Thüringen künftig ohne Feuerwehrtaucher
Stadt Gera dreht der Einsatzgruppe den Geldhahn zu. Land setzt auf Ehrenamtliche
Gera. Am 31. Dezember war Schluss. 14 Taucher der Berufsfeuerwehr Gera wurden endgültig außer Dienst gestellt. Künftig sind sie nur noch „normale“Feuerleute. Die letzte professionelle Rettungstauchergruppe Thüringens stellt damit die Arbeit ein.
Beim Innenministerium verweist man auf die Stadt Gera. Die bislang von deren Berufsfeuerwehr unterhaltene Tauchergruppe habe in Thüringen die Aufgabe „Tauchen“in Bereichen der örtlichen und überörtlichen Wasserrettung sowie im Katastrophenschutz erfüllt, heißt es auf Nachfrage. Allerdings hatten in Gera eine parteiübergreifende AG Feuerwehr und letztlich der Stadtrat schon im Frühjahr 2019 einem neuen Bedarfs- und Entwicklungsplan für den Brandschutz beschlossen. Der legte auch fest, dass die Tauchergruppe aus Gründen der „Personalreduzierung“schnellstmöglich aufgelöst werden solle. Die Gründe der Auflösung fielen damit in die Organisationshoheit der Stadt, so das Innenministerium. Aus der Stadt wiederum heißt es, das Land habe nicht auskömmlich mitfinanziert und zudem wenig Interesse an der Fortführung in Gera gezeigt. Lediglich zur „übergangsmäßigen Sicherstellung der Fachaufgabe Tauchen im Katastrophenschutz bis 31.12.2021“sei Gera seinerzeit noch aufgefordert worden. Diese Frist ist nun abgelaufen. Die Aufgaben sollen Ehrenamtliche übernehmen.
In seinem Wohnzimmer blättert Jörg Haußner in Fotoalben. Mit ihm erinnern sich Bernd Rapp und Andreas Weiss. Alle drei haben die Tauchergruppe mal geleitet. Rapp war von 1981 bis 2019 dabei, Weiss von 1982 bis 2016. Haußner kam 1992 zur Feuerwehr, 1995 zur Tauchereinsatzgruppe und war ihr letzter Chef. Die Auflösungsentscheidung sei aus Kostengründen gefallen, eine Einigung über eine alternative Finanzierung durch das Land nicht zustande gekommen, sagen sie.
38.000 Euro für neue Trockentauchanzüge und Tauchcomputer
62 Jahre lang gibt es die Tauchereinsatzgruppe. Zu DDR-Zeiten war sie für die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl zuständig. Für nicht wenige sei sie Motivation gewesen, zur Feuerwehr zu gehen. Die gesundheitlichen Vorgaben sind streng, Ausbildung und Qualifikation anspruchsvoll. „Einen dienstlichen Anreiz dafür, in unsichtigen, tiefen Gewässern nach Vermissten zu tauchen, gab es nie. Eine Würdigung leider ebenso wenig. Die Tauchergruppe lebte vom persönlichen Enthusiasmus jedes Einzelnen“, sagt Haußner. Jeder Taucher komme auf bis zu 100 zusätzliche Stunden pro Jahr für Einsätze, Ausbildungs- und Trainingslager. Die Überstunden seien wohl mit ein Grund dafür, dass die Verantwortlichen einen Schlussstrich ziehen. Ein weiterer die Kosten für die Tauchausrüstungen. Gerade erst waren Trockentauchanzüge und Tauchcomputer angeschafft worden. Kosten: 38.000 Euro, aufgebracht vom Landesverwaltungsamt. 200.000 Euro bräuchte es jährlich, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Die zuletzt häufig klamme
Stadt Gera will sie nicht mehr bezahlen, das Land auch nicht.
Dabei hatten die Taucher immer gut zu tun. Feuerwehrtaucher sichern Gewässer in Not- und Katastrophenlagen. Sie tauchen nach Verunglückten oder Vermissten, suchen nach versunkenen Autos, Gefahrgutbehältern oder versenktem Diebesgut, und das in bis zu 40 und mehr Metern Tiefe. Schon wenige Meter unter der Oberfläche herrsche pechschwarze Nacht. Getaucht werde bei jedem Wetter, jeder Temperatur. Die Geraer Truppe war gefragt bei Sicherungsarbeiten an Talsperrenanlagen, auch über die Landesgrenzen hinaus. Bernd Rapp musste mal die Kalaschnikow eines Deserteurs der DDR-Grenztruppen aus der Werra holen.
Mit am härtesten war das Bergen von Leichen oder Tierkadavern. Während des Hochwassers 2013 fuhren die Geraer Feuerwehrleute durch die überfluteten Gemeinden und holten Eingesperrte aus ihren Häusern. Drei der 14 Geraer sind als Notfallsanitäter qualifiziert, zwei als Rettungsassistenten. Mit dem Aus für die eingespielte Truppe werde auf die fundierte Ausbildung der Kameraden verzichtet, klagen Haußner und Kollegen.
Der Katastrophenschutz im Bereich Tauchen soll laut Aufstellungserlass des Landesverwaltungsamtes künftig von der Stadt Erfurt und dem Landkreis Nordhausen wahrgenommen werden. Dort stünden Taucher der DLRG beziehungsweise des DRK bereit, beides private Hilfsorganisationen. Während der zweijährigen Übergangszeit hätten sie Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Zwei Jahre, in denen Tauchgruppen-Chef Haußner die Hoffnung nie aufgab, dass noch etwas zu retten sein würde. Gescheitert sei es nach seinem Empfinden an politischen Interessen und Kompromisslosigkeit. Jahrzehntelange Erfahrung lasse sich nicht ohne Weiteres ersetzen, glauben Haußner, Rapp und Weiss. Darüber müssten sich in Thüringen jetzt allerdings andere Gedanken machen.