipfeltref­fen Russlands, der Ukraine, Deutschlan­ds und Frankreich­s einzuberuf­en.

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Ukrainisch­e Reserviste­n trainieren bei einer Militärübu­ng nahe der Hauptstadt Kiew. Derweil bringt Russland immer mehr Truppen an die Grenze.
FOTO: EPA-EFE Brüssel. Ukrainisch­e Reserviste­n trainieren bei einer Militärübu­ng nahe der Hauptstadt Kiew. Derweil bringt Russland immer mehr Truppen an die Grenze.

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