Diese Freundschaft trotzt dem Krieg
In Afghanistan hat ein Bundeswehrsoldat mit einer afghanischen Ortskraft eng zusammengearbeitet. Reporter Jan Jessen führt beide in Deutschland zusammen
Essen. Es ist ein karger Wintertag auf einem Spielplatz. Trotz der Kälte klettern die Kinder auf den Geräten, lachen. Zwei Männer stehen beieinander, der eine klein, kräftig, mit schwarzen Haaren, der andere schlank, militärisch kurzer Haarschnitt. Sie sprechen über die Zeit damals, in der ihre Leben ineinander verwoben wurden, lächeln, als sie über gemeinsame Bekannte sprechen, sie schauen ernst, als die Sprache auf die Toten kommt. Ich stehe daneben und freue mich über diese Begegnung zwischen Mahmood, dem Mann aus Afghanistan, und Andreas, dem deutschen Soldaten mit der verwundeten Seele.
Juni 2021. In einem Reihenhaus in Bonn-Beuel öffnet Oberstabsfeldwebel a. D. Andreas Eggert im Wohnzimmer die Blechkiste, in der er die Erinnerungen an Afghanistan aufbewahrt. Ein paar Medaillen, Bilder, ein großes Messer, das einem Gotteskrieger gehört hat.
Eggert ist 45 und war zwischen 2006 und 2013 siebenmal in Afghanistan. Er arbeitete in Kundus, Faizabad und Masar-i-Scharif für den militärischen Abschirmdienst, war für die Beschaffung von Informationen zuständig. Einheimische Informanten wurden Vertraute, Freunde. Manche dieser Menschen überlebten nicht. Er musste Videos auswerten, auf denen zu sehen war, wie Informanten von den Taliban zu Tode gefoltert wurden, nachdem sie ihn zuvor angefleht hatten, sie zu schützen, weil sie aufgeflogen waren. Er hatte diese Bitten um Schutz vergeblich an Vorgesetzte weitergegeben. „Das hat mich mitgenommen“, sagt Eggert. Er ist empört über den Umgang der Bundesregierung mit den Menschen, die als Ortskräfte für Deutschland gearbeitet haben und nun im Stich gelassen werden.
August 2021. Die Bundeswehr hat Afghanistan verlassen. Ich bin vor Ort in der Hauptstadt Kabul, mit Mitarbeiterinnen des Friedensdorfs International, einer Hilfsorganisation aus Oberhausen und Dinslaken, die verletzte und kranke Kinder zur Behandlung aus Afghanistan nach Deutschland holt. In den letzten Tagen und Wochen haben die Taliban in einer Großoffensive weite Teile des Landes eingenommen. Als wir abgeflogen sind, ist die Stadt Kundus gefallen, in deren Nähe bis November 2020 Bundeswehrsoldaten stationiert waren.
Ich lerne Mahmood Khanjan aus Kundus kennen. Er ist 42, Ehemann, Vater von sechs Kindern. Khanjan erzählt mir, dass er zwischen 2003 und 2011 für die Deutschen gearbeitet hat, für die Bundeswehr und für ein Unternehmen, das militärische Einrichtungen gebaut hat. Er hat Angst vor der Zukunft. „Die Taliban haben mich schon vor ein paar Jahren an einem Checkpoint angehalten. Sie wissen, dass ich für die Ausländer gearbeitet habe.“Seine fünf ältesten Kinder sind Mädchen. Er will nicht, dass sie in einem Land aufwachsen müssen, in dem Frauen entrechtet werden. Anfang August ist sein Haus in Kundus zerstört worden, dabei sind auch viele Dokumente verloren gegangen. An seine Zeit bei der Bundeswehr erinnern nur Aufnahmen von verblichenen Fotos, auf denen er mit deutschen Soldaten zu sehen ist. Die vergangenen zehn Tage hat Mahmood mit der Familie mit Tausenden
anderen Flüchtlingen in einem Park in Kabul verbracht.
Am 15. August nehmen die Taliban die Hauptstadt praktisch kampflos ein. Westliche Staaten richten eine Luftbrücke ein, um ihre Bürger und gefährdete Afghanen aus dem Land zu bringen. Zwei Tage nach der Machtübernahme kommen wir raus aus Kabul. Ich habe zuvor die Daten von Mahmood Khanjan mit der Bitte um Hilfe an das Auswärtige Amt geschickt. Auf die Mails gibt es keine Antwort.
Mahmood Khanjan kommt am Freitag, 20. August, mit seiner Familie zum Flughafen. Vor dem Zugangstor herrscht Chaos, Tausende Menschen wollen in den Flughafen. Khanjan schickt immer wieder Sprachnachrichten, sie werden von Tag zu Tag hoffnungsloser.
In der Zeit telefoniere ich mit Andreas Eggert, schicke ihm Bilder von Khanjan. „Der hat mal bei mir gesessen“, sagt er. Auch er schreibt das Auswärtige Amt an, auch er erhält keine Antwort, er spricht mit einem befreundeten Stabsoffizier im MAD-Amt, bittet ihn um Rat.
„Die Taliban haben mich schon vor ein paar Jahren an einem Checkpoint angehalten. Sie wissen, dass ich für die Ausländer gearbeitet habe.“
Mahmood Khanjan
„Ich bin so dankbar, dass Mahmood in Sicherheit ist“
Am Montag klingelt mein Telefon. Am anderen Ende ist ein Bundeswehrsoldat. Ich bitte ihn eindringlich, die Khanjans hereinzuholen. Kurz danach wird die Familie zum Flughafen beordert. Am nächsten Tag schickt der 42-Jährige ein Bild vom Frankfurter Flughafen. Sie haben es geschafft. Und dann stehen sich Mahmood Khanjan und Andreas Eggert vor der Flüchtlingsunterkunft im niederrheinischen Viersen gegenüber. Sie umarmen sich. „Wie geht es dir?“, fragt Eggert. „Mir geht es gut“, sagt Khanjan. Er erzählt, dass er einen Asylantrag gestellt hat. Und dann spazieren sie mit der Familie zum Spielplatz.
„Das war ein ganz, ganz tolles Gefühl“, sagt Eggert nach dem Treffen. Da sei „so viel Dankbarkeit, dass es funktioniert hat, Mahmood und seine Familie in Sicherheit zu bringen“. Mahmood Khanjan sagt nach dem Treffen: „Dass er mich erkannt hat, das hat mir sehr gut getan, das hat mich sehr gefreut.“
Und für mich, den Reporter, war diese Begegnung einer der schönsten Momente zum Jahresende.