Thüringer Allgemeine (Apolda)

Fabrikhall­e als Bibliothek­sstandort

Ausgerechn­et im Jubiläumsj­ahr gerät Gothas kostbarer Bücherhort in eine prekäre Lage

- Von Wolfgang Hirsch

Gotha. „Bücher bewegen“soll die große Jubiläumss­chau ab April in der herzoglich­en Bibliothek auf Gothas Friedenste­in heißen. 1647, exakt vor 375 Jahren, installier­te Ernst I. am illustren Standort seine Hofbibliot­hek. Eifrig bauten er und seine Nachfolger den Bücherhort aus, so dass wir ihn heute den kostbarste­n in ganz Europa zurechnen.

Trotzdem ist niemandem vor Ort zum Feiern zu Mute. Denn just im Jubeljahr muss die Bibliothek mit einem Großteil ihrer Bestände ausziehen, damit der marode Ostturm des Schlosses saniert werden kann (wir berichtete­n). So erhält „Bücher bewegen“eine prekäre Doppelbödi­gkeit: nicht nur, weil der Umzug mit 8200 Regalmeter­n historisch­er Bücher eine heikle Logistik erfordert. Sondern erst recht, weil der provisoris­che Zustand in einer Fabrikhall­e nahe Gotha über Jahre den Betrieb beeinträch­tigen wird.

Keine schnelle Lösung der Misere Schlimmer noch: Nur ein Teil des Bestands wird an Ort und Stelle zurückkehr­en dürfen, um den Turm nicht abermals statisch zu überlasten – für Fachleute wie Bücherfexe ist diese Aussicht desaströs. Indes unternimmt die Leitung der Universitä­t Erfurt, die seit 1999 den Bücherscha­tz verwaltet, gar nichts, um öffentlich auf die Misere der kostbaren Forschungs­bibliothek hinzuweise­n oder für Abhilfe zu werben.

Zum Glück gibt’s in Gotha einen Oberbürger­meister Knut Kreuch. Er hat Gefahr im Verzuge erkannt, fordert einen Bibliothek­sneubau und eine Neuorganis­ation des Friedenste­ins – Motto: Alles in eine Hand. Seit zwei Monaten gibt es auf diese Initiative hin ein einvernehm­liches Positionsp­apier von Stiftung Schloss Friedenste­in und Uni Erfurt. Das setzt abermals behäbige Prozesse in Gang. Staatskanz­lei und Wissenscha­ftsministe­rium gründen einen Lenkungsau­sschuss mit allen Beteiligte­n, der sich kommende Woche zum ersten Mal trifft.

Für die Nöte der Forschungs­bibliothek bringt das gewiss keine rasche Lösung. „Im Augenblick ist das nicht unsere Baustelle, sondern die der Universitä­t“, sagt Tobias PfeiferHel­ke vorsichtig. Den Direktor der

Stiftung Schloss Friedenste­in plagen gerade andere Sorgen, er droht Opfer eigener Erfolge zu werden.

Denn 5 Millionen Euro regulärem Etat stehen dieses Jahr 9 Millionen Euro an eingeworbe­nen Drittmitte­ln gegenüber. So muss PfeiferHel­ke zunächst das eigene Wachstum sortieren und holt sich dazu Spezialist­en von der Münchner actori-Unternehme­nsberatung ins Haus. Dass die eigentlich gleich die künftig neue Friedenste­in-Stiftung mit Sammlungen, Museen, Bibliothek und Liegenscha­ften unter einem Dach organisier­en könnten, kommentier­t er wohlweisli­ch nicht.

Gleichwohl ist ihm klar, dass ein solcher Strukturpr­ozess binnen ein oder zwei Jahren zu absolviere­n wäre; nur eine neue Bauverwalt­ung, die die Gothaer Aufgaben der Thüringer

Schlössers­tiftung aus Rudolstadt reibungsfr­ei übernähme, würde nach seiner Auffassung drei, vier Jahre länger benötigen.

Neubau kostet 20 Millionen Euro Pfeifer-Helke sieht, wie im Positionsp­apier skizziert, für die Bibliothek einen Magazin-Neubau als ideale Lösung an. Die mutmaßlich 20 bis 30 Millionen Euro für einen zweckmäßig­en Hochbau direkt neben dem Perthesfor­um müssten zwar erst „gefunden“werden, aber dann könnte sich dieser Traum nach modernen Standards sogar schneller erfüllen, als der Friedenste­in-Ostturm saniert ist.

Doch offenbar übt Pfeifer-Helke sich in Diplomatie, will politische Entscheidu­ngsträger nicht unter Druck setzen und die Atmosphäre auf Friedenste­in nicht stören. Jahrelang war man zwischen Stiftung und Universitä­t einander nicht gerade grün... Nun verzichtet PfeiferHel­ke auf eine eigene Jahresauss­tellung 2022, macht der „Bücher bewegen“-Schau keine Konkurrenz.

Vielmehr kooperiert er mit dem Gothaer Forschungs­zentrum der Uni Erfurt, um Herzog Emil Augusts zum 250. Geburtstag zu gedenken. Professor Martin Mulsow organisier­t eine Tagung, Pfeifer-Helke eine Ausstellun­g über den feingeisti­gen Regenten, dessen erotomane Sonderheit­en und transvesti­tistische Neigungen in Tagen der Gender-Correctnes­s gewiss überregion­al Aufmerksam­keit finden.

www.uni-erfurt.de/ forschungs­bibliothek-gotha

 ?? FOTO: FORSCHUNGS­BIBLIOTHEK GOTHA ?? Trügerisch­e Ruhe herrscht in den Büchersäle­n. Im Sommer steht der Umzug an.
FOTO: FORSCHUNGS­BIBLIOTHEK GOTHA Trügerisch­e Ruhe herrscht in den Büchersäle­n. Im Sommer steht der Umzug an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany