Fabrikhalle als Bibliotheksstandort
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr gerät Gothas kostbarer Bücherhort in eine prekäre Lage
Gotha. „Bücher bewegen“soll die große Jubiläumsschau ab April in der herzoglichen Bibliothek auf Gothas Friedenstein heißen. 1647, exakt vor 375 Jahren, installierte Ernst I. am illustren Standort seine Hofbibliothek. Eifrig bauten er und seine Nachfolger den Bücherhort aus, so dass wir ihn heute den kostbarsten in ganz Europa zurechnen.
Trotzdem ist niemandem vor Ort zum Feiern zu Mute. Denn just im Jubeljahr muss die Bibliothek mit einem Großteil ihrer Bestände ausziehen, damit der marode Ostturm des Schlosses saniert werden kann (wir berichteten). So erhält „Bücher bewegen“eine prekäre Doppelbödigkeit: nicht nur, weil der Umzug mit 8200 Regalmetern historischer Bücher eine heikle Logistik erfordert. Sondern erst recht, weil der provisorische Zustand in einer Fabrikhalle nahe Gotha über Jahre den Betrieb beeinträchtigen wird.
Keine schnelle Lösung der Misere Schlimmer noch: Nur ein Teil des Bestands wird an Ort und Stelle zurückkehren dürfen, um den Turm nicht abermals statisch zu überlasten – für Fachleute wie Bücherfexe ist diese Aussicht desaströs. Indes unternimmt die Leitung der Universität Erfurt, die seit 1999 den Bücherschatz verwaltet, gar nichts, um öffentlich auf die Misere der kostbaren Forschungsbibliothek hinzuweisen oder für Abhilfe zu werben.
Zum Glück gibt’s in Gotha einen Oberbürgermeister Knut Kreuch. Er hat Gefahr im Verzuge erkannt, fordert einen Bibliotheksneubau und eine Neuorganisation des Friedensteins – Motto: Alles in eine Hand. Seit zwei Monaten gibt es auf diese Initiative hin ein einvernehmliches Positionspapier von Stiftung Schloss Friedenstein und Uni Erfurt. Das setzt abermals behäbige Prozesse in Gang. Staatskanzlei und Wissenschaftsministerium gründen einen Lenkungsausschuss mit allen Beteiligten, der sich kommende Woche zum ersten Mal trifft.
Für die Nöte der Forschungsbibliothek bringt das gewiss keine rasche Lösung. „Im Augenblick ist das nicht unsere Baustelle, sondern die der Universität“, sagt Tobias PfeiferHelke vorsichtig. Den Direktor der
Stiftung Schloss Friedenstein plagen gerade andere Sorgen, er droht Opfer eigener Erfolge zu werden.
Denn 5 Millionen Euro regulärem Etat stehen dieses Jahr 9 Millionen Euro an eingeworbenen Drittmitteln gegenüber. So muss PfeiferHelke zunächst das eigene Wachstum sortieren und holt sich dazu Spezialisten von der Münchner actori-Unternehmensberatung ins Haus. Dass die eigentlich gleich die künftig neue Friedenstein-Stiftung mit Sammlungen, Museen, Bibliothek und Liegenschaften unter einem Dach organisieren könnten, kommentiert er wohlweislich nicht.
Gleichwohl ist ihm klar, dass ein solcher Strukturprozess binnen ein oder zwei Jahren zu absolvieren wäre; nur eine neue Bauverwaltung, die die Gothaer Aufgaben der Thüringer
Schlösserstiftung aus Rudolstadt reibungsfrei übernähme, würde nach seiner Auffassung drei, vier Jahre länger benötigen.
Neubau kostet 20 Millionen Euro Pfeifer-Helke sieht, wie im Positionspapier skizziert, für die Bibliothek einen Magazin-Neubau als ideale Lösung an. Die mutmaßlich 20 bis 30 Millionen Euro für einen zweckmäßigen Hochbau direkt neben dem Perthesforum müssten zwar erst „gefunden“werden, aber dann könnte sich dieser Traum nach modernen Standards sogar schneller erfüllen, als der Friedenstein-Ostturm saniert ist.
Doch offenbar übt Pfeifer-Helke sich in Diplomatie, will politische Entscheidungsträger nicht unter Druck setzen und die Atmosphäre auf Friedenstein nicht stören. Jahrelang war man zwischen Stiftung und Universität einander nicht gerade grün... Nun verzichtet PfeiferHelke auf eine eigene Jahresausstellung 2022, macht der „Bücher bewegen“-Schau keine Konkurrenz.
Vielmehr kooperiert er mit dem Gothaer Forschungszentrum der Uni Erfurt, um Herzog Emil Augusts zum 250. Geburtstag zu gedenken. Professor Martin Mulsow organisiert eine Tagung, Pfeifer-Helke eine Ausstellung über den feingeistigen Regenten, dessen erotomane Sonderheiten und transvestitistische Neigungen in Tagen der Gender-Correctness gewiss überregional Aufmerksamkeit finden.
www.uni-erfurt.de/ forschungsbibliothek-gotha