Thüringer Allgemeine (Apolda)

Erschlafft­er Elan

Nach einem sehr geschäftig­en Jahr 2020 hat der Landtag zuletzt deutlich weniger Gesetze diskutiert

- Von Martin Debes

Erfurt. Das parlamenta­rische Getöse nimmt zu. Der Landesetat für das laufende Jahr soll endlich verabschie­det werden. Da der rot-rot-grünen Regierung die Mehrheit im Landtag fehlt, muss sie sich wieder mit der CDU einigen. Oder eben mit der FDP. Es ist, wie so häufig seit der Landtagswa­hl im Herbst 2019, ein ziemlicher Krampf.

Schon in den vergangene­n beiden Jahren schien die Minderheit­ssituation das Parlament zeitweise zu lähmen, wobei die Pandemie diesen Eindruck noch verstärkte. Doch stimmt dieser Eindruck? Wie sieht die Bilanz tatsächlic­h aus?

Die überrasche­nde Antwort lautet: zumindest statistisc­h ganz gut, wenn man die Übersicht betrachtet, die die Landtagsve­rwaltung auf Anfrage dieser Zeitung erstellte.

Ausgerechn­et 2020, im Jahr der Kemmerich-Übergangsr­egierung und der Ankunft des Coronaviru­s, wurden 81 Gesetzentw­ürfe gezählt. Das ist im Vergleich der vergangene­n zehn Jahre ein Rekord. So wurden etwa im ersten Regierungs­jahr von Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) nur 44 Initiative­n gezählt. Auch in den anderen Jahren waren es nur zwischen 40 und 63.

Mit 24 Entwürfen war die rot-rotgrüne Minderheit­skoalition 2020 am aktivsten. Es folgte die zugehörige Landesregi­erung mit 17 – und gleich danach die CDU mit 16. Die kleine FDP-Fraktion war für zwölf Gesetzentw­ürfe verantwort­lich, die AfD für acht eigene. Hinzu kamen einige separate Entwürfe der Koalitions­fraktionen und eine gemeinsame Gesetzesin­itiative von Rot-RotGrün mit der CDU. So hoch die Zahl der Entwürfe waren, so übersichtl­ich wirkt die Erfolgsquo­te. Nur 30 der Gesetze (37 Prozent) wurden verabschie­det und traten in Kraft. Dabei fanden einige rot-rotgrüne Entwürfe keine Mehrheit.

Und dennoch: Die Anzahl der am Ende beschlosse­nen Gesetze ordnete sich durchaus in die Bilanz der früheren Mehrheitsk­oalitionen ein. Die Zahlen der vergangene­n Dekade schwanken zwischen 24 im Jahr 2012 und 49 im Jahr 2019.

Die zentrale Erklärung dafür ist der Stabilität­spakt, die Rot-RotGrün und die CDU kurz vor der Wiederwahl Ramelows im März 2020 schlossen. Sie vereinbart­en, nicht im Landtag gegeneinan­der abzustimme­n, um der AfD die Luft für strategisc­he Manöver wie bei der Inthronisi­erung Kemmerichs zu nehmen. Zudem bestand wegen der Pandemie – etwa beim beschlosse­nen Hilfsfonds – akuter Handlungsb­edarf.

Trotzdem ernüchtert der genauere Blick auf die Statistik. Neben einigen wichtigen Gesetzen wie dem Landesetat für 2021, Corona-bedingten Initiative­n und Novellen des Heilberufe­gesetzes oder der Bauordnung findet sich manch formaler Kleinkram wie das „Erste Gesetz zur Änderung des Brexit-Übergangsg­esetzes“oder die Anpassung von Staatsvert­rägen.

Für größere Reformen fehlte in der doppelten Ausnahmesi­tuation schlicht die Kraft. Es wurde viel verwaltet und wenig gestaltet.

Zumal, im zweiten Jahr der Minderheit­skoalition erschlafft­e der Elan messbar. CDU, AfD, FDP und Rot-Rot-Grün starteten jeweils nur noch sechs Initiative­n, von der Landesregi­erung kamen 14 Entwürfe. Ein Gesetz brachte die Koalition gemeinsam mit der CDU ein.

Überhaupt wurden dank der Kooperatio­n durchaus Gesetze verabschie­det, die ursprüngli­ch von der CDU stammten. Ein Bespiel dafür ist die Novelle der Kommunalor­dnung.

Insgesamt aber wirke 2021 das Ergebnis mit 26 verabschie­deten Gesetzen übersichtl­ich. Dies dürfte auch daran liegen, dass sich die Landespart­eien die erste Jahreshälf­te bereits im Wahlkampf wähnten. Als dann im Juli der Neuwahl-Plan scheiterte, erklärte die CDU ihren Pakt mit Rot-Rot-Grün für beendet – was endgültig eine Phase der Stagnation einzuleite­n scheint.

Doch wer weiß. Die CDU hat an ihre Haushaltsz­ustimmung mehrere andere ihrer Gesetzesvo­rhaben geknüpft. Diese Bedingunge­n lehnte Rot-Rot-Grün zwar bislang vehement ab. Aber am Ende benötigt die Koalition vier Stimmen.

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