„Nicht immer gleich Staatskrise“
Linke-Fraktionschef Dittes über Koalition, Haushalt und Corona-Proteste
Erfurt. Steffen Dittes ist Vorsitzender der Linke-Fraktion im Landtag. Der 48-Jährige hat zurzeit jede Menge damit zu tun, das mitunter zerstrittene rot-rot-grüne Minderheitenbündnis zusammenzuhalten.
Herr Dittes, wird die Minderheitskoalition bis zum regulären Ende der Legislatur 2024 halten?
Wir haben aus den bekannten und guten Gründen versucht, im vergangenen Jahr Neuwahlen anzustreben. Wir sind damit gescheitert. Jetzt müssen wir unsere Arbeit machen. Ob sich bis 2024 noch einmal ein Zeitfenster öffnet, durch eine Neuwahl wieder zu klassischen Mehrheitskonstellationen zu kommen, will ich nicht ausschließen. Aber zurzeit gibt es dafür keine Anzeichen. Es gibt eine handlungsfähige Landesregierung, die ihre Arbeit macht.
Ihr Ernst? SPD-Innenminister Georg Maier hat gerade erst wieder die Arbeit des linken Bildungsministers Helmut Holter kritisiert. Aus den vergangenen Wochen und Monaten gibt es jede Menge Beispiele, die auf ein zerrüttetes rot-rot-grünes Verhältnis schließen lassen. Der Innenminister ist nicht ohne Grund in einer anderen Partei als ich. Und natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber die sollten Sie nicht immer gleich als Staatskrise deuten. Wir haben als Minderheitenbündnis etliche Gesetze beschlossen und sind handlungsfähig. Das ist doch das, was zählt. Auch wenn ein Bündnis aus drei unterschiedlichen Parteien nie zu einer politischen Einheit verschmelzen wird, hat Rot-Rot-Grün doch ein großes Maß an Gemeinsamkeiten.
Dann sind die jüngsten Vorwürfe für Sie nachvollziehbar gewesen? Dort, wo man sich geirrt oder etwas falsch eingeschätzt hat, kann man das zugeben. Der Ministerpräsident hat deshalb ja auch im Landtag für Fehler beim Pandemiemanagement der Landesregierung um Verzeihung gebeten. Aber was mich bei SPD-Innenminister Maier geärgert hat, ist, dass er bei seiner aktuellen Äußerung den Eindruck erweckt hat, er sei ein unbeteiligter Dritter. Das ist er nämlich nicht. Er ist Teil der Landesregierung und die trifft und trägt gemeinsam Entscheidungen.
Haben Sie Ihren Parteifreund Holter intern kritisiert?
Jeder von uns hätte in den vergangenen 20 Monaten manche Entscheidung sicher anders getroffen. Die Korrektur beim Distanz- und Präsenzunterricht beispielsweise war richtig, aber aufgrund des bundesrechtlichen Vorbehaltes unglücklich kommuniziert. Das hat Helmut Holter, den ich für einen sehr guten Bildungsminister halte, auch in einem Interview sehr offen und ehrlich eingeräumt.
Streit gibt es nun auch um den Haushaltsentwurf. CDU und FDP, auf die ihr Minderheitsbündnis angewiesen ist, wollen die aktuelle Fassung so nicht mittragen.
Ich halte den Entwurf insgesamt für ausgewogen. Auch wir als Linke haben noch Änderungsbedarf angemeldet, aber ohne das Etatvolumen verändern zu wollen. Ich bin überzeugt, dass wir im Februar den Haushalt im Landtag mit einer Mehrheit verabschieden werden. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Besonders in Krisenzeiten sollten die demokratischen Fraktionen sich dessen bewusst sein und an einem Strang ziehen.
Können Sie die Thüringer verstehen, die zu Tausenden auf die Straße gehen, um gegen die CoronaMaßnahmen zu protestieren?
Was ich nachvollziehen kann und richtig finde, ist, dass man Kritik öffentlich äußern können muss. Dafür gibt es die Meinungs- und die
Versammlungsfreiheit. Und es macht Sinn, das Versammlungsrecht auch in der Corona-Verordnung zu stärken und beispielsweise die Höchstgrenze von 35 Teilnehmern unter freiem Himmel aufzuheben. Die beiden Grundrechte auf Gesundheit und Versammlungsfreiheit müssen abgewogen werden, dies gelingt nicht mit einer willkürlichen Zahl.
Woher rührt ihr plötzliches Verständnis?
Das hat klare Grenzen. Ich habe nämlich kein Verständnis dafür, dass sich Menschen, ohne Maske zu tragen und den Mindestabstand einzuhalten, einer Gefahr für die eigene Gesundheit aussetzen und auch andere gefährden. Und ich habe erst recht kein Verständnis dafür, dass man sich bei Protestmärschen mit ausgewiesenen Rechtsextremisten gemeinmacht und wir erleben, dass die AfD auch noch die Stimmung anheizt.
Sind für Sie alle AfD-Landtagsabgeordneten Rechtsextremisten?
Es gibt kein Grundrecht, sei es die Meinungs-, Wissenschafts-, Religionsoder Pressefreiheit, das die AfD-Landtagsfraktion in Parlamentsdebatten noch nicht infrage gestellt hat. Insofern sage ich sowohl die Fraktion als auch der Landesverband sind demokratiefeindliche politische Organisationen vom äußersten rechten Rand. Aus diesem Grund gibt es übrigens auch einen großen demokratischen Konsens, keinen Vertreter der AfD zu Repräsentanten eben jener Verfassungsdemokratie zu machen, deren Fundament durch diese grundsätzlich infrage gestellt wird. Diesen Konsens erleben wir im Thüringer Landtag, aber auch im Bundestag.
Mehr als ein Fünftel der Thüringer Wähler hat bei der Landtagswahl für die AfD gestimmt. Halten Sie diese Menschen für rechtsextrem? Es gibt sicher Menschen, die wählen die AfD, um ihren Protest an Regierung und Parlament zum Ausdruck zu bringen. Mit diesen Menschen müssen wir diskutieren, ihnen deutlich sagen, dass sie eine extrem rechte Partei stärken. Und wir müssen sie fragen, ob sie tatsächlich in einer von der AfD gestalteten Gesellschaft leben wollen. Ich bin mir sicher, die wenigsten wollen das. Manche wird man auch zurückgewinnen können. Aber es muss auch jedem klar sein: Wer der AfD grundsätzlich in deren Positionen zustimmt, stellt sich außerhalb des demokratischen Grundkonsenses.