Erschlaffter Elan
Nach einem sehr geschäftigen Jahr 2020 hat der Landtag zuletzt deutlich weniger Gesetze diskutiert
Erfurt. Das parlamentarische Getöse nimmt zu. Der Landesetat für das laufende Jahr soll endlich verabschiedet werden. Da der rot-rot-grünen Regierung die Mehrheit im Landtag fehlt, muss sie sich wieder mit der CDU einigen. Oder eben mit der FDP. Es ist, wie so häufig seit der Landtagswahl im Herbst 2019, ein ziemlicher Krampf.
Schon in den vergangenen beiden Jahren schien die Minderheitssituation das Parlament zeitweise zu lähmen, wobei die Pandemie diesen Eindruck noch verstärkte. Doch stimmt dieser Eindruck? Wie sieht die Bilanz tatsächlich aus?
Die überraschende Antwort lautet: zumindest statistisch ganz gut, wenn man die Übersicht betrachtet, die die Landtagsverwaltung auf Anfrage dieser Zeitung erstellte.
Ausgerechnet 2020, im Jahr der Kemmerich-Übergangsregierung und der Ankunft des Coronavirus, wurden 81 Gesetzentwürfe gezählt. Das ist im Vergleich der vergangenen zehn Jahre ein Rekord. So wurden etwa im ersten Regierungsjahr von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nur 44 Initiativen gezählt. Auch in den anderen Jahren waren es nur zwischen 40 und 63.
Mit 24 Entwürfen war die rot-rotgrüne Minderheitskoalition 2020 am aktivsten. Es folgte die zugehörige Landesregierung mit 17 – und gleich danach die CDU mit 16. Die kleine FDP-Fraktion war für zwölf Gesetzentwürfe verantwortlich, die AfD für acht eigene. Hinzu kamen einige separate Entwürfe der Koalitionsfraktionen und eine gemeinsame Gesetzesinitiative von Rot-RotGrün mit der CDU. So hoch die Zahl der Entwürfe waren, so übersichtlich wirkt die Erfolgsquote. Nur 30 der Gesetze (37 Prozent) wurden verabschiedet und traten in Kraft. Dabei fanden einige rot-rotgrüne Entwürfe keine Mehrheit.
Und dennoch: Die Anzahl der am Ende beschlossenen Gesetze ordnete sich durchaus in die Bilanz der früheren Mehrheitskoalitionen ein. Die Zahlen der vergangenen Dekade schwanken zwischen 24 im Jahr 2012 und 49 im Jahr 2019.
Die zentrale Erklärung dafür ist der Stabilitätspakt, die Rot-RotGrün und die CDU kurz vor der Wiederwahl Ramelows im März 2020 schlossen. Sie vereinbarten, nicht im Landtag gegeneinander abzustimmen, um der AfD die Luft für strategische Manöver wie bei der Inthronisierung Kemmerichs zu nehmen. Zudem bestand wegen der Pandemie – etwa beim beschlossenen Hilfsfonds – akuter Handlungsbedarf.
Trotzdem ernüchtert der genauere Blick auf die Statistik. Neben einigen wichtigen Gesetzen wie dem Landesetat für 2021, Corona-bedingten Initiativen und Novellen des Heilberufegesetzes oder der Bauordnung findet sich manch formaler Kleinkram wie das „Erste Gesetz zur Änderung des Brexit-Übergangsgesetzes“oder die Anpassung von Staatsverträgen.
Für größere Reformen fehlte in der doppelten Ausnahmesituation schlicht die Kraft. Es wurde viel verwaltet und wenig gestaltet.
Zumal, im zweiten Jahr der Minderheitskoalition erschlaffte der Elan messbar. CDU, AfD, FDP und Rot-Rot-Grün starteten jeweils nur noch sechs Initiativen, von der Landesregierung kamen 14 Entwürfe. Ein Gesetz brachte die Koalition gemeinsam mit der CDU ein.
Überhaupt wurden dank der Kooperation durchaus Gesetze verabschiedet, die ursprünglich von der CDU stammten. Ein Bespiel dafür ist die Novelle der Kommunalordnung.
Insgesamt aber wirke 2021 das Ergebnis mit 26 verabschiedeten Gesetzen übersichtlich. Dies dürfte auch daran liegen, dass sich die Landesparteien die erste Jahreshälfte bereits im Wahlkampf wähnten. Als dann im Juli der Neuwahl-Plan scheiterte, erklärte die CDU ihren Pakt mit Rot-Rot-Grün für beendet – was endgültig eine Phase der Stagnation einzuleiten scheint.
Doch wer weiß. Die CDU hat an ihre Haushaltszustimmung mehrere andere ihrer Gesetzesvorhaben geknüpft. Diese Bedingungen lehnte Rot-Rot-Grün zwar bislang vehement ab. Aber am Ende benötigt die Koalition vier Stimmen.