Die Grande Nation auf dem Seziertisch
Frankreichs Star-Provokateur Michel Houellebecq leidet in „Vernichten“erneut an der Zukunft
Paris. Frankreich im Wahljahr 2027: Im Rennen um die Spitze des französischen Staates liegen die Kandidaten der gemäßigten Regierungspartei und der rechtsextremen Rassemblement National. Ein Anschlag auf ein Migrantenschiff mit 500 Toten ändert schlagartig die Situation – zuungunsten der Rechtspopulisten.
In seinem neuen Buch „Vernichten“seziert Michel Houellebecq wieder den Zeitgeist. Doch seine Vision von der Welt und den Menschen ist diesmal weniger zynisch und provokativ, weniger düster. Einige französische Kritiker warfen dem sonst so verlässlichen Provokateur sogar vor, banal geworden zu sein.
„Vernichten“ist der achte Roman des heute 65-Jährigen. Unter dem Titel „Anéantir“ist er in Frankreich am 7. Januar erschienen. Im Mittelpunkt des über 600 Seiten langen Werks steht Paul Raison, der beim französischen Finanzministers Bruno Juge arbeitet. Dieser weist große Ähnlichkeit mit Bruno Le Maire auf, dem aktuellen Ressortchef.
Paul Raison ist ein typischer HouellebecqAntiheld, lebens- und liebesmüde, den kein Happ End erwartet. Der Roman beginnt als Spionageroman. Videos von Anschlägen werden von Hackern im Internet verbreitet, die Geheimdienste tappen im Dunkeln. Wie in allen seinen Büchern zeichnet Houellebecq ein Porträt unserer Zeit: Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft, Handelskrieg zwischen Amerika und China, Arbeitslosigkeit, zunehmender Rassismus. Und wieder übt er Kritik an der glo- balisierten, fortschrittsorientierten Gesellschaft.
Der Autor hat seine Melancholie nicht verloren, auch nicht seine Be- obachtungsgabe unserer Zeit. Seit „Unterwerfung“schockiert er aber weniger. In dem 2015 veröffentlich- ten Roman geht es um Frankreich im Jahr 2022 unter der Flagge des Is- lams. Das sorgte damals, im Jahr der verheerenden islamistischen Anschläge in Paris, für Zündstoff.